Hintergrundinformation zur öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21. März 2003
im Missbrauchsverfahren gegen die Stadtwerke Mainz AG wegen des Verdachts überhöhter Netznutzungsentgelte

21.03.2003

Einordnung des Verfahrens

Das Verfahren gegen die Stadtwerke Mainz AG betrifft die Netznutzungsentgelte, welche die Stadtwerke im Großraum Mainz für die Nutzung ihres Stromnetzes in Rechnung stellen. Betroffen von diesen Preisen sind zum einen die netznutzenden Stromlieferanten, da die Netznutzungsentgelte einen ganz erheblichen Anteil an deren Kosten ausmachen. Die Netznutzungsentgelte beeinflussen unmittelbar die Kostenkalkulation und die Marktchancen der Newcomer. Zum anderem sind alle Stromkunden im Netzgebiet der Stadtwerke betroffen, also Haushalte, Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und sonstige Abnehmer, da die Netznutzungsentgelte einen erheblichen Teil aller Stromrechnungen ausmachen (durchschnittlich zwischen 50 und 75% des Nettoendpreises). Die jährlichen Umsatzerlöse der Stadtwerke Mainz aufgrund der Nutzung ihres Netzes belaufen sich auf ca. 50 Mio. €/Jahr.

Bisheriger Verlauf des Verfahrens

Nach Einleitung eines Missbrauchsverfahrens im Januar 2002 wurde den Stadtwerken Mainz im August 2002 der Verdacht überhöhter Netznutzungsentgelte in Form einer Abmahnung mitgeteilt (vgl. Pressemitteilung des Bundeskartellamtes vom 27.08.2002). Im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes hatte das Bundeskartellamt ermittelt, dass die Stadtwerke – gemessen an der zum Vergleich herangezogenen RWE Net AG und unter Berücksichtigung der Länge des Leitungsnetzes – deutlich höhere Umsatzerlöse aus der Netznutzung erzielen (siehe nachfolgend "Hintergrund"). Auch nach Berücksichtigung höherer Verlege- und Instandhaltungskosten der Stromleitungen infolge der städtischen Oberflächenstruktur im Vergleich zur größtenteils ländlichen Struktur des RWE-Versorgungsgebietes ergab sich weiterhin ein erheblicher Unterschied in den pro Kilometer Leitung erzielten Umsatzerlösen und damit ein deutliches Senkungspotential im Hinblick auf die von den Stadtwerken Mainz erhobenen Netznutzungsentgelte.

Die Stadtwerke Mainz haben zu dem Missbrauchsverdacht Stellung genommen und ihn als unzutreffend zurückgewiesen.

In Anbetracht des Sachvortrags der Stadtwerke Mainz und zur weiteren Präzisierung des Erlösvergleichs hat das Bundeskartellamt weitere Ermittlungen durchgeführt - unter anderem wurden die Leitungskosten ausgewählter Netzbetreiber ermittelt. Die Ergebnisse haben den Missbrauchsverdacht jedoch bestätigt: Das Bundeskartellamt ist derzeit der Auffassung, dass die Netznutzungsentgelte der Stadtwerke Mainz im Vergleich zu den Entgelten der RWE Net AG und unter Berücksichtigung verschiedener Korrekturzuschläge zugunsten der Stadtwerke Mainz um etwa 20% überhöht sind. Dies würde bedeuten, dass die Stromkunden im Netzgebiet der Stadtwerke aufgrund ihrer infolgedessen überhöhten Stromrechnung ca. 10 Mio. € pro Jahr zuviel zahlen.

Das Bundeskartellamt hat den Stadtwerken Mainz am 17.2.2003 in einem zweiten Abmahnschreiben mitgeteilt, dass es beabsichtigt, die derzeitigen Netznutzungsentgelte zu untersagen und hat für den heutigen Tag eine mündliche Verhandlung anberaumt. Vor einer Entscheidung des Bundeskartellamts haben die Stadtwerke Mainz und die zum Verfahren beigeladenen Unternehmen Gelegenheit, in der öffentlichen mündlichen Verhandlung zu den Erwägungen der 11. Beschlussabteilung, die für die Missbrauchsaufsicht über Stromnetzbetreiber zuständig ist, Stellung zu nehmen.

Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügung beabsichtigt

Das Bundeskartellamt beabsichtigt, eine gegebenenfalls zu erlassende Missbrauchsver­fügung für sofort vollziehbar zu erklären, um eine unmittelbare Verbesserung der Wettbewerbs­bedingungen auf dem nachgelagerten Märkten für Stromlieferungen zu erreichen. Ohne die Anordnung des Sofortvollzugs würde durch überhöhte Netznutzungsentgelte der Wettbewerb um Stromkunden, der nach der Insolvenz des zweit- und des viertgrößten Haushaltskundenlieferanten, ares und Riva, geschwächt ist, nachhaltig geschädigt. Weitere Newcomer würden verdrängt und markteintrittswillige Unternehmen vom Markteintritt abgeschreckt.

Hintergrund: Vergleich von Netznutzungsentgelten

Maßgeblich für die Beurteilung der Angemessenheit von Netznutzungsentgelten im Rahmen des Vergleichsmarktkonzeptes sind aus Sicht des Bundeskartellamtes die vollständig mengengewichteten Netznutzungsentgelte, welche in Summe die erzielten Umsatzerlöse ergeben. Ein bloßer Vergleich einzelner Netznutzungsentgelte ist ungeeignet, weil dies aufgrund unterschiedlicher Absatz-(Kunden-)strukturen eines Netzbetreibers zu verzerrten Ergebnissen führen kann.

Die Vergleichsgröße "Erlöse pro km Leitung" berücksichtigt aber nicht nur die Absatzstruktur und damit das zentrales Strukturmerkmal eines Netzbetreibers. Die Erlöse werden darüber hinaus auf die Leitungslänge bezogen, um den Vergleich von Unternehmen, die über unterschiedlich große Versorgungsgebiete (Länge des Leitungsnetzes) verfügen, anhand einer insoweit bereinigten Kenngröße durchführen zu können. Durch die Bezugsgröße "km Leitungslänge" berücksichtigt die Beschlussabteilung zudem den nach Kenntnisstand der Beschlussabteilung wesentlichen Kostentreiber für die Netzkosten der Nieder- und Mittelspannung.

Keine Gefährdung des gesetzlichen Versorgungsauftrages der Stadtwerke Mainz

Eine Entscheidung des Bundeskartellamts zu einer Absenkung der Netznutzungsentgelte der Stadtwerke Mainz hätte - entgegen deren Auffassung - für die Stromkunden im Netzgebiet der Stadtwerke Mainz keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Denn das vorläufige Ergebnis des Vergleichs mit dem Netzbetreiber RWE Net zeigt, dass die verbleibenden Unterschiede in den Umsätzen aus Netznutzung nicht auf gebietsstrukturelle, durch die Stadtwerke Mainz nicht vermeidbare Kostenunterschiede im Netzbetrieb beruhen. Insoweit lässt der Vergleich darauf schließen, dass die Betriebsführung der Stadtwerke Mainz bislang nicht betriebswirtschaftlich rationell ist und insofern erhebliche Einsparpotentiale bestehen. Die Erfüllung der gesetzlich auferlegten Gewährleistung der Versorgung ist damit in keiner Weise gefährdet.