"Unternehmen werden dämonisiert"

Welt am Sonntag: Herr Mundt, hat Ihnen Finanzminister Wolfgang Schäuble schon gedankt? Schließlich haben Sie ihm zuletzt durch hohe Kartellstrafen viel Geld in die Kassen gespült.

Andreas Mundt: Nein, das hat er nicht, und das muss er auch gar nicht. Kartelle aufzudecken ist schließlich unsere Aufgabe. Wobei uns funktionierende Märkte viel wichtiger sind, als Bußgelder zu verhängen. Das bringt Verbrauchern am Ende viel mehr.

Welt am Sonntag: Kartoffeln, Bier, Fahrstühle, zuletzt die Zuckerbranche – zocken Unternehmen über Preisabsprachen die Verbraucher häufiger ab als früher?

Andreas Mundt: Dass wir zuletzt so viele Kartellverfahren abgeschlossen haben, ist sicher auch ein Ergebnis der Reformen in unserem Haus. Das Bundeskartellamt ist in den vergangenen Jahren in der Kartellverfolgung schlagkräftiger geworden. Gleichzeitig hat sich die Kronzeugenregelung bewährt.

Welt am Sonntag: Also sind nur Sie besser geworden, die Unternehmen sprechen sich aber nicht häufiger ab?

Andreas Mundt: Die Frage ist schwer zu beantworten. Niemand kennt die Dunkelziffer. Ich glaube aber nicht, dass es heute mehr Kartelle gibt als früher. Spannender ist die Frage, ob es künftig weniger illegale Absprachen geben wird, also die mit unserer Arbeit verbundene Abschreckung greift. Und da bin ich guter Hoffnung. Aufgrund der vielen Verfahren und der hohen Bußgelder ist das Thema endgültig in den Chefetagen angekommen. Neben den Bußgeldern entsteht für die Kartellmitglieder ein großer Imageschaden, die verantwortlichen Manager müssen sich ebenfalls verantworten und Strafen zahlen. Das alles hinterlässt Eindruck.

Welt am Sonntag: Würden noch härtere Strafen Kartelle wirksamer verhindern?

Andreas Mundt: Ich denke, unser System passt. Wenn man die Sanktionen noch weiter verschärfen wollte, müsste man die Kartellbildung als Straftat einordnen und Gefängnisstrafen androhen. Das würde aber die Verfahren deutlich verkomplizieren. Weniger Kartellverfahren wären die Folge. Wie wirksam die Abschreckung ist, hängt ja nicht nur von der angedrohten Strafe ab, sondern auch davon, wie wahrscheinlich es ist, dass eine solche Strafe im Ergebnis auch verhängt wird. Ganz entscheidend ist auch die Entdeckungsgefahr. Und die ist gestiegen. Klar ist aber auch: Es wird immer Kartelle geben.

Welt am Sonntag: Wie stoßen Sie auf Kartelle?

Andreas Mundt: Eine wichtige Rolle kommt der Kronzeugenregelung zu. Inzwischen wird gut die Hälfte unserer Fälle durch Hinweise eines Kronzeugen ausgelöst. Das heißt, dass ein am Kartell beteiligtes Unternehmen mit uns kooperiert, um selbst straffrei aus der Sache rauszukommen. Wir gehen aber auch Hinweisen von Marktteilnehmern nach, Beschwerden von Verbrauchern, stellen eigene Marktermittlungen an und erhalten anonyme Hinweise. Auf das Feuerwehrfahrzeugkartell haben uns beispielsweise Kommunen aufmerksam gemacht, die gemeinsam Fahrzeuge angeschafft haben.

Welt am Sonntag: Können Sie verstehen, wenn Verbraucher sich angesichts der vielen Kartelle abgezockt fühlen?

Andreas Mundt: Man kann heutzutage eine weitverbreitete Skepsis gegenüber vielen Wirtschaftsakteuren beobachten. Diese Grundhaltung hat ihre Wurzel im Fehlverhalten einiger Banken und dem Ausbruch der Finanzkrise. Das daraus resultierende Misstrauen wird nun von breiten Teilen der Bevölkerung der gesamten Wirtschaft entgegengebracht, jetzt werden alle Unternehmen dämonisiert. Aber die Wirtschaft ist der Ast, auf dem wir sitzen. Das muss wieder in die Köpfe. Unser Lebensstandard, ein funktionierender Sozialstaat, der relative Wohlstand in Deutschland; all das ist eine unmittelbare Folge des Erfolgs unserer Unternehmen.

Welt am Sonntag: Sollte das Kartellamt zu einer Art Verbraucherschutzbehörde werden?

Andreas Mundt: Wir sagen immer, Wettbewerbsschutz ist der beste Verbraucherschutz. Aber in konkreten Konfliktfällen reicht das nicht. Hier setzen wir in Deutschland vor allem auf den zivilrechtlichen Verbraucherschutz. Es gibt jedoch Bereiche, in denen auch das nicht genug zu sein scheint. Nehmen Sie nur das Beispiel Massenbetrug im Internet. Eine flankierende behördliche Aufsicht für solche Bereiche würde Sinn machen.

Welt am Sonntag: Die könnten Ihnen noch mehr Konflikte einbringen. Zuletzt ist das Bundeskartellamt mit der EU aneinandergeraten. Sie wollten den Zusammenschluss von O2 und Telefónica prüfen, nun macht es die Kommission. Gibt es Spannungen zwischen der EU und Ihnen?

