Zusammenschluss DB AG/Stadt- und Regionalbus Göttingen unter strengen marktöffnenden Auflagen freigegeben

04.07.2002

Das Bundeskartellamt hat das Vorhaben der Deutsche Bahn AG, über ihr Tochterunter­nehmen Regionalbus Braunschweig GmbH (RBB) eine 49,9 %-Beteiligung an der Stadt- und Regionalbus Göttingen GmbH (SRG) zu erwerben, nur unter strengen Auflagen freige­geben, um künftig eine wettbewerbliche Öffnung des betroffenen Nahverkehrsmarkt im Großraum Göttingen zu ermöglichen.

Kartellamtspräsident Ulf Böge: "Die Stadt Göttingen hat sich als Mehrheitsgesellschafterin der SRG verpflichtet, die gesamte Verkehrsleistung in ihrem Zuständigkeitsbereich als Auf­gabenträger des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) innerhalb einer Frist von vier Jahren europaweit im offenen Verfahren auszuschreiben. Die Ausschreibung hat so recht­zeitig zu erfolgen, dass das zum Zuge kommende Verkehrsunternehmen den Betrieb spätestens am 1. November 2006 aufnehmen kann. Mit dieser Auflage wird die Verstär­kung einer marktbeherrschenden Stellung der RBB auf dem Nahverkehrsmarkt im Groß­raum Göttingen kompensiert und der Markt für den Wettbewerb künftig stärker geöffnet."

Das Vorhaben wurde von den beteiligten Unternehmen im Dezember vergangenen Jahres beim Bundeskartellamt angemeldet. Bei der SRG handelt es sich um ein Tochterunter­nehmen der Stadt Göttingen, in das die derzeitigen Verkehrsbetriebe der Stadtwerke Göttingen AG eingebracht werden sollen. Die RBB ist eine der insgesamt 18 in den DB-Konzern integrierten Regionalbus-Gesellschaften. Sie ist in den Großräumen Göttingen, Braunschweig und Hildesheim der mit weitem Abstand führende Betreiber des regionalen Linienbusverkehrs. Aufgrund der Überschneidungen der Betätigungsfelder der SRG und der RBB im Großraum Göttingen, die zu gemeinsamen Markt­anteilen von deutlich über 80 % geführt hätten, wäre unter Berücksichtigung des lediglich schwachen Restwettbe­werbs im ÖPNV eine Verstärkung der bereits bestehenden marktbe­herrschenden Stellung der RBB zu erwarten gewesen. Mit der SG würde die RBB den wichtigsten Konkurrenten im Rahmen des Genehmigungswettbewerbs um die (Wieder-) Erteilung von Linien­verkehrs­konzessionen übernehmen. Die dadurch zu erwartende strukturelle Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen im Großraum Göttingen war nur zu vermeiden, indem der Nah­verkehrsmarkt im Großraum Göttingen für einen effektiven Ausschreibungswettbewerb geöffnet wird. Hierbei geht es vor allem um den Wettbewerb um die Verkehrsmärkte nach Ablauf der jeweiligen Verkehrsverträge und Linienkonzessionen. Im übrigen ist der Wett­bewerb im ÖPNV aufgrund der verkehrspolitisch erwünschten Verkehrsverbünde weit­gehend ausgeschlossen.

Im Rahmen des nunmehr abgeschlossenen Fusionskontrollverfahrens hat das Bundes­kartellamt erstmals den Regulierungsrahmen und die Wettbe­werbsbedingungen im ÖPNV umfassend ermittelt und bewertet. Wie andere netzgebundenen Dienstleistungen vor der Liberalisierung (z. B. die Energieversorgung) weist der ÖPNV die Besonderheit auf, dass die Marktstruktur derzeit durch regionale Monopole gekennzeichnet ist. Die aktuell sehr geringe Wettbewerbsintensität in ÖPNV beruht in erster Linie auf der praktischen Hand­habung des Regulierungsrahmens, insbesondere der entsprechenden Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Danach bedarf jedes Verkehrsunternehmen für die Durchführung eines Linienverkehrs einer staatlichen Genehmigung (Konzession). Diese ausschließliche Konzession ist zwar zeitlich befristet, so dass die regionale Monopol­stellung eines Verkehrsunternehmens grundsätzlich im Falle des Auslaufens der Konzes­sion angegriffen werden könnte.

Die geringe Wettbewerbsintensität im ÖPNV hat auf europäischer Ebene zu Initiativen geführt, die zu einer Ausweitung der Ausschreibungspflicht für Ver­kehrsleistungen führen sollen. Es ist jedoch nicht absehbar, wann und in welcher Form dieser politische Prozess abgeschlossen ist. Dennoch hat der aufkommende Liberalisierungsdruck bei vielen Verkehrsunternehmen in Deutschland zu Überlegungen geführt, wie dem möglicherweise in Zukunft zu erwartenden Wettbewerb Rechnung getragen werden kann. In vielen Fällen spielte dabei die Zusam­menarbeit mit marktstarken Verkehrsunternehmen, wie z. B. der DB AG, eine wichtige Rolle. Aufgrund der derzeit vorherr­schenden Regulierungs- und Wettbe­werbsbedingungen ergibt sich hieraus jedoch die Gefahr, dass die er­hofften Liberalisie­rungserfolge konterkariert werden, sofern die Verkehrsun­ternehmen zunächst durch Zusammenschlüsse ihre marktbeherrschende Stellung absichern und verstärken. Anderer­seits verkennt das Bundeskartellamt nicht, dass die Liberalisierung des öffentlichen Nah­verkehrs auch einen Wandel der Unternehmensstruktur bedingt.

Nach Kartellamtspräsident Böge trägt die nunmehr getroffene Entscheidung diesem Ziel­konflikt Rechnung. Auf der einen Seite werde den zahlreichen kommunalen Verkehrsunter­nehmen, die nach eigenem Bekunden derzeit über eine geringe Wettbewerbsfähigkeit ver­fügen, eine Koope­ration mit anderen ÖPNV-Unternehmen nicht grundsätzlich verbaut. Auf der anderen Seite werde jedoch vermieden, dass die angestrebten Liberalisierungserfolge im ÖPNV aufs Spiel gesetzt werden. Durch die Verpflichtung zur zeitnahen europaweiten öffentlichen Ausschreibung werde das Ziel der wettbewerblichen Öffnung des ÖPNV für den konkret betroffenen regionalen Nahverkehrs­markt verwirklicht.

English version

  • Merger between DB AG and Stadt- und Regionalbus Göttingen cleared under strict obligations directed at opening up the market