Dr. Ulf Böge Präsident des Bundeskartellamtes zum Stand des Kartellverfahrens gegen Unternehmen der Zementindustrie Pressekonferenz am 14. April 2003

14.04.2003

I. Entscheidung

Das Bundeskartellamt hat am Freitag, den 11. April 2003 an die sechs größten deutschen Zementhersteller und deren Verantwortliche wegen Quoten- und Gebietsabsprachen Bußgeldbescheide von insgesamt rund 660 Mio. Euro verschickt. Dies ist das höchste Bußgeld in der Geschichte des Bundeskartellamtes.

Die Bußgeldsumme verteilt sich in gerundeten Zahlen wie folgt:

HeidelbergCement AG         252 Mio. Euro

Schwenk Zement KG          142 Mio. Euro

Dyckerhoff AG                    95 Mio. Euro

Lafarge Zement GmbH           86 Mio. Euro

Alsen AG                              74 Mio. Euro

Readymix AG                       12 Mio. Euro

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GESAMT                                 661 Mio. Euro

Die genannten Einzelsummen beinhalten jeweils sowohl das Bußgeld gegen das betroffene Unternehmen als auch die Bußgelder gegen betroffene Personen. Ihre unterschiedliche Höhe ist auf die jeweils verkauften Mengen zurückzuführen, hängt aber auch mit der Kooperation der Unternehmen mit dem BKartA zusammen. Readymix war nach Einleitung des Verfahrens das erste Unternehmen im Sinne der Bonusregelung, das mit dem Bundeskartellamt kooperierte und noch vor Einleitung des Verfahrens aus dem Kartell ausgetreten war.

II. Vorwürfe

Die Beschuldigten haben z. T. zumindest seit den 70er Jahren wettbewerbswidrige Quoten- und Gebietsabsprachen praktiziert und bis zum Jahr 2002 fortgesetzt. Die Wettbewerbsverstöße betrafen im einzelnen:

- die Vereinbarung von Lieferquoten für bestimmte Gebiete,

- die Absprache von Preisen,

- den gemeinsamen Aufkauf konkurrierender Zementmengen sowie den gemeinsamen Aufkauf und die Stillegung konkurrierender Zementwerke,

- den gemeinsamen Aufkauf sowie die gemeinsame Verhinderung von Zementimporten aus dem Ausland,

- die Festlegung sogenannter Tausch- oder Leihmengen.

Räumlich betroffen waren die vier regionalen Zementmärkte Ostdeutschland, Westfalen, Norddeutschland und Süddeutschland. Bemerkenswert ist, dass in Süddeutschland Heidelberg, Dyckerhoff und Schwenk bereits 1989 wieder gemeinsame Quoten für Süddeutschland festlegten, obwohl erst 1988, also lediglich ein Jahr zuvor, das Bundeskartellamt Geldbußen in Höhe von rd. 230 Mio. DM gegen diese Unternehmen wegen Kartellabsprachen verhängt hatte. Die Führungsrolle für die neue Quotenregelung kam nach Erkenntnissen des Amtes Heidelberg zu.

Bei der Verhinderung von Zementimporten handelte es sich um gemeinsame regionenübergreifende Absprachen.

Die Gebiets-, Mengen- und Preisabsprachen sowie Entscheidungen über aufgetretene Probleme – z. B. den Ausgleich sogenannter „Lügenmengen“ (das sind nicht gemeldete Überlieferungen) – wurden je nach Größenordnung auf verschiedenen Ebenen der Unternehmen getroffen. Für die ein- bis zweimal im Jahr stattfindenden Zusammenkünfte der Führungsebene – das war der sogenannte „obere Tisch“ bzw. auch „Elefantenrunde“ genannt – wurden Verbandssitzungen des BDZ sowie Messen als Tagungszeitpunkte und –orte genutzt. Daneben gab es den „operativen oder unteren Tisch“, eine Zusammenkunft der verantwortlichen Vertriebsmitarbeiter.

