"Es geht um innere Entflechtung"

DIGITALKONZERNE: Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, über die Verfahren gegen Google, Meta, Amazon und Apple.

Seit Januar 2021 hat das Bundeskartellamt eine erweiterte Missbrauchsaufsicht gegen die großen Digitalkonzerne. Der Paragraf 19a GWB erlaubt es der Bonner Behörde, eine „überragende marktübergreifende Bedeutung“ einzelner Unternehmen festzustellen und ihnen daraufhin wettbewerbswidrige Praktiken zu untersagen. Der Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung ist nicht mehr notwendig. Im HORIZONT-Interview spricht Kartellamtspräsident Andreas Mundt über die aktuellen Verfahren und erklärt, warum er nicht gleich die Zerschlagung von Google fordert.

Herr Mundt, die GWB-Novelle hat dem Bundeskartellamt in der Auseinandersetzung mit den Digitalriesen den Rücken gestärkt. Was haben Sie bislang daraus gemacht?

Wir sind sehr gut unterwegs. Wir haben im Rahmen des Paragrafen 19a GWB Verfahren gegen Google und Meta abgeschlossen, die nun beide rechtskräftig eine „überragende marktübergreifende Bedeutung“ haben. Wir haben auch bei Amazon so entschieden, das allerdings Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingereicht hat. Bei Apple ist das entsprechende Verfahren weit fortgeschritten. Darüber hinaus befassen wir uns bereits mit verschiedenen konkreten Verhaltensweisen dieser Unternehmen.

Das Verfahren gegen Apple wurde schon im Sommer 2021 gestartet. Warum zieht es sich so lange hin?

Eine solche Untersuchung ist sehr komplex. Wenn es um eine „marktbeherrschende“ Position geht, muss man sich lediglich einen Markt ansehen. Bei der „marktübergreifenden“ Bedeutung geht es dagegen um ein komplettes Ökosystem. Außerdem untersuchen wir in einem parallelen Verfahren bereits eine möglicherweise wettbewerbsschädliche Verhaltensweise. Das geht Hand in Hand. Und ganz ehrlich: Unsere Ressourcen sind auch begrenzt.

Die Einstufung nach Paragraf 19a GWB ist Grundlage für weitere Verfahren gegen die Digitalkonzerne. Im Januar hat das Bundeskartellamt Google abgemahnt. Sie werfen dem Konzern vor, dass die Nutzer keine ausreichende Wahl haben, ob und inwieweit sie der dienstübergreifenden Verarbeitung ihrer Daten zustimmen.

Richtig. Googles Marktmacht rührt nicht zuletzt daher, dass der Konzern Daten aus seinen vielen Diensten wie der Google-Suche, Youtube, Google Play, Google Maps und dem Google Assistant, aber auch über andere Webseiten und Apps zusammenziehen und verwerten kann. Die Nutzer sollten die Möglichkeit haben, zu entscheiden, ob und wieweit sie einer dienstübergreifenden Verarbeitung ihrer Daten zustimmen. Gegen Google läuft ein weiteres Verfahren, in dem es um eine mögliche Benachteiligung anderer Kartenanbieter durch Google Maps Platform geht. Auf Basis unserer erweiterten Handhabe laufen auch noch zwei Verfahren gegen Amazon und eins gegen Apple.

Obwohl noch nicht geklärt ist, dass letztere Unternehmen tatsächlich eine „marktübergreifende“ Position haben?

Ja, teils ist das so. Wir wollen keine Zeit verlieren für den Fall, dass es darauf hinausläuft.

Googles Datenverarbeitung und Google Maps – das sind recht eingegrenzte Themen. In den USA fährt das Justizministerium viel größere Geschütze auf: Google habe wettbewerbswidrige Praktiken angewendet, um seine Vormachtstellung im digitalen Werbegeschäft zu sichern. Daher solle der Konzernbereich für Werbetechnologie zerschlagen werden. Trauen Sie sich einen solchen Frontalangriff in Deutschland nicht zu?

Ich weiß nicht, ob das Bundeskartellamt in Bonn am Rhein einen US-Konzern zerlegen kann. Das Problem mit sogenannten „großen Geschützen“ ist auch in den USA, dass das Verfahren erst einmal geführt werden und dann vor allem auch vor den Gerichten bestehen muss. Wir wenden das in Deutschland geltende Recht an und konzentrieren uns auf ausgewählte wettbewerblich problematische Verhaltensweisen der Konzerne. Ein wesentlicher Punkt ist dabei der Umgang mit der Masse der
Daten, über die sie verfügen. Wir sagen den Unternehmen daher: Die Daten, die Ihr sammelt, müsst Ihr trennen. Der Verbraucher muss entscheiden können, ob seine Daten zusammengeführt werden oder nicht. Das war auch ein wesentlicher Punkt unserer bereits 2019 getroffenen Entscheidung gegen Facebook, worüber nun der EuGH entscheiden wird. Wenn die Konzerne Daten nicht mehr uferlos kombinieren dürfen, verlieren sie ein ganz wichtiges Instrument, um ihre Datenhoheit
zu festigen. Es geht um innere Entflechtung, wie ich das nenne.

Die EU-Kommission führt zurzeit ein Wettbewerbsverfahren, bei dem es um Googles Marktposition und seine Praktiken im Bereich der Werbetechnologie geht. Teilen Sie sich die Themen mit Brüssel auf?

Wo es parallele Zuständigkeiten gibt, sprechen wir uns natürlich ab, um doppelte Arbeit zu vermeiden. Das wird auch unter dem Digital Markets Act (DMA) der Fall sein, dessen Pflichten die betroffenen Unternehmen ab 2024 einzuhalten haben. Er
soll auf EU-Ebene bestimmte Praktiken sogenannter „Gatekeeper“ verhindern. Die nationalen Behörden werden künftig das bearbeiten, was im Bereich Big Tech nicht unter den DMA fällt. Dabei wird Deutschland eine besondere Rolle spielen, weil es
ansonsten nirgends ein Konstrukt wie den Paragrafen 19a GWB mit der erweiterten Handhabe gibt.

