Dr. Ulf Böge Präsident des Bundeskartellamtes zum Stand des Kartellverfahrens gegenUnternehmen des Papiergroßhandels Pressekonferenz am 4. Mai 2004
04.05.2004
I. Entscheidung
Das Bundeskartellamt hat in der vergangenen Woche gegen 12 Unternehmen des Papiergroßhandels und 46 verantwortliche Personen wegen verbotener Preisabsprachen Bußgelder in Höhe von insgesamt 57,6 Mio. Euro verhängt.
Es handelt sich nicht vorwiegend um mittelständische Unternehmen. 60 % der Bußgelder entfallen auf Konzerne mit Jahresumsätzen, die die Milliardengrenze übersteigen.
Das Amt hat damit einen Fall abgeschlossen, der nicht zuletzt angesichts der Vielzahl von Beteiligten und einer ausgeklügelten Kartellstrategie ein sehr geduldiges und akribisches Vorgehen der zuständigen Beschlussabteilung verlangte.
Als ich Sie im Juni 2002 über die Versendung von Beschuldigungsschreiben informierte, habe ich schon darauf hingewiesen, dass wir konkrete Hinweise auf weitere Regionalkartelle hatten. Der Hinweis hat nach unseren Feststellungen seine Bestätigung gefunden.
Ich hatte damals auch gesagt, dass uns eine möglichst umfassende Beweislage und dafür die Mitwirkung von Kartellanten wichtiger ist, als ein schneller Verfahrensabschluss.
Angesichts der Verflechtung der regionalen Kartelle hat sich diese Vorgehensweise als richtig erwiesen, wobei die vom Amt im Jahre 2000 eingeführte Bonusregelung wohl einen entscheidenden Anteil an der Zerschlagung dieses Kartellgeflechtes hat.
Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes waren die folgenden Unternehmen an den Absprachen beteiligt und haben entsprechende Bußgeldbescheide erhalten:
· G. Schneider & Söhne GmbH & Co. KG
· Papier Union GmbH & Co. KG
· Classen Papier GmbH bzw. Classen Holding KG
· Deutsche Papier Vertriebs GmbH
· sowie die in der Igepa-Gruppe (Interessengemeinschaft Papier) zusammengeschlossen Unternehmen
- Freytag & Petersen GmbH & Co.
- E. Michaelis & Co. (GmbH & Co.)
- Vereinigte Papier Papiergroßhandlungen GmbH & Co. KG
- Drissler & Co. Papiergroßhandel GmbH & Co. KG
- Hansa-Papier GmbH & Co. KG
- Igepa Papiergroßhandel GmbH
Daneben wurden gegen zwei kleinere mittelständische Unternehmen Bußgelder verhängt, die inzwischen von einem der größeren Papierunternehmen erworben wurden.
II. Absprachen
Abgesprochen werden mussten nur die Eckpunkte weniger Produkte, um einen erheblichen Teil des Sortiments des Papiergroßhandels manipulieren zu können. Es handelt sich hierbei um Bilderdruck-, Offset- und Selbstdurchschreibepapier. Diese Kernprodukte des Papiergroßhandels sind sogenannte graphische Papiere für den Einsatz vornehmlich in Druckereien.
Bilderdruckpapier ist ein hochwertiges Produkt und z.B. für Geschäftsberichte geeignet.
Offsetpapier wird häufig auf schnell laufenden Druckmaschinen eingesetzt und z.B. für Werbematerial verwendet.
Selbstdurchschreibepapier kommt nach entsprechender Bedruckung als Durchschriftsätze z.B. bei Versicherungsverträgen zum Einsatz.
Abgesprochen waren die Preise für diese Papiersorten beim Vertrieb vom Lager.
Dieses Lagergeschäft beinhaltet die Belieferung der Druckereien mit Papieren vom Großhandelslager bis zu einer Bestellgröße von drei Tonnen. Lagergeschäft bedeutet, dass der Großhandel die Produkte der Papierhersteller zunächst einlagert, während beim sogenannten Streckengeschäft die Lieferung nicht über den Großhandel, sondern direkt vom Produzenten zur Druckerei erfolgt.
Das Streckengeschäft war nicht von den Absprachen betroffen.
Das Bundeskartellamt hat insgesamt zehn regionale Kartelle aufgedeckt.
Durch die Mehrfachbeteilung einiger Unternehmen bzw. von Personen war die äußerst konspirative Tätigkeit der Regionalkartelle teilweise miteinander verknüpft.
In den betroffenen Regionen waren nahezu alle Unternehmen der Branche an dem jeweiligen Kartell beteiligt. Die Zusammensetzung der Kartellmitglieder änderte sich im Zeitablauf nur unwesentlich. Die Kartelle waren auf Dauer angelegt.
Im einzelnen handelte es sich um die regionalen Kartelle
- Nordrhein-Westfalen (mit Teilen von Rheinland-Pfalz)
- Saarland (mit Teilen von Rheinland-Pfalz)
- Hamburg (mit Umland)
- Bremen (mit Umland)
- Berlin (mit Umland)
- Osnabrück (mit Umland)
- Niedersachsen
- Hessen
- neue Bundesländer Nord sowie
- neue Bundesländer Süd.
