„Facebook missbraucht seine Stellung“
Der Präsident des Kartellamtes will an die Datenschätze der Onlinekonzerne – und RWE stärker kontrollieren.
RP: Die Bußgelder wegen Kartellverstößen sind 2019 gestiegen auf 848 Millionen Euro. Gibt es immer mehr Kartelle?
A. Mundt: Das kann man an diesen Zahlen nicht ablesen. Wir haben in 2019 große Verfahren abgeschlossen, vor allem haben wir hohe Bußgelder gegen Stahlhersteller verhängt. Die Bußgeldhöhe schwankt von Jahr zu Jahr. Aber klar ist: Die Kartellverfolgung bildet nach wie vor einen Schwerpunkt unserer Arbeit, und wir investieren hohe Ressourcen in diesen Bereich. Es ist nicht leicht, einem Kartell auf die Spur zu kommen und die Verfahren sind aufwendig und müssen sehr hohen rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen. Aber dieser Aufwand ist mehr als angemessen, denn Kartelle schädigen die Wirtschaft und die Verbraucher durch künstlich überhöhte Preise, schlechtere Qualität und ausgebremste Innovation.
RP: Woran liegt es, dass immer weniger Unternehmen bereit sind, als Kronzeuge auszupacken?
A. Mundt: Die Kronzeugenregelung bleibt für uns eine sehr große Hilfe, um gesetzeswidrige Absprachen aufzudecken. Der momentane Rückgang bei den Anträgen kann verschiedene Ursachen haben. Vielleicht ist es ein Erfolg unserer Arbeit, und es gibt tatsächlich weniger Kartelle. Oder die Unternehmen sind raffinierter geworden. Vielleicht hält auch die Sorge um hohe Schadensersatzforderungen Unternehmen davon ab, eine Kartellbeteiligung offenzulegen. Wir müssen das jedenfalls beobachten. Wir bauen aber auch andere Ermittlungswege aus: Wir bieten Hinweisgebern an, sich anonym über ein Onlineportal bei uns zu melden. Das hat geholfen, ein Kartell von Autozulieferern aufzudecken und mit hohen Bußgeldern zu sanktionieren. Und wir untersuchen bei manchen Ausschreibungen IT-gestützt, ob es geheime Absprachen über die Gebote gab.
RP: Der Kampf gegen eine Übermacht von Giganten wie Facebook, Google oder Amazon bleibt ein Thema?
A. Mundt: Wir befassen uns schon seit einigen Jahren sehr intensiv mit dem Wettbewerb in der Internetwirtschaft. Die großen, vorherrschenden Plattformen sind dabei natürlich das Thema Nummer eins. Wir haben im vergangenen Jahr eine wichtige Entscheidung gegen Facebook getroffen, die jetzt gerichtlich überprüft wird. Und wir haben erreicht, dass Amazon seine Geschäftsbedingungen weltweit so geändert hat, dass kleine Händler als Anbieter auf dem Amazon Marketplace fairer behandelt werden. Die großen Internetplattformen werden nicht nur für uns, sondern für die Wettbewerbsbehörden weltweit ein wichtiges Thema bleiben.Wir arbeiten da eng mit der EU und den Wettbewerbsbehörden anderer Länder zusammen.
RP: Die Bundesregierung will Ihnen neue Kompetenzen geben.
A. Mundt: Das Bundeswirtschaftsministeriumarbeitet derzeit an einer Novelle unseres Kartellrechts, des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Diskutiert wird eine Verschärfung der Missbrauchsaufsicht gegenüber diesen Unternehmen, die ich begrüßen würde. Die großen Internetplattformen mit ihren Datenschätzen haben eine derart starke, schier uneinholbare Marktposition, dass wir neue Instrumente in Betracht ziehen müssen, um kleinen Unternehmen auch künftig den Zugang zu den Märkten zu ermöglichen, und um die Verbraucher davor zu schützen, dass diese Marktmacht missbraucht wird.
RP: Was sollte passieren?
A. Mundt: Wir sollten bestimmten Digitalgiganten früher und schneller als bislang Auflagen machen können. Die Dynamik des Internets bringt es mit sich, dass es nicht ausreicht, wenn wir immer erst dann tätig sein dürfen, wenn bereits Tatsachen von den Unternehmen geschaffen wurden. Und wir sollten darüber nachdenken, dass gesammelte Daten nicht auf Dauer alleiniges Eigentum eines marktbeherrschenden Konzerns sein sollen.
RP: Und jetzt?
