Hintergrundinformation
zur öffentlichen mündlichen Verhandlung am 13. Februar 2003 im Missbrauchsverfahren gegen die RWE Net AG wegen des Verdachts überhöhter Mess- und Verrechnungspreise bei Stromzählern
13.02.2003
Einordnung des Verfahrens
Das Musterverfahren gegen die RWE Net AG, Dortmund, betrifft diejenigen Preise, die RWE Net für netzbezogene Mess- und Verrechnungsleistungen (Anschaffung, Installation und Wartung der Zähler, kaufmännische Leistungen wie Ablesung, Inkasso) fordert. Betroffen von diesen Preisen sind konkurrierende Stromvertriebsunternehmen bei der Belieferung von sog. Lastprofilkunden, d.h. die große Gruppe der Haushalts-, Gewerbe- und landwirtschaftlichen Kunden, bei denen nur der Stromverbrauch (in kWh) und nicht die in Anspruch genommene Leistung (in kW) gemessen wird. Beschwerdeführer sind die LichtBlick – die Zukunft der Energie GmbH, Hamburg, die Strom aus regenerativer Energie und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen vertreibt, sowie die ares Energie direkt GmbH, Berlin. Beide beliefern Lastprofilkunden im RWE-Netzgebiet.
Vorläufige BKartA-Position: Mess- und Verrechnungspreise missbräuchlich überhöht
Nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamts sind die Preise des Stromnetzbetreibers RWE Net für netzbezogene Mess- und Verrechnungsleistungen bei Haushalts- und Gewerbekunden in Höhe von 36,00 €/Jahr für Eintarifzähler und 72,00 €/Jahr für Zweitarifzähler missbräuchlich überhöht und daher deutlich zu senken. Vergleichsmaßstab ist die E.ON-Tochter Thüringer Energie AG, Erfurt, (TEAG), die ihre entsprechenden Dienstleistungen mit um 38 % bzw. 48 % günstigeren Preisen abrechnet.
Ein von RWE Net vorgelegtes Wirtschaftsprüfergutachten hat den Missbrauchsverdacht nicht entkräftet. Das Gutachten attestiert RWE Net auf Basis der geltenden Preise, die zu den höchsten in der deutschen Stromwirtschaft zählen, (kalkulatorische) Verluste. Nach Auffassung des Bundeskartellamts müssen sich die Mess- und Verrechnungspreise von RWE an den günstigeren Preisen der zum Vergleich herangezogenen TEAG messen lassen (sog. Vergleichsmarktkonzept). Da keinerlei Anhaltspunkte bestehen, dass TEAG, die ihre Entgelte nach der Verbändevereinbarung Strom II plus berechnet, in ihrem Netzgebiet Verluste macht, erscheinen die RWE Net-Verluste nicht nachvollziehbar.
Diese Einschätzung hat auch das von RWE in Auftrag gegebene Gutachten nicht entkräften können. Das Bundeskartellamt hat auf Basis des derzeitigen Kenntnisstandes erhebliche Zweifel, dass RWE Net die Kosten ordnungsgemäß dem Netzbetrieb und dem Stromvertrieb zugeordnet hat. Die Tatsache, dass entgegen den Grundsätzen eines unbundling (= strikte Trennung des Netzmonopols von den Wettbewerbsbereichen Stromvertrieb, Stromhandel und Stromerzeugung) die netzbezogenen Mess- und Verrechnungsleistungen zu über 50 % von der Vertriebsschwester RWE Plus als Dienstleistung für RWE Net erbracht werden, eröffnet entsprechende Spielräume. Zudem ist zu fragen, ob RWE Net ihre Rationalisierungsreserven ausgeschöpft bzw. diese hinreichend an die Netznutzer in Form niedrigerer Preise weitergegeben hat. So sollte z. B. die Fusion RWE/VEW den Unternehmen zufolge bedeutende Synergieeffekte bringen. Wenn jedoch, so die vorläufige Einschätzung des Bundeskartellamts, RWE nach der Fusion von Newcomern bis zu 30,7 % höhere Mess- und Verrechnungspreise fordert, ist dies ein starkes Indiz dafür, dass eventuelle Synergieeffekte nicht über niedrigere Netznutzungspreise an die Marktgegenseite weitergegeben werden. Auf diese Weise wird die nach wie vor starke Marktposition der Vertriebsschwester RWE Plus bei Haushalts- und Gewerbekunden (über 95 % Marktanteil) vor Wettbewerb geschützt.
Nach vorläufiger Auffassung des Bundeskartellamts werden neue Anbieter im Netzgebiet von RWE Net erheblich behindert, wenn RWE Net diesen Stromlieferanten überhöhte Mess- und Verrechnungspreise und nicht nur netzbezogene Leistungen aufbürdet. Denn der von Wettbewerbern nicht beeinflussbare Fixkostenblock Netznutzung (Mess- und Verrechnungspreise sowie weitere Netznutzungsentgeltbestandteile) beträgt im RWE Net-Gebiet bis über 75 % des Endkundenpreises. Davon entfällt mit bis zu 19 % ein gewichtiger Teil des Fixkostenblocks auf Mess- und Verrechnungsentgelte.
Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügung beabsichtigt
Das Bundeskartellamt beabsichtigt, eine gegebenenfalls zu erlassende Missbrauchsverfügung für sofort vollziehbar zu erklären, um kurzfristig eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen für Newcomer zu erreichen. Ohne die Anordnung des Sofortvollzugs würde durch überhöhte Mess- und Verrechnungspreise der Wettbewerb um Haushaltskunden, der nach der Insolvenz des zweit- und des viertgrößten Haushaltskundenlieferanten, ares und Riva, geschwächt ist, nachhaltig geschädigt. Denn weitere Newcomer würden verdrängt und markteintrittswillige Unternehmen vom Markteintritt abgeschreckt.
Weiteres Verfahren
Vor einer Entscheidung des Bundeskartellamts hat RWE Net nun Gelegenheit, in der öffentlichen mündlichen Verhandlung zu den Erwägungen der 11. Beschlussabteilung, die für die Missbrauchsaufsicht über Stromnetzbetreiber zuständig ist, Stellung zu nehmen. Diese Erwägungen waren der RWE-Netzgesellschaft vor vier Wochen in einem sog. Abmahnschreiben mitgeteilt worden.