"Wir können jetzt früher einschreiten“

Der Präsident des Bundeskartellamts über die erweiterten Kompetenzen der Aufsichtsbehörde bei der Kontrolle der Digitalkonzerne

Eigentlich sollte die GWB-Novelle schon 2020 verabschiedet werden, doch es gab ein langes Ringen um Details. Jetzt aber gelten die neuen Bestimmungen, mit denen sich Andreas Mundt sehr zufrieden zeigt. Wettbewerbswidriges Verhalten der Digitalriesen lasse sich nun einfacher abstellen. Die Behörde dürfte schon bald aktiv werden. „Die neuen Regeln“, sagt Mundt, „stehen nicht nur im Schaufenster.“

H: Herr Mundt, Sie haben mit der GWB-Novelle nun ein deutlich schärferes Instrument in der Hand, um gegen Machtmissbrauch der Digitalkonzerne vorzugehen. Müssen sich Google, Facebook und Amazon auf eine Lawine an neuen Verfahren einstellen?

A. Mundt: Die GWB-Novelle gibt uns tatsächlich erweiterte Kompetenzen – wir können jetzt gegen die Tech-Konzerne früher einschreiten. Die Neuerungen des Gesetzes sind sinnvoll und gut. Der Gesetzgeber hat internationale Diskussionen und die
praktischen Erfahrungen der Wettbewerbsbehörden aufgegriffen und umgesetzt. Jetzt geht es an die Anwendung.

H: Wenn sich ein Tech-Konzern künftig gegen Entscheidungen des Bundeskartellamts wehren will, wendet er sich direkt an den Bundesgerichtshof – und nicht mehr zunächst an das Oberlandesgericht Düsseldorf. Wie wichtig ist dieser neue, einstufige Rechtsweg?

A. Mundt: Für die Verfahren nach dem neuen Instrument, dem sogenannten Paragrafen 19a GWB, ist der Rechtsweg verkürzt worden. Ich halte das für sehr wichtig, um schneller zu Ergebnissen kommen zu können. Nur ein Beispiel: Wir haben Facebook im Februar 2019 die Sammlung und Zusammenführung von Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen untersagt. Nach Beschwerden durch Facebook ging die Sache bereits zweimal vom Oberlandesgericht weiter zum Bundesgerichtshof. So können Jahre vergehen, bis eine rechtswidrige Praxis abgestellt wird.

H: Weiteres Novum: Um gegen Fehlverhalten einzuschreiten, müssen Sie keine marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens mehr nachweisen. Es reicht eine „überragende marktübergreifende Bedeutung“. Ist das nicht sehr unscharf?

A. Mundt: Wir haben gemeinsam mit dem Gesetzgeber lange darüber nachgedacht, wie wir die Unternehmen nennen wollen, die wir im Blick haben. Der entscheidende Punkt ist nicht ihre Größe, sondern dass sie umfassende Ökosysteme betreiben, die sich über verschiedene Märkte erstrecken. Insbesondere durch ihre hohe Kunden und Nutzerzahl und die damit verbundene Datenmenge können sie sich in den meisten Märkten eine starke Stellung sichern. Das bringt die Definition im Gesetz zum Ausdruck. Eigentlich versteht man sehr gut, wer damit gemeint ist.

H: Die GAFAs, also Google, Amazon, Facebook und Apple, vielleicht noch wenige andere. Im Grunde hätte man die auch direkt im Gesetz nennen können.

A. Mundt: Das sehen Sie zu eng, es geht nicht nur um die GAFAs. Natürlich kann es auch andere Unternehmen geben, die die Kriterien erfüllen. Denken Sie beispielsweise auch an die großen chinesischen Netzwerke Alibaba, Baidu, Tencent. Die sind
noch nicht hier, aber das kann noch kommen. Und um das klar zu sagen: Wenn künftig ein europäisches Unternehmen dieser Definition entsprechen sollte, werden wir natürlich auch nicht zögern, die Bestimmungen anzuwenden.

H: Was können Sie mit der neuen Gesetzeslage jetzt konkret angehen?

A. Mundt: Die klassische Missbrauchsaufsicht der Wettbewerbsbehörden ist darauf ausgerichtet, vorhandenes wettbewerbsfeindliches Verhalten von marktmächtigen Unternehmen im Nachhinein abzustellen oder zu sanktionieren. Auf Basis des neuen Paragrafen 19a, Absatz 1, im GWB können wir bestimmte Verhaltensweisen der Big-Tech-Unternehmen schon früher untersagen, also quasi bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dazu müssen wir zunächst eine „überragende marktübergreifende
Bedeutung“ feststellen, dann können wir einem solchen Unternehmen bestimmtes Verhalten verbieten.

H: Als erstes Unternehmen nehmen Sie sich Facebook vor.

