Zentrale Aspekte der zukünftigen Strom- und Gasmarktregulierung - Position des Bundeskartellamtes -
12.12.2003
I. Grundsätze der Regulierung im Strombereich
Regulierung muss dafür sorgen, dass die hohe Qualität des Netzbetriebs in Deutschland erhalten bleibt und der Netzbetrieb künftig zu angemessenen Preisen bereitgestellt wird.
In den vergangenen Jahren haben überhöhte Netznutzungsentgelte nicht zu weiteren Steigerungen der Qualität des Netzbetriebs geführt. Sie sind vielmehr zur wettbewerbsverzerrenden Quersubventionierung der Wettbewerbsbereiche Stromerzeugung und Stromvertrieb verwandt worden.
Bedingungen des Netzzugangs, Methoden der Netzentgeltberechnung und Regelungen zur Ausgleichsenergie sind nach den EU-Richtlinien zukünftig ex ante zu regulieren.
Das zukünftige Energiewirtschaftsgesetz und Rechtsverordnungen sollten den normativen Rahmen und das Verfahren der Ex ante-Regulierung abstecken. Dabei können hinsichtlich der Netzzugangsbedingungen Teile der aktuellen Verbändevereinbarung Strom einfließen.
Die Festlegungen im Einzelnen sollten dagegen durch Entscheidungen der Regulierungsbehörde getroffen werden. Die Regulierung ist – wie der Wettbewerb selbst – ein Entdeckungs- und Lernprozess. Dieser erfordert Flexibilität und die Fähigkeit zu rascher Anpassung. Eine Regulierungsbehörde kann dies – im Gegensatz zu einer starren Rechtsverordnung – leisten.
Die flexible Ex ante-Regulierung muss durch eine wirksame Ex post-Missbrauchsaufsicht der Regulierungsbehörde ergänzt werden. Dabei müssen Entscheidungen der Regulierungsbehörde (ex ante wie ex post) – entsprechend den EU-Richtlinien – sofort vollziehbar sein.
Nach einer kurzen Anfangsphase, in der die Regulierungsbehörde ex ante nur die Einhaltung einer verursachungsgerechten Kostenzuordnung und andere kostenbezogene Prinzipien vorgibt, sollte zu einer effizienzorientierten Anreizregulierung übergegangen werden (vgl. z.B. Norwegen, Niederlande, Österreich).
Mit Blick auf die Bedingungen des Netzzugangs muss die Regulierungsbehörde befugt sein, bestehende Empfehlungen (Grid Code, Distribution Code, Best Practice-Empfehlungen) in Abstimmung mit den betroffenen Wirtschaftskreisen weiterzuentwickeln und als verbindlich vorzuschreiben.
Es ist ein allgemeiner Anspruch auf Netzanschluss – an die vom Netznutzer gewünschte Spannungsebene – festzuschreiben. Ein Verweigerungsrecht sollte dem Netzbetreiber – wie im Kartellrecht – nur bei technischer Unmöglichkeit oder wirtschaftlicher Unzumutbarkeit des Netzanschlusses zustehen.
II. Regelenergie, Transparenz, Messdienstleistungen im Strombereich
Die Regulierungsbehörde muss in der Lage sein, die vier Übertragungsnetzbetreiber zum effizienten Netzbetrieb in Form eines deutschlandweiten Regelenergiemarktes zu verpflichten (Marktvolumen: 1 Mrd. Euro).
In einem größeren, nationalen Regelenergiemarkt sinkt wegen des Durchmischungseffekts und der geringeren Ausfallwahrscheinlichkeit der Bedarf an Regelenergie und der Wettbewerb zwischen den Kraftwerksschwestergesellschaften der vier Übertragungsnetzbetreiber intensiviert sich.
Der neue Ordnungsrahmen und die Eingriffsbefugnisse der Regulierungsbehörde müssen die Transparenz auf dem Stromhandelsmarkt gewährleisten.