III. Verfahren

Auslöser für die Ermittlungen des Bundeskartellamtes in diesem Fall waren Beschwerden aus der Bauindustrie, wonach die deutschen Zementhersteller bundesweit durch Gebiets-, Quoten- und Preisabsprachen die Zementpreise jahrelang trotz konjunktureller Schwankungen auf einem Niveau hielten, das bei uneingeschränktem Wettbewerb nicht erreichbar gewesen wäre.

Aufgrund dieser Hinweise haben Mitarbeiter des Bundeskartellamtes mit Unter­stützung der örtlichen Landeskriminalämter im Juli 2002 in 30 Unternehmen und Werken der Zementindustrie unangekündigte Durchsuchungen durchgeführt. Im Januar 2003 folgten weitere Durchsuchungen bei acht mittelständischen Zementherstellern im süddeutschen Raum.

IV. Beweismittel

Unter den im Rahmen der Durchsuchungen sichergestellten Beweismitteln befanden sich u. a. Listen mit Quoten für einzelne Unternehmen und Liefergebiete, die Über- und Unterlieferungen der einzelnen Unternehmen sowie die Stilllegung von Zement- bzw. Mahlwerken insbesondere in Ostdeutschland und den Aufkauf marktstörender Importe z. B. aus osteuropäischen Ländern, ja selbst aus Thailand.

Ergänzend zu den aufgefundenen Beweismitteln haben die Beschuldigten schriftlich bzw. im Rahmen von Vernehmungen zu den Vorwürfen Stellung genommen. Einige Unternehmen haben ihre Beteiligung an den Kartellabsprachen in vollem Umfang eingestanden und darüber hinaus Informationen und Geständnisse über wettbe­werbswidrige Vereinbarungen in anderen Märkten vorgelegt. Andere Unternehmen haben nur Teilgeständnisse zur Beteiligung am Zementkartell ab­gelegt. Der Erfolg zur Zerschlagung des Kartells geht also wesentlich mit auf die im Jahr 2000 veröffentlichte Bonusregelung und die Einrichtung der Sonderkommission Kartellbekämpfung (SKK) zurück, die die Beschlussabteilungen in den Durch­suchungs­aktionen und der Auswertung beschlagnahmter Unterlagen unterstützt.

Die Feststellungen der das Verfahren führenden Beschlussabteilung zur Kartell­bildung wurden nicht nur durch aufgefundene Beweismittel, sondern auch durch die Marktergebnisse bestätigt. So entsprachen die Marktanteile der am Kartell beteiligten Unternehmen über viele Jahre weitgehend den handschriftlichen Zielvorgaben aus den gefundenen Tabellen. Die nahezu völlige Konstanz der Marktanteile über einen so langen Zeitraum ist umso bemerkenswerter, als in den betrachteten Jahren nicht nur erhebliche Nachfrageschwankungen stattgefunden haben, sondern auch aufgrund bedeutender Überkapazitäten Marktkämpfe und Marktanteils­ver­schiebungen eigentlich zu erwarten gewe­sen wären.

Schließlich wird der weitgehende Ausschluss des Wettbewerbs auf den betroffenen Märkten in dem erzielten Preisniveau deutlich. Ich komme darauf noch zurück.

V. Bußgeldbemessung

Bei der Bemessung der Geldbußen gegen die betroffenen Personen waren zu ihren Lasten die jeweilige Dauer und Intensität der Quotenabsprachen und deren außerordentlich schädliche Marktwirkungen zu berücksichtigen. Und – wie schon gesagt – die Unternehmen wussten was sie tun, denn sie waren schon in ein Bußgeldverfahren verwickelt.

Bei der Bemessung der Geldbußen gegen die Unternehmen war darüber hinaus zu berücksichtigen, dass diesen Unternehmen durch ihre Teilnahme an den wettbewerbswidrigen Absprachen erhebliche Mehrerlöse zugeflossen sind. Durch die jahrelange ununterbrochene und nahezu lückenlose Beschränkung des Wettbewerbs konnten die Zementpreise auf ein Niveau angehoben und dort gehalten werden, das bei unbeschränktem Wettbewerb nicht erzielbar gewesen wäre. Denn durch die Mengen- und sonstigen Absprachen sowie Gebietsaufteilungen sind Zwang und Anreiz zur Verteidigung bzw. zur Ausweitung des eigenen Marktanteils durch Preiszugeständnisse weitgehend entfallen.