A. Mundt: Die Kunden müssen nicht nur einen theoretischen Anspruch haben, ihre Daten zu einem Wettbewerber mitzunehmen. Das muss technisch einfacher werden. Und es könnte den Wettbewerb beleben, eine Öffnung abgeschotteter Systeme durch die Vorgabe von Interoperabilität beispielsweise von Messenger-Diensten zu erzwingen. Außerdem müssen wir darüber nachdenken, ob und wie wir es Unternehmen zur Auflage machen, anderen einen Zugang zu ihren Datenschätzen zu gewähren.
RP: Das OLG Düsseldorf hat Sie gehindert zu verbieten, dass Facebook Daten aus Quellen wie Instagram und Whatsapp zusammenführt.
A. Mundt: Wir haben Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingereicht. Wir sind davon überzeugt, dass Facebook seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt, wenn er diese Daten ohne ausdrückliche Zustimmung der Nutzer zusammenführt. Wir erhoffen uns die Klärung einiger sehr wichtiger rechtlicher Fragen.
RP: Zur Neuordnung des Strommarktes: Könnte RWE ihn beherrschen?
A. Mundt: Die Marktanteile der fünf großen Stromerzeuger sind zwar seit Jahren rückläufig, dennoch kann Marktbeherrschung im Zuge der Energiewende wieder ein Thema werden, wenn wir aus der Energieerzeugung aus Atomkraft und Kohle aussteigen. RWE ist mit Abstand der größte Erzeuger und steht vergleichsweise nahe an der Beherrschungsschwelle. Das Unternehmen war im vergangenen Jahr erneut in einer erheblichen Anzahl von Stunden für die Deckung der Stromnachfrage unverzichtbar. Gerade wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, spielt das eine Rolle.
RP: Was folgt daraus?
A. Mundt: Ein marktbeherrschendes Unternehmen unterliegt den strengeren Maßgaben der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht. RWE dürfte dann beispielsweise keine Kapazitäten gezielt zurückhalten, nur um die Preise hochzutreiben. Hohe Preise müssen zwar möglich sein im Strommarkt, um zu neuen Investitionen anzuregen, aber sie dürfen nicht durch eine künstliche Verknappung entstehen. Das wäre so wie bei den Kornhändlern im antiken Rom: Die durften auch keine Ware zurückhalten.
RP: Was halten Sie davon, dass NRW Kliniken zusammenführen will?
A. Mundt: Eine Reform der Krankenhausplanung, wie sie Herr Minister Laumann anstrebt, ist aus meiner Sicht sehr sinnvoll. Die wettbewerbliche Fusionskontrolle steht in keinem Wiederspruch zu den Zielen der Krankenhausplanung. Beide Instrumente zusammen sichern die gesundheitspolitisch gewünschte hohe Qualität und Effizienz der Patientenversorgung. Wir führen einen guten und engen Dialog mit der Landesregierung.
RP: Kritiker werfen Ihnen vor, notwendigen Reformen im Weg zu stehen?
A. Mundt: Unser Ziel ist es, soweit möglich die Trägervielfalt zu erhalten. Verschiedene Krankenhausträger stehen im Wettbewerb zueinander. Das ist zumeist kein Preiswettbewerb, aber wir sehen einen Qualitätswettbewerb zwischen Krankenhäusern. Als Patient bzw. als einweisender Arzt entscheiden Sie sich für das vermeintlich bessere Krankenhaus in ihrer Nähe. Der davon ausgehende Anreiz für die Häuser, bessere Qualität anzubieten als die Konkurrenz, nimmt ab, wenn es weit und breit nur noch ein Krankenhaus gibt.
RP: Alleine in Köln gibt es 22 Krankenhäuser. Ist das nicht zu viel?
A. Mundt: Es mag vielleicht 22 Standorte geben, wettbewerblich ist aber die Zahl der Krankenhausträger die entscheidende. Man kann nicht pauschal mit verschiedenen Zahlen operieren. Wir müssen uns in jedem Einzelfall die ganz konkrete Situation vor Ort ansehen und diese bewerten. Welche Alternativen gibt es für die Patienten tatsächlich? Welche Vorteile bringt eine angestrebte Fusion mit sich? In den vergangenen 16 Jahren haben wir bei über 300 Verfahren gerade mal in sieben Fällen eine Untersagung aussprechen müssen. Sie sehen also, dass wir notwendigen Reformen ganz und gar nicht im Wege stehen.
Reinhard Kowalewsky und Georg Winters führten das Gespräch.
Quelle: Rheinische Post vom 02.01.2020, Wirtschaft