Wird das Bundeskartellamt auch die Institution sein, die für die Durchsetzung des DMA in Deutschland verantwortlich ist und in dieser Funktion dann mit Brüssel kooperiert?

Ich will der politischen Entscheidung nicht vorgreifen. Aber es ist wahrscheinlich, dass es darauf hinausläuft, dass das Bundeskartellamt der nationale DMA-Ansprechpartner in Deutschland sein wird. Für die Durchsetzung des DMA ist allerdings die
Europäische Kommission zuständig.

Das Bundeskartellamt hat ein weiteres Verfahren gegen Google im Dezember abgeschlossen. Dabei ging es um das Nachrichtenangebot Google News Showcase, das von Verlagen bestückt wird. Sie haben befürchtet, dass damit andere News-Angebote verdrängt werden und die Vertragsbedingungen für die Verlage nachteilig sind. Konnte Google Ihre Bedenken zerstreuen?

Google hat entscheidende Veränderungen vorgenommen und weitere Nachbesserungen versprochen. Google News Showcase wird nicht in die allgemeine Suche integriert, was andere News-Anbieter schützt. Die Teilnahme soll allen Verlagen
diskriminierungsfrei offenstehen, sie soll auch keine Vorteile im allgemeinen Ranking bringen. Vor allem dürfen die Verträge nicht vorschreiben, dass mit der Teilnahme sämtliche Ansprüche aus dem Presse-Leistungsschutzrecht abgegolten sind. Jetzt
müssen wir kontrollieren, dass all das wirklich eingehalten wird.

Die Verwertungsgesellschaft Corint Media und drei Verlegerverbände hatten gefordert, dass sich das Bundeskartellamt im Rahmen des Verfahrens auch zur umstrittenen Höhe der Vergütungen aus dem Presse-Leistungsschutzrecht äußert. Diese Frage überlassen Sie aber dem Deutschen Patent- und Markenamt, das darüber in einem Schiedsverfahren entscheiden soll. Wollten Sie dem heiklen Thema aus dem Weg gehen?

Überhaupt nicht. Allerdings ist für diese Frage der Streitschlichtungsweg über das Deutsche Patent- und Markenamt rechtlich vorgesehen, deshalb läuft es nun auch so. Für mich persönlich war das keine bequeme Lösung, weil die angemessene Vergütung für die deutsche Verlagsbranche extrem wichtig ist.

Springen wir noch mal auf die Meta-Ebene. Es sieht danach aus, dass sich bei allen Kontroversen über die Digitalkonzerne immer zwei Pole gegenüberstehen: Wettbewerbsrecht und Datenschutz. Apples Anti-Tracking-System, das das Bundeskartellamt im Apple-Verfahren prüft, ist so ein Fall. Datenschützer finden gut, wenn Tracking erschwert wird. Werbungtreibende dagegen halten es für wettbewerbswidrig, weil ihr Geschäft erschwert wird. Wie balancieren Sie diesen Konflikt aus?

Das ist nicht ganz einfach. Ein Beispiel ist das Thema Zugang zu Daten. Wir sagen: Die Plattformen müssen die Daten getrennt halten. Man könnte aber auch sagen: Plattformen müssen die Daten teilen. Google hat Daten in einer Art und Weise, die nicht kopierbar ist. Aber es geht auch um schützenswerte personenbezogene Informationen. Die lassen sich nicht kurzerhand von einem Unternehmen auf ein anderes übertragen. Es gibt aber auch ein Feld, wo sich Wettbewerbsrecht und Datenschutz
befruchten – bei der Frage, welche Daten die Plattformen überhaupt erheben dürfen. Da haben sich auch die Wettbewerbsbehörden an den Vorgaben der DSGVO orientiert, indem sie zum Beispiel die Verarbeitung von Daten ohne Einwilligung verboten haben, die für das jeweilige Geschäftsmodell gar nicht notwendig sind. Kurzum: Manchmal überschneiden sich Wettbewerbsrecht und Datenschutz, meistens profitieren sie voneinander und ergänzen sich.

Digitalkonzerne stecken zurzeit ziemlich in der Krise, die Umsätze schwächeln, massenhaft werden Jobs abgebaut. Verliert der Kampf gegen die Marktdominanz von Big Tech damit an Dringlichkeit?

Es kommt gerade ziemlich viel Bewegung in die Märkte, auch im Hinblick auf neue KI-Technologien. Aber wenn Sie mit Unternehmen reden, die in irgendeiner Form wirtschaftlich von den Plattformen abhängen, die Verlage zum Beispiel oder Onlinehändler auf dem Amazon-Marktplatz, dann hören sie nur eine Aussage: Das Problem hat nicht an Schärfe verloren.

Andreas Mundt steht seit 2009 als Präsident an der Spitze des Bundeskartellamts in Bonn. Der 62-Jährige startete seine Karriere in der Politik:1991arbeitete er als Referent für das Wirtschaftsministerium, ab1993 war er als Referent für Arbeits- und Sozialrecht bei der FDP-Bundestagsfraktion tätig. 2000 wechselte er ins Bundeskartellamt und leitete dort ein Jahr später das Referat Internationale Wettbewerbsfragen. Seit 2005 führt er die Grundsatzabteilung. Mundt ist verheiratet und hat drei Kinder.

Das Gespräch wurde geführt von Klaus Janke.

Quelle: HORIZONT 23. Februar 2023

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