Die Informationsasymmetrie zwischen dem Stromhandel der vier Verbundunternehmen und den neu in den Markt eingetretenen Händlern muss reduziert werden, um die Funktionsfähigkeit des Stromgroßhandelsmarkts und damit zuverlässige Preissignale für Kraftwerksneubauten zu gewährleisten. Deshalb muss es eine Pflicht zur Veröffentlichung der den Netzbetreibern zur Verfügung stehenden angebots- und nachfrageseitigen Daten in aggregierter Form geben.
Wettbewerb im Bereich der Messdienstleistungen bei Endkunden ist – anders als im Bereich des Netzbetriebs – möglich. Die wettbewerbliche Öffnung des Messwesens sollte gesetzlich klar geregelt werden.
III. Unbundling im Strombereich
Die EU-Richtlinien schreiben ein gesellschaftsrechtliches (für Unternehmen mit mehr als 100.000 Strom- bzw. 50.000 Gaskunden) und ein buchhalterisches Unbundling vor.
Das gesellschaftsrechtliche Unbundling verlangt grundsätzlich eine Trennung der Unternehmensbereiche nach Rechtsform, Organisation und Entscheidungsgewalt, spätestens ab 1. Juli 2007.
Nach dem buchhalterischen Unbundling sind die Unternehmen zur Erstellung, Prüfung und öffentlichen Zugänglichmachung von Jahresabschlüssen nach den für Kapitalgesellschaften geltenden HGB-Vorschriften und zur getrennten Kontenführung in der internen Rechungslegung für bestimmte Tätigkeiten verpflichtet. Der Vertrieb ist vom Netzbereich zu trennen.
Die erforderlichen Angaben – auch der internen Rechnungslegung – sollten von allen 1.600 betroffenen Unternehmen nach einheitlich vorgegebenen Maßstäben zu führen bzw. zu erstellen sein. Hierzu sollten die im Handelsrecht geltenden Maßstäbe (§§ 264ff. HGB) gesetzlich festgeschrieben werden. Entsprechende Vorgaben führen für die Unternehmen zu keinem erkennbaren Mehraufwand.
Diese Informationen müssen zumindest gegenüber dem Prüfer der Jahresabschlüsse sowie gegenüber der Regulierungsbehörde offen gelegt werden. Die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung sollten außerdem in den Anhang des Jahresabschlusses aufgenommen werden. Anderenfalls wäre der Zweck des buchhalterischen Unbundling – Transparenz zu schaffen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden – nicht erfüllt.
IV. Grundlegende Probleme des Netzzugangs im Gasbereich
Die Entwicklung des wettbewerblichen Rahmens in der Gaswirtschaft steht noch weit hinter dem in der Stromwirtschaft Erreichten zurück. Die Verbändevereinbarungen Gas sind keine tragfähige Grundlage für die Entstehung von Durchleitungswettbewerb. Insbesondere fehlt bislang ein praktikables Modell des Netzzugangs. Nachdem sich transaktionsabhängige Pfadmodelle nicht bewährt haben, muss ein Systemwechsel zu einem Entry-Exit-Modell vollzogen werden. Dabei sind insbesondere folgende Aspekte von Bedeutung:
Es ist ein netzübergreifendes Marktmodell erforderlich, in dem die Zahl der horizontal und vertikal übergreifenden Regelzonen möglichst klein ist.
Die Errechnung unternehmensübergreifender Netznutzungsentgelte sollte auf Kostenbasis erfolgen.
Es muss ein den Richtlinien entsprechendes wirksames Unbundling umgesetzt werden.
Es ist eine Veröffentlichungspflicht für alle relevanten technischen und kommerziellen Bedingungen für den Netzzugang und die Netzabwicklung (Transparenz) erforderlich.
Zudem sind wettbewerbsorientierte Regeln für den Bilanzausgleich, das Engpassmanagement und die Regelenergie erforderlich, sowie Regeln für eine effiziente Speicherbewirtschafftung und für die Schaffung liquider Gasmärkte und logistischer Hubs.