Wettbewerbsexperten diskutieren die Rolle von Verbraucherinteressen im Wettbewerbsschutz
28.09.2004
Der Arbeitskreis Kartellrecht, eine Tagung von Wettbewerbsexperten aus Wissenschaft und Praxis, diskutierte auf seiner diesjährigen Konferenz am 27. September 2004 im Bundeskartellamt die Rolle von Verbraucherinteressen und die Anwendung neuerer ökonomischer Methoden im Wettbewerbsschutz. Zu den Teilnehmern gehörten insbesondere Hochschullehrer rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Fakultäten sowie Richter der Kartellsenate beim Bundesgerichtshof und dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Als Vertreter der Europäischen Kommission nahmen der Generaldirektor Wettbewerb, Lowe, sowie Chefökonom Prof. Röller an der Veranstaltung teil. Grundlage der Diskussion war ein Arbeitspapier des Bundeskartellamts zum Thema "Wettbewerbsschutz und Verbraucherinteressen im Lichte neuerer ökonomischer Methoden".[1]
Grundsätzlich diskutiert wurde die Frage, inwieweit Wettbewerbsrecht und Verbraucherschutz im Einklang stehen und wo sie voneinander abweichen.
Einigkeit bestand darüber, dass insbesondere Preis- und Gebietsabsprachen sowie Submissionsabsprachen letztlich den Verbraucher schädigen. Kartellbedingte Preissteigerungen bzw. unterbliebene Preissenkungen führen zu erheblichen Zusatzbelastungen. Die Arbeit der Kartellbehörden bei der Aufdeckung und Ahndung solcher Kartellrechtsverstöße hat daher aus Verbrauchersicht zu Recht einen hohen Stellenwert. Ohne eine wirksame Kartellbekämpfung kann Verbraucherschutz nicht funktionieren.
Mehr Erklärungsbedarf besteht, wenn Kartellbehörden gegen missbräuchlich niedrige Kampfpreise vorgehen. Eine solche Unternehmensstrategie kann aus der Sicht des Verbrauchers kurzfristig zu willkommenen Preissenkungen führen, sie schadet ihm jedoch langfristig. Denn sind Wettbewerber einmal vom Markt verdrängt, hat das marktbeherrschende Unternehmen freie Hand, die Preise zu Lasten der Verbraucher kräftig anzuheben.
Die Ökonomisierung kartellrechtlicher Entscheidungen wurde unter verschiedenen Aspekten diskutiert. Grundsätzlich gingen alle Diskutanten davon aus, dass ökonomische Methoden die Chance bieten, wettbewerbliche Probleme besser zu verstehen, darzustellen und zu bewerten. Teilweise wurde die Marktabgrenzung als wichtiger Anwendungsbereich hervorgehoben. Intensiv wurde diskutiert, wo die Grenzen ökonomischer Methoden in der praktischen Anwendung liegen: Sind die Annahmen der zugrundegelegten Modelle akzeptabel? Sind ausreichende Daten vorhanden, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen? Besteht die Gefahr, dass eine aufwendige Datenerhebung das rechtzeitige Eingreifen der Kartellbehörden verhindert? Wird die Bedeutung des Qualitäts- und des Innovationswettbewerbs gegenüber dem Preiswettbewerb vernachlässigt, weil vor allem Preisentwicklungen Gegenstand quantitativer Methoden sind? Wird die Rechtssicherheit beeinträchtigt, wenn mit der verstärkten Betonung ökonomischer Methoden eine Einzelfallbetrachtung an die Stelle von typisierenden Regeln tritt?
Kartellamtspräsident Böge hob hervor, dass das deutsche Wettbewerbsrecht traditionell auf ökonomischen Füßen steht. Das gilt auch für das Selbstverständnis des Bundeskartellamts. Fast die Hälfte der Fallbearbeiter haben eine ökonomische Ausbildung. Böge weiter: "Ich sehe es als besonders wichtige Aufgabe eines jeden Wettbewerbsregimes, gesicherte neue Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften aufzunehmen und geltende Positionen anhand dieser Erkenntnisse immer wieder zu überprüfen, zu verbessern und zu ergänzen sowie den gesetzlichen Rahmen entsprechend anzupassen."
[1] Das Arbeitspapier ist in Kürze im Internet abrufbar: www.bundeskartellamt.de