Andreas Mundt: Nein, eigentlich haben wir ein sehr gutes Verhältnis, wir arbeiten sehr eng zusammen. Eine Meinungsverschiedenheit in einem Fall bestätigt eher diese Regel, als dass sie Ausweis eines gestiegenen Spannungsverhältnisses wäre.

Welt am Sonntag: Sie wurden auch kritisiert, als Sie dem Online-Streaming-Dienst von ARD und ZDF „Germany Gold“ einen Riegel vorgeschoben haben. Verstehen Sie den Ärger?

Andreas Mundt: Nicht im Ansatz. Wir haben überhaupt nichts gegen einen gemeinsam betriebenen Streamingdienst. Aber wir haben etwas dagegen, wenn beide Anstalten vorher die Preise absprechen. Das sind Wettbewerber, mit Verlaub. Warum ist für das gemeinsame Betreiben einer Plattform Voraussetzung, dass „Tatort“ und „Derrick“ gleich teuer sind? Das kann mir kein Mensch erklären.

Welt am Sonntag: Dass zu Ostern die Spritpreise wieder steigen werden, ärgert die Autofahrer. Sie haben auf dem Markt nie ein Kartell nachweisen können. Haben Sie versagt?

Andreas Mundt: Auf den Tankstellenmärkten sind und waren Preisabsprachen nicht das Thema. Leider gibt es aber auch jenseits von illegalen Absprachen Gründe, warum der Wettbewerb nicht funktioniert. Das haben wir untersucht und dabei aufgedeckt, welche Mechanismen bei der Preissetzung der Konzerne greifen. In der Vergangenheit konnten die Marktführer Aral und Shell ungefährdet die Preise anheben, weil sie sich darauf verlassen konnten, dass alle anderen bald folgen. Dieses Muster ist Ausdruck von fehlendem Wettbewerb und misslich für die Autofahrer; es ist aber kein verbotenes Verhalten.

Welt am Sonntag: Sie haben eine App aufgelegt, mit der Autofahrer die Spritpreise checken können. Wie wird sie angenommen?

Andreas Mundt: Sehr gut. Bei den unter 45-Jährigen nutzen sie bereits bis zu 40 Prozent. Wenn genügend Autofahrer davon Gebrauch machen und ganz gezielt die jeweils günstigste Tankstelle ansteuern, wird das auch Einfluss auf die Preissetzung der Anbieter haben.

Welt am Sonntag: Brauchte man so eine App auch für den Strommarkt?

Andreas Mundt: Die gibt es ja eigentlich schon – über entsprechende Portale im Internet hat der Verbraucher bereits heute alle Möglichkeiten, die Preise der verschiedenen Anbieter zu vergleichen und nach Belieben zu wechseln. Es wird zwar auch in diesem Bereich eine Markttransparenzstelle geben, aber nicht für Verbraucher. Die Bundesnetzagentur und das Bundeskartellamt werden damit gemeinsam den Energiegroßhandel beobachten.

Welt am Sonntag: Die Stromerzeuger klagen über unrentable Kraftwerke und hohe Verluste. Berechtigt?

Andreas Mundt: Auf dem Strommarkt gibt es große Verzerrungen, die nicht markt-, sondern politikgetrieben sind. Es hat sich eine bizarre Subventionsmaschine entwickelt, die konventionelle Kraftwerksbetreiber in arge Bedrängnis bringt. Ich würde deshalb nicht von Jammern sprechen. Die Firmen weisen auf die Probleme der Energiewende hin. Es ist ja inzwischen auch weitgehender Konsens, dass bei der Förderung erneuerbarer Energien dringend etwas geschehen muss.

Welt am Sonntag: Was halten Sie von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriels Reformplänen für die Energiewende?

Andreas Mundt: Sie gehen in die richtige Richtung. Ich bedauere, dass seine Pläne so zerfleddert werden. Es wird schwierig sein, die Reform durchzusetzen. Da sind ganz dicke Bretter zu bohren. Inzwischen geht es bei den erneuerbaren Energien um jährliche Subventionen von über 20 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Beim Länderfinanzausgleich geht es um weniger als zehn Milliarden, und wir alle wissen, wie kontrovers und ergebnislos hier die Diskussionen verlaufen.

Welt am Sonntag: Zuletzt gab es bei der Strom- und Wasserversorgung eine Rekommunalisierung. Hat der Wettbewerb nicht funktioniert?

Andreas Mundt: Wettbewerb funktioniert immer, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Wir erleben ganz allgemein eine Renaissance des Kommunalen. Wir sehen das äußerst kritisch, weil mit einer Rekommunalisierung häufig auch eine Remonopolisierung einhergeht. Wir haben nichts dagegen, wenn sich Kommunen auf Strom-, Wasser- und Abfallmärkten tummeln, es gibt viele gute Stadtwerke. Nur sollen sie sich genau wie jedes andere Unternehmen im Wettbewerb behaupten müssen. Sobald wir zulassen, dass dieser Grundsatz ausgehebelt wird, steigen die Kosten, und die Zeche zahlt der Verbraucher.

Das Gespräch führte Martin Greive

Quelle: Welt am Sonntag vom 16.3.2014

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