Wenn ich früher oft von der Sozialschädlichkeit von Kartellen gesprochen habe, macht dies der vorliegende Fall überdeutlich. So hat das Kartell mit dem Aufkauf und der Schließung der Mahlwerke Coswig und Boxberg (Oberlausitz) sowie der AHK Zementhandelsgesellschaft, Cottbus, den Arbeitsmarkt Ostdeutschlands be­einträch­tigt. Ferner sind die Abnehmer bzw. Verbraucher von Zement in demselben Umfang, in dem den Herstellern Mehrerlöse zugeflossen sind, geschädigt worden.

Zur Berechnung der Bußgelder, die in Höhe von bis zum Dreifachen des durch die Kartellabsprache erzielten Mehrerlöses möglich sind, hat die Beschlussabteilung diesen Mehrerlös auf 10 Euro/t geschätzt. Grundlage der Schätzung war ein Vergleich der Kartellpreise mit denen, die sich nach der Auflösung des Kartells Anfang 2002 – und damit unter Wettbewerbsbedingungen - gebildet haben. Die zu beobachteten Preisrückgänge lagen nach Auflösung des Kartells im Durchschnitt sogar eher bei 20 Euro/t.

Die Beschlussabteilung ist mit ihrer Schätzung von 10 Euro/t folglich am unteren Rand des zu vermutenden tatsächlichen Mehrerlöses geblieben. Sie hat ferner nur den zweifachen Satz zur Bußgeldfestlegung angesetzt. Meines Erachtens sollten die Beschuldigten, die ein Unrechtsbewusstsein sicher nicht bestreiten können, diese Geldbußen also als „moderat“ erkennen.

Von den im Einzelnen festgelegten Ausgangswerten wurden je nach Zeitpunkt, Umfang und Wert der Kooperation der einzelnen Unternehmen mit dem Bundeskartellamt im Rahmen der Bonusreglung Abschläge vorgenommen. Dies erklärt, warum die ganz am Anfang des Verfahrens als möglich angenommene Bußgeldsumme von bis zu 1 Mrd. € nicht angesetzt ist. Es sind andererseits aber auch noch nicht alle Verfahren abgeschlossen. Die letztlich verhängten Bußgelder haben ausschließlich Sanktionscharakter und stellen keine Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils dar.

VI. Weiteres Procedere

Gegen die Bußgeldbescheide des Bundeskartellamtes kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch eingelegt werden. Über etwaige Einsprüche entscheidet das Oberlandesgericht in Düsseldorf. An den hier aufgedeckten Kartellabsprachen waren neben den genannten großen Anbietern andere, mittelständische Unternehmen der Zementindustrie beteiligt. Diese Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.

VII. Ausblick

Ich möchte abschließend meine Hoffnung und Erwartung ausdrücken, dass in den Unternehmen auf allen Ebenen verstanden wird, wie ernst es dem Bundeskartellamt mit der Bekämpfung derartiger Kartellabsprachen ist. Die hohe Öffentlichkeitswirkung dieses Falles wird hoffentlich auch in anderen Branchen das Bewusstsein für die Schädlichkeit und die Verwerflichkeit von Kartellabsprachen stärken. Die Verantwort­lichen in den Unternehmen sind zur Vermeidung von hohen Kartellbußen gut beraten, durch interne Schulungsmaßnahmen etwaigen Kartellverstößen vor­zubeugen. Dies wirkt natürlich nur im Sinne eines besseren Wettbewerbs­verständnisses, wenn Vertreter der Unternehmensleitungen nicht selbst an der Kartellbildung beteiligt sind, wie es im Zementkartell nach Feststellung der Behörde der Fall gewesen ist.