Die Ausdehnung der Kartelle orientierte sich dabei nicht an den Grenzen der Bundesländer, sondern war insbesondere bedingt durch den Lieferradius um die Großhandelslager der einzelnen Unternehmen.
Das Amt hat Absprachen in verschiedenen Zeiträumen zwischen Mai 1995 und April 2000 bebußt. Das von den Kartellabsprachen erfasste Umsatzvolumen betrug insgesamt rund
1 Mrd. Euro.
Die Absprachen beim Lagergeschäft basierten bei den genannten Papiersorten Bilderdruckpapier, Offsetpapier und Selbstdurchschreibepapier auf Grundvereinbarungen, die bei regelmäßigen Zusammenkünften der Kartellanten fortlaufend angepasst wurden.
Die Kartellmitglieder insgesamt, aber insbesondere in NRW, gingen sehr vorsichtig zu Werke. Dazu muss man wissen, dass bereits im Februar 1993 die Landeskartellbehörde Nordrhein-Westfalen gegen wesentliche Unternehmen der Branche (Schneider & Söhne, Freytag & Petersen, Papier-Union, Classen und Seiler) rechtskräftig Geldbußen in Höhe von insgesamt 1,75 Mio. DM wegen Preisabsprachen verhängt hatte.
Gleichwohl wurden die von der Landeskartellbehörde geahndeten Absprachen in gleicher Form wieder aufgenommen. Ganz offensichtlich glaubte man, mit den Absprachen mehr zu verdienen, als man an Geldbuße zu zahlen hatte. D.h.: Zu niedrig bemessene Geldbußen sind geradezu ein Anreiz für Kartellbildungen, allerdings mit größerer Vorsicht. Deshalb trafen sich die Kartellanten in wechselnden Hotels – auch im benachbarten Ausland -, auf Flughäfen, wie z.B. im Airport Club Frankfurt, sowie auf Autobahnraststätten.
Die Preisabsprachen erfolgten jeweils in DM pro 100 kg. Je nach Papiersorte wurden nicht nur generell Preise bzw. Preiserhöhungen für sogenannte „Normalkunden“ oder „Basiskunden“ abgesprochen, sondern zum Teil auch individuell für sogenannte „geregelte Kunden“ oder „Ausnahmekunden“ – das waren insbesondere große Druckereien.
Die grundsätzliche Strategie bestand darin, „geregelte Kunden“ in „Normalkunden“ – bei denen schon höhere Preise durchgesetzt waren - umzuwandeln und gegebenenfalls vorhandene „freie Kunden“ – bei denen eine Preisabsprache noch nicht gelungen war und die damit den niedrigsten Preis zahlten – zu „geregelten Kunden“ zu machen.
Daneben existierte bei Selbstdurchschreibepapier ein Stillhalteabkommen, mit dem Papiergroßhändler sicherstellten, sich gegenseitig keinen Preiswettbewerb zu machen und keine Kunden abzuwerben.
Wichtig war den Kartellmitgliedern die Einhaltung der Absprachen. Dies wurde durch ein System der permanenten gegenseitigen Information und Kontrolle sichergestellt. Hierzu beauftragten die einzelnen Kartellmitglieder jeweils ihren eigenen Außendienst. Er hatte festzustellen, ob andere Kartellmitglieder von den Absprachen abwichen. Derartige Fälle wurden dann während der Kartelltreffen bzw. durch bilaterale Gespräche (z. B. Telefonate) aufgegriffen und abgestellt. Dadurch waren alle beteiligten Unternehmen dauerhaft in das Kartell eingebunden.
III. Auswirkungen
Aufgrund der Preisabsprachen konnten die betroffenen Unternehmen die Preise für Bilderdruckpapier, Offsetpapier und Selbstdurchschreibepapier im Lagergeschäft auf Dauer auf ein Niveau anheben, welches bei funktionierendem Wettbewerb nicht erreichbar gewesen wäre.
Das beständige gemeinsame Handeln versetzte die Unternehmen in die Lage, Preiserhöhungen der Papierindustrie nicht nur uneingeschränkt und ohne Konkurrenzdruck an die Kunden weiterzugeben, sondern nochmals mit Aufschlägen zu versehen.
In Situationen, in denen die Papierindustrie die Preise absenkte, minderte zwar auch der Papiergroßhandel seine Preise, allerdings - wiederum abgestimmt - in einem geringeren Umfang.
IV. Verfahren/Bußgeldbemessung
Nach Hinweisen aus der Branche selbst sowie von verschiedenen Druckereien hatte das Bundeskartellamt im April 2000 zwanzig Standorte von Unternehmen sowie zwei Privatwohnungen von leitenden Personen des Papiergroßhandels durchsucht und in diesem Zusammenhang Beweismaterial sichergestellt.