A. Mundt: Richtig. Wir haben schon vor der Novelle damit begonnen, zu untersuchen, ob Facebook wettbewerbswidrig handelt, wenn es die Nutzung von Oculus Virtual- Reality-Brillen davon abhängig macht, dass man einen Facebook-Account hat.
Im Rahmen dieses Verfahrens prüfen wir nun auch, ob Facebook ein Unternehmen der genannten Definition darstellt. Ist dies einmal festgestellt, gilt dies auch für eventuelle weitere Verfahren. Der mit der GWB-Novelle eingeführte Katalog der möglichen Do’s und Don’ts könnte dann auf Facebook angewendet werden. Und so können wir auch in Bezug auf weitere Unternehmen agieren.

H: Ändert die neue Rechtslage auch etwas in den Verfahren gegen Amazon?

A. Mundt: Bereits nach der alten Rechtslage konnten wir weitreichende Verbesserungen für die Händler auf dem Amazon-Marktplatz erwirken. Inwieweit wir die neue Vorschrift in den derzeit laufenden Verfahren anwenden, müssen wir noch prüfen.

H: Was liegt denn aktuell gegen Amazon an?

A. Mundt: Wir prüfen in einem Verfahren, ob Amazon in die Preisgestaltung der Händler auf dem Marktplatz eingreift. In einem zweiten geht es um die Frage, ob Amazon mit bestimmten Markenherstellern wie beispielsweise Apple zulasten der Händler
zusammenarbeitet, sodass bestimmte Produkte von Drittanbietern gar nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen verkauft werden dürfen – das sogenannte „Brandgating“.

H: Die GWB-Novelle nennt als mögliche Missbrauchsfälle unter anderem die bevorzugte Darstellung der eigenen Angebote in Suchergebnislisten und die Vorinstallation eigener Services auf Endgeräten. Haben Sie schon konkrete Fälle im Blick, in denen Sie tätig werden können?

A. Mundt: Es ist zu früh, um über einzelne Maßnahmen zu sprechen. Aber die neuen Regeln stehen nicht nur im Schaufenster. Sie beruhen ja auf unseren Erfahrungen und auf den Erfahrungen, die unsere Kollegen weltweit machen. Der Handlungsbedarf
ist da.

H: Die EU-Kommission hat mit dem Digital Markets Act ebenfalls ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, das den Machtmissbrauch der Digitalriesen verhindern soll. Verträgt es sich mit der GWB-Novelle?

A. Mundt: Inhaltlich sehe ich keine Kollisionen, teilweise entspricht die Wortwahl der vorgeschlagenen Regeln den neuen Vorschriften des GWB. Wir müssen uns aber mit einigen Themen noch intensiver auseinandersetzen. Welche Unternehmen sollen Adressat der neuen Vorschriften sein? Welchen Pflichten unterliegen sie? Und wer wird in einem bestimmten Missbrauchsfall aktiv – wir oder die EU-Kommission? Da gibt es noch einige offene Fragen.

H: Das Bundeskartellamt hat vor gut zwei Jahren auch eine Sektoruntersuchung zum digitalen Werbemarkt eingeleitet. Wann ist hier mit Resultaten zu rechnen?

A. Mundt: Diese Untersuchung ist sehr breit angelegt, wir haben Fragebögen an rund 600 Publisher, Agenturen, Werbungtreibende, Dienstleister verschickt. Ein erstes Konsultationspapier sollte es in absehbarer Zeit geben, einen genauen Zeitpunkt kann ich aber noch nicht nennen. Inhaltlich profitieren wir aber jetzt schon davon, wenn wir uns mit den großen Internetplattformen beschäftigen.

H: Was genau soll die Sektoruntersuchung denn bringen?

A. Mundt: Wir wollen zunächst verstehen, wie die Strukturen des digitalen Werbemarkts aussehen und wie die Technik dahinter funktioniert, wer welche Rolle spielt, welche Dienstleister wofür zuständig sind. Ist die Kritik an den „Walled Gardens“ berechtigt? Ich persönlich fände es ja auch sehr interessant, mehr über die Werbewirkung im Internet zu erfahren.

H: Warum?

A. Mundt: Weil ich – und da bin ich bestimmt nicht der einzige – so gut wie noch nie Werbung im Internet angeklickt habe.

H: Sie haben gerade auch eine Sektoruntersuchung zu Messenger-Diensten angestoßen. Worum geht es da?

A. Mundt: Vor allem um Fragen des Datenschutzes. Und wir werden uns mit der Interoperabilität befassen. Wenn sich Nutzer nur noch schwer von einem Anbieter lösen können, ist das auch wettbewerblich relevant. Aus Sicht des Datenschutzes ist es aber erst einmal begrüßenswert, wenn persönliche Daten nicht so einfach hin und hergeschoben werden können. Auch im Messenger-Markt ist der Umgang mit Daten wichtig. Die Sensibilität der Nutzer ist groß, wie wir kürzlich beobachten konnten, als Whatsapp mit der Ankündigung einer Änderung seiner Nutzungsbedingungen anderen Messenger- Diensten einen Download-Boom beschert hat. Wir wollen hier möglichst schnell vorankommen, weil die Ergebnisse auch für die Arbeit an den anderen Verfahren hilfreich sein können.

Das Interview führte Klaus Janke.

Quelle: HORIZONT 6-7/21 | Februar 2021, Seite 14

PDF-Datei des Interviews im HORIZONT: