"Mir soll keiner erzählen, ein Monopol sei gut für Innovation"

Deutschlands oberster Wettbewerbshüter schlägt vor, für Google und Co die Beweispflicht umzukehren. Das Metaverse versetzt ihn in Alarmbereitschaft.

Herr Mundt, durchzieht weltweit ein neuer Monopolismus die Wirtschaft?

Das muss man differenziert sehen. Es gibt natürlich "Gafam", die großen amerikanischen Internetunternehmen Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft. Und ihr chinesisches Pendant "Bat": Baidu, Alibaba und Tencent. Das sind alles keine "natürlichen Monopole", sondern datenbasierte Geschäftsmodelle, die aufgrund von Netzwerkeffekten aus sich heraus wachsen. In anderen Wirtschaftsbereichen haben wir in der Regel keine vergleichbar starken Positionen von einzelnen Unternehmen.

Ist dieser digitale Monopolismus also nicht stilprägend für andere Branchen?

In den USA ist die Konzentration in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten in 75 Prozent der Wirtschaftsbereiche gestiegen. Gleichzeitig sind auch die Gewinnmargen größer geworden. Der Investor Warren Buffett beispielsweise ist eine wandelnde Einheit für das Maß der Wettbewerbsintensität. Sein Geld steckt er oft in hochkonzentrierte Märkte, wo wenige Player hohe Preise setzen können. Einen solchen Anstieg der Unternehmenskonzentration wie in den USA haben wir in Europa nicht gesehen.

Die Digitalgiganten aus den USA teilen schon den nächsten Zukunftsmarkt unter sich auf: "Metaverse", die virtuelle Nachbildung der Realität. Deshalb kaufte Microsoft für 70 Milliarden Euro den Videospielanbieter Activision Blizzard.

Wir müssen die Fusionskontrolle sehr ernst nehmen. Sie ist wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt. Die Wettbewerbsbehörden sind hier noch viel alerter als früher. Alle wissen: Die Erlaubnis für Facebook, die aussichtsreichen Start-ups Instagram und Whatsapp zu kaufen, hat zum Kippen der Märkte stark beigetragen. Weltweit läuft die Gesetzgebungsmaschinerie zur Sicherung des Wettbewerbs.

Konkret: Sie untersuchen seit einiger Zeit, ob Facebook künftig die Nutzung von Oculus-Brillen für die virtuelle Realität auf jene Personen beschränken darf, die ein Facebook-Konto haben. Ein erster Schritt zur Wettbewerbskontrolle des Metaverse?

Bei diesem Verfahren geht es um die Verknüpfung von Virtual-Reality-Produkten mit dem sozialen Netzwerk des Konzerns. Schon heute kommen Sie aus einem Ökosystem der Digitalkonzerne schwer heraus, wenn Sie einmal drin sind. Die Vision eines Metaverse geht noch weiter. Die Nutzerinnen und Nutzer gehen vielleicht eines Tages in der virtuellen Welt eines Anbieters sowohl zur virtuellen Bank als auch in die virtuelle Shopping-Mall. Das schafft neue Abhängigkeiten.

Wie müssen Regulierer mit diesen neuen Machtmöglichkeiten umgehen?

Wir sollten uns darauf gut vorbereiten und die anstehenden Entwicklungen mitgestalten. Nicht nur die Wettbewerbsbehörden, auch die Politik muss diese neuen Ideen von Anfang an begleiten. Bei der Regulierung der großen Plattformen haben wir zu lange gebraucht, bis wir in die Gänge gekommen sind.

Seit 2020 wollen Sie dem Facebook-Konzern, der jetzt Meta Platforms heißt, eine wichtige Geschäftspraktik untersagen: die Daten der Nutzer, die auf Facebook, Instagram und Whatsapp sowie auf Drittseiten anfallen, miteinander zu verknüpfen. Zuletzt gab der Bundesgerichtshof Ihnen recht.

Der Fall hat international sehr viel Beachtung gefunden. Es geht um eine Kernfrage, nämlich den Zusammenhang von Daten und Marktmacht. Wenn wir schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof nach einer unendlichen Gerichtssaga obsiegen sollten, haben wir wirklich etwas für die Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht. Das Fundament von Marktmacht im Netz beruht auf Datenbesitz. Während wir teilweise noch in Märkten denken, denken die Digitalkonzerne in Prozessen. Der neue Paragraf 19a im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen stellt auf marktübergreifende Bedeutung ab.

Ist Metaverse-Eroberer Microsoft ein Unternehmen im Sinne dieses Paragrafen?

Mit einem "Ja" ohne Abschluss eines entsprechenden Verfahrens würde ich mich sehr weit aus dem Fenster lehnen.

Die Stuttgarter Softwarefirma Nextcloud hat beim Bundeskartellamt Beschwerde gegen Microsoft eingelegt. Der Konzern baue rund um sein Windows-Monopol ein unanfechtbares Ökosystem, etwa mit One Drive, LinkedIn oder Teams.

Microsoft ist ein alter Kunde der Wettbewerbsbehörden. Wir schauen uns das an. Wir prüfen derzeit, wie wir mit dieser Beschwerde umgehen. Das ist aber auch eine Ressourcenfrage. Das neue Recht hat uns jede Menge Befugnisse gegeben. Aber wie viele neue Mitarbeiter haben wir bekommen? Viele waren es nicht.

2021 haben Sie auch die Macht der anderen Digitalriesen geprüft. Aber nur im Fall Google stellten Sie offiziell eine marktübergreifende Bedeutung fest. Warum war das hier einfacher?

Von "einfach" kann man da nicht reden. Unsere Entscheidung ist auf über 200 Seiten dokumentiert. Entsprechende Verfahren gegen Amazon, Apple und Meta laufen noch. Wir konnten bei Google/Alphabet auf unsere Vorarbeiten zu einer Studie des Online-Werbemarkts zurückgreifen, die wir bald veröffentlichen wollen.

Wäre es begrüßenswert, wenn Chinas Konzerne Baidu, Alibaba und Tencent den US-Giganten hierzulande Konkurrenz machten?

Die große Frage ist: Wie kann man den Netzwerkeffekten gegensteuern? Warum sind 80 Prozent der weltweiten Online-Nutzer auf Instagram oder Facebook? Weil sie die anderen dort auch treffen. Können überhaupt zwei oder mehr große Netzwerke auf Dauer nebeneinander existieren und sich Konkurrenz machen? Kämen die chinesischen Plattformen hinzu, würde sich das Problem nur verlagern. Deshalb brauchen wir eine effektive Aufsicht und Regulierung.

Konzerne wie Google, Facebook und Amazon bieten eine Infrastruktur für Milliarden Menschen. Gleichzeitig drängen sie dort mit eigenen Produkten Wettbewerber ab. Müsste der Gesetzgeber das nicht strukturell trennen?

Die neuen kartellrechtlichen Instrumente in Deutschland und der geplante Digital Markets Act (DMA) auf europäischer Ebene enthalten viele strukturell wirkende Regeln, etwa das Verbot der Selbstbevorzugung. Wir sollten jetzt erst mal diese neuen Regeln konsequent anwenden. Dann sehen wir weiter. Eine Entflechtung kann als Ultima Ratio nicht von vornherein ausgeschlossen werden. In den USA gehen einzelne Forderungen von Politikern in diese Richtung.

Die USA haben schon 1911 einen Monopolisten wie Rockefellers Standard Oil zerschlagen.

Das ist Geschichte. Zuletzt ist im Wettbewerbsrecht in den USA lange Zeit eher wenig passiert. Die Fälle, die wir kennen, kommen vor allem aus Europa. Das Denken in Übersee war bis vor Kurzem von Ökonomen der Chicago School dominiert: Die Märkte werden es schon richten. Heute diskutiert man wieder über Demokratiedefizite und Meinungsfreiheit. Das Pendel schwingt zurück. Noch aber fehlt ein innovatives Verfahren, das Erfolg hat.

Facebook soll zerschlagen werden. Das Verfahren in den USA läuft seit November 2020 ...

... und wird sich wohl noch einige Zeit hinziehen. Sie müssen mit solchen Verfahren wahrscheinlich auch den Weg durch die Gerichtsinstanzen gehen. Das ist in den USA beim Thema Big Tech noch recht unerforschtes Terrain.

Sehen Sie den geplanten Digital Markets Act (DMA) der EU-Kommission eigentlich als große Arbeitserleichterung?

Im Unterschied zu bestehenden Eingriffsmöglichkeiten verbindet man mit dem DMA die Hoffnung, dass die Regeln "self-enforcing" sind - also möglichst klare Verbote, an die sich die Unternehmen halten müssen. Ich bin da noch etwas skeptisch. Denn was machen wir, wenn Google, Apple und Facebook trotz erheblicher Zweifel an ihren Praktiken behaupten, stets im Einklang mit dem DMA zu handeln? Meine Lebenserfahrung ist: Wenn man etwas durchsetzen will, muss man am Ende Verfahren führen und gerichtsfeste Belege haben. Aber sicherlich sind Verfahren mit dem DMA im Rücken einfacher zu führen als ohne.

Diskutiert wird beim DMA sogar ein generelles Erwerbsverbot für die Internet-Giganten. Ein solches Vorhaben ist für eine freiheitliche Wirtschaft schwierig. Zu überlegen wäre, ob wir künftig in einem verschärften Wettbewerbsrecht Konzerne mit marktübergreifender Bedeutung wie Google unter ein strengeres Regime stellen und die Beweispflicht anpassen. Die Konzerne müssten dann jeweils belegen, dass ihre Übernahmepläne dem Wettbewerb nicht schaden.

Eine große Asymmetrie bleibt: Keine Kartellbehörde der Welt weiß, was mit den geheimen Algorithmen von "Gafam" wirklich passiert.

Sicher, wenn eines der fünf Digital-Großunternehmen nur eine Kleinigkeit am Algorithmus ändert, kann das große Auswirkungen auf Konkurrenten und Marktpartner haben. Deshalb gibt es auch die Idee eines Algorithmus-TÜVs.

Der US-Investor Peter Thiel, einst Finanzier von Mark Zuckerberg, hält Monopole für gut, weil sie sich mehr trauen könnten. Er sagt: "Wettbewerb ist für Verlierer."

Unsinn. Natürlich, wer ein Monopol hat, findet es super und traut sich auch etwas. Aber so funktioniert Marktwirtschaft nicht. Was Monopole bedeuten, hat das Beispiel des Internet Explorers von Microsoft gezeigt. Als er mehr als 90 Prozent Marktanteil hatte, wurde er über viele Jahre kein einziges Mal mehr aktualisiert. Als dann Firefox startete, kamen wir erstmals in den Genuss eines zweiten Browser-Fensters. Mir soll keiner erzählen, ein Monopol sei gut für Innovation.

Hans-Jürgen Jakobs führte das Gespräch.

Quelle: Handelsblatt am 09. Februar 2022, Politik Deutschland

PDF-Datei des Interviews:

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