Bundeskartellamt mahnt Holtzbrinck / Berliner Verlag ab
19.12.2003
Nach bisheriger Einschätzung des Bundeskartellamtes führt der am 10. Oktober 2003 angemeldete Erwerb der Kontrolle über die Berliner Verlag KG, Berlin, (u.a. Berliner Zeitung, Berliner Kurier, Stadtillustrierte Tip) durch die Holtzbrinck KG, Stuttgart, (u.a. Tagesspiegel, Stadtillustrierte Zitty) zur Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung von Holtzbrinck auf dem Lesermarkt für regionale Abonnement-Tageszeitungen in Berlin und dem dortigen Lesermarkt für Stadtillustrierte. Das Vorhaben wurde daher am 18. Dezember 2003 abgemahnt.
Kartellamtspräsident Ulf Böge: „Die Abmahnung ist noch keine endgültige Entscheidung. Das Bundeskartellamt geht aber nach dem derzeitigen Stand der Prüfung davon aus, dass die Anteile am Tagesspiegel, die von Holtzbrinck an Dr. Gerckens veräußert werden sollen, weiter Holtzbrinck zuzurechnen sind. In seinen wettbewerblichen Auswirkungen entspricht der Fall damit im Wesentlichen dem bereits im Jahr 2002 vom Bundeskartellamt geprüften und untersagten Zusammenschlussvorhaben (siehe Pressemitteilungen vom 22. November und 12. Dezember 2002). Die Zurechenbarkeit des Tagesspiegels ergibt sich aus der wirtschaftlichen Beurteilung des zwischen Holtzbrinck und Dr. Gerckens geschlossenen Kaufvertrags und unter Würdigung der Gesamtumstände.“
Bereits die Einräumung einer Call Option zeige, dass eine dauerhafte Trennung Holtzbrincks vom Tagesspiegel nicht beabsichtigt sei. Holtzbrinck habe sich bis zum 31. Dezember 2006 durch eine Call Option die Möglichkeit einräumen lassen, 75 % der Anteile am Tagesspiegel zurückzuerwerben, wenn eine Reform der Pressefusionskontrolle zu einer Änderung des rechtlichen Rahmens führen sollte. Ferner stelle der von Dr. Gerckens an Holtzbrinck zu zahlende Kaufpreis, der zudem noch mit einer langfristigen Ratenzahlung bis zum 1. Oktober 2008 verbunden sei, keine wirkliche Gegenleistung für die Übertragung der Anteile am Tagesspiegel dar, sondern diene gerade dazu, die Rückübertragung der Anteile an Holtzbrinck durch Ausübung der Call Option zu ermöglichen. Im Falle eines Verkaufs des Tagesspiegels durch Dr. Gerckens an Dritte bleibe Holtzbrinck - obwohl formal nicht mehr Eigentümer - über einen Zeitraum von 10 Jahren nach Ablauf der Call Option am Veräußerungserlös beteiligt.
Im Rahmen des Ministererlaubnisverfahrens hatte der Bauer Verlag für den Tagesspiegel einen Kaufpreis von 20 Millionen Euro geboten und eine Bestandsgarantie für den Tagesspiegel über 20 Jahre abgegeben. Dr. Gerckens soll einen deutlich geringeren Kaufpreis für ein umfangreicheres und zudem schuldenfreies Kaufobjekt (anders als im Ministererlaubnisverfahren gehören dazu auch die Zitty Verlag GmbH und eine 40%ige Beteiligung an der Zweite Hand Verlag GmbH) bezahlen, ohne dass er dabei auf eine wertmäßig in Ansatz zu bringende Bestandsgarantie Rücksicht nehmen müsste.
Für Dr. Gerckens ist mit dem Erwerb der Anteile am Tagesspiegel nach dem Kaufvertrag kein wirtschaftliches Risiko verbunden. Der von Dr. Gerckens bei einem Verkauf der Anteile an Holtzbrinck bzw. an einen Dritten erzielbare Preis beträgt ein Vielfaches des von Dr. Gerckens an Holtzbrinck zu bezahlenden Kaufpreises.
Für eine Zurechnung des Tagesspiegels zu Holtzbrinck sprächen laut Böge auch die Rahmenbedingungen wie der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Rücknahme des Antrags auf Ministererlaubnis durch Holtzbrinck und der Veräußerung der Tagesspiegel-Anteile an Dr. Gerckens, die Vorgeschichte, die zu diesem Erwerb führte, die enge berufliche und persönliche Verbindung von Dr. Gerckens zu Holtzbrinck bzw. der Familie von Holtzbrinck sowie die beabsichtigte Zusammenarbeit von Dr. Gerckens mit Holtzbrinck im Anzeigenbereich und im redaktionellen Bereich.
Selbst ohne Zurechnung der von Dr. Gerckens gehaltenen Tagesspiegel-Anteile zu Holtzbrinck wäre das Vorhaben nach derzeitiger Prüfung des Amtes nicht genehmigungsfähig. Denn auf dem Berliner Lesermarkt für regionale Abonnement-Tageszeitungen entstünde eine gemeinsame marktbeherrschende Stellung von Holtzbrinck (dann Berliner Zeitung) und Dr. Gerckens (Tagesspiegel). Im Hinblick auf die im Kaufvertrag und durch die Gesamtumstände dokumentierte gemeinsame Interessenlage ist zwischen diesen beiden Unternehmen kein Binnenwettbewerb zu erwarten. Während der Laufzeit der Call Option würde es aus Sicht von Holtzbrinck jeder kaufmännischen Vernunft widersprechen, mit der Berliner Zeitung gegenüber dem Tagesspiegel in Wettbewerb zu treten. Holtzbrinck würde wettbewerbliche Maßnahmen gegen ein Unternehmen richten, an dem es sich zu beteiligen beabsichtigt. Umgekehrt hat auch Dr. Gerckens kein Interesse daran, mit dem Tagesspiegel gegen die Berliner Zeitung in Wettbewerb zu treten. Bei Ausübung der Call Option soll Dr. Gerckens an einem fusionierten Berliner Zeitungsunternehmen beteiligt werden. Auch nach Ablauf der Call Option schließt die wirtschaftliche Interessenlage von Dr. Gerckens und Holtzbrinck wesentlichen Binnenwettbewerb aus, da damit der zu erwartende Erlös bei einer Veräußerung an einen Dritten auch zu Lasten von Holtzbrinck reduziert würde. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass der einzige Wettbewerber, die Axel Springer AG mit der Berliner Morgenpost, den Verhaltensspielraum des Duopols Holtzbrinck / Dr. Gerckens wirksam begrenzen kann.
Vor einer endgültigen Entscheidung haben die Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 13. Januar 2004.