Für den Gesamterfolg der Ermittlungen war – wie gesagt - wesentlich, dass nach der Durchsuchung eine Reihe kleinerer Unternehmen im Rahmen des Bonusprogramms mit dem Bundeskartellamt kooperiert hat. Auf diese Weise konnten im Laufe der Zeit die verschiedenen regionalen Kartelle aufgedeckt werden. Während des Verfahrens haben weitere Einzelpersonen aus verschiedenen Unternehmen Geständnisse abgelegt.
Bei der Bemessung der Geldbußen wurden grundsätzlich berücksichtigt
o die Art der Wettbewerbsbeschränkung (Preiskartell),
o die Dauer der Taten,
o der eingetretene wirtschaftliche Schaden sowie
o der hohe Organisationsgrad des Kartells, aber auch
o ob ein Unternehmen / eine Person nur an einem oder an mehreren Regionalkartellen beteiligt war und
o ob das jeweilige Unternehmen bzw. die jeweilige Person bereits von dem Bußgeldverfahrender Landeskartellbehörde Nordrhein-Westfalen entweder selbst betroffen war oder zumindest Kenntnis haben musste und die Kartellpraxis dennoch fortsetzte.
Die Festsetzung der Geldbußen für die Unternehmen beruhte auf der Ermittlung von Mehrerlösen.
Diese Mehrerlöse wurden durch Multiplikation der jeweiligen Mehrerlösquoten (unterschiedlich je nach Regionalkartell / Produkt / Zeitraum) mit den relevanten Umsätzen der einzelnen Unternehmen errechnet.
Als Berechnungsgrundlage dienten die verfügbaren Preisinformationen - u. a. die Differenz der Papierpreise für Normalkunden, geregelte Kunden und freie Kunden.
Bei der Festsetzung der Bußgeldsumme hatte das Bundeskartellamt auch die wirtschaftliche Situation zu berücksichtigen. Das verhängte Bußgeld übersteigt deshalb in jedem Einzelfall nicht mehr als 7,5% des von der Kartellabsprache betroffenen Umsatzvolumens. Es liegt aber in jedem Fall – von der Bonusregelung abgesehen – über dem erzielten Mehrerlös, denn Kartellabsprachen dürfen sich nicht rechnen.
V. Weiteres Procedere
Die betroffenen Unternehmen haben – wie bei jeder Bußgeldentscheidung des Bundeskartellamtes – die Möglichkeit, binnen zweier Wochen Einspruch einzulegen.
Ein geringer Teil der Bußgeldsumme ist schon rechtskräftig geworden, weil einige Unternehmen bereits auf Rechtsmittel verzichtet haben.
Ich gehe davon aus, dass es Betroffene gibt, die Rechtsmittel einlegen werden, obwohl sie die Tatsache der verbotenen Preisabsprache als solche nicht bestreiten, aber die Bußgeldhöhe für unangemessen halten. Offenbar spielt dabei aber insgesamt eine nicht unerhebliche Rolle, dass die Unternehmen sich durch Einlegung eines Rechtsmittels erhebliche Zinsvorteile versprechen. In einem Fall wurde offen ausgesprochen, dass aufgrund des Einspruchs bei einem Zinssatz von 6 % und einer zu erwartenden Mindestdauer des Gerichtsverfahrens von drei Jahren mit einem Zinsgewinn von wenigstens 18 % zu rechnen sei.
Ich unterstütze vor diesem Hintergrund ausdrücklich den Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums, mit der Novellierung des GWB eine Verzinsung der Bußgelder ab dem Tag ihrer Festsetzung vorzusehen. Denn erstens dürfen sich Kartelle nicht rechnen, wenn wir sie wirkungsvoll bekämpfen wollen.
Zweitens wird das OLG Düsseldorf erheblich belastet, wenn allein der Zinsvorteil die Einlegung des Rechtsmittels anregt.
Im übrigen existiert z. B. für die Kartellverfahren der Europäischen Kommission bereits heute eine Verzinsungspflicht.
Die Möglichkeiten geschädigter Kunden, die Kartellmitglieder vor Gericht auf Schadensersatz zu verklagen, bleiben selbstverständlich erhalten.
VI. Fazit
Der vorliegende Fall zeigt wieder einmal, dass Kartellabsprachen in den verschiedensten Branchen vorkommen. Die Erkenntnis, dass diese massive Form der Wettbewerbsbeschränkung nicht nur den Abnehmern, nicht nur den Verbrauchern, nicht nur der Volkswirtschaft insgesamt, sondern auch dem Ruf der eigenen Branche immensen Schaden zufügt, scheint sich aber immer noch nicht durchgesetzt zu haben.
Im Gegenteil: Bei den Ermittlungen zeigte sich, dass den meisten der betroffenen Unternehmen trotz ihrer Eingeständnisse und trotz der bereits von der Landeskartellbehörde NRW 1993 verhängten Bußgelder jegliches Unrechtsbewusstsein fehlt. Man muss sich vor diesem Hintergrund ernsthaft fragen, wie es eigentlich um die Einstellung zu unserem Wirtschaftssystem und die ethischen Grundhaltungen in den Unternehmen bestellt ist.