"Ohne Hand und Fuß"

Der Präsident des Bundeskartellamts ist nicht immer um seine Arbeit zu beneiden, um seinen Dienstsitz aber sehr wohl: Andreas Mundt residiert im früheren Bundespräsidialamt in Bonn, einer prachtvollen Villa. Von hier aus macht er Jagd auf Kartellsünder. Und er setzt sich für mehr Wettbewerb im Energiesektor ein.

Frage: Herr Mundt, hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz "EEG" genannt ,in Deutschland noch eine Zukunft?

Andreas Mundt: Das Gesetz muss dringend grundlegend reformiert werden.

Frage: Wie soll das gehen? Wenn es konkret wird, erweisen sich Reformen oft als schwierig. Das ist zuletzt
auch beim EEG sehr deutlich geworden.

Andreas Mundt: Ich sehe aber in allen Parteien viel Gesprächsbereitschaft und habe die Hoffnung, dass Vernunft einkehrt. Nach den Bundestagswahlen im September könnte der geeignete Zeitpunkt für eine echte Reform des EEG gekommen sein.

Frage: Was stört Sie am EEG?

Andreas Mundt: Das EEG hat mit Wettbewerb nichts zu tun. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen ist komplett durchreguliert, und zwar ohne Hand und Fuß. Ich sehe einen Regulierungswust, aber keinen Markt.

Frage: Wo sehen Sie Ansätze für eine EEGReform?

Andreas Mundt: Wenn wir bei null anfangen könnten, wäre ein Quotenmodell wahrscheinlich sinnvoll. Doch wir stehen vor einem komplexen System und widerstreitenden Interessen. Für eine Verbesserung innerhalb des Systems gibt es viele Stellschrauben. Zunächst müsste man die Betreiber der Anlagen
noch viel stärker dazu verpflichten, den produzierten Strom selbst zu vermarkten, und zwar ohne Vollkasko-Absicherung. Es müsste sichergestellt werden, dass die Preissignale des Marktes unverfälscht bei den Erzeugern ankommen. Nur so kommt man weg vom "Produce and forget", der bisherigen Mentalität. Die weiter notwendige Förderung der Erneuerbaren kann wettbewerblich ausgestaltet werden, etwa in Form von Auktionsmodellen. Auch den Einspeisevorrang kann man getrost abschaffen. Die Bedeutung ist heute schon sehr gering und hat allenfalls marginalen Einfluss auf den Ausbau der Erneuerbaren. Es ist nicht der Mangel, sondern eher die Vielzahl an Lösungsmöglichkeiten, die Lösungen schwierig macht.

Frage: Was ist mit einem Moratorium für den Ausbau der Erneuerbaren, wie es etwa Wirtschaftsminister Rösler fordert?

Andreas Mundt: Angesichts der beängstigenden Lasten in Höhe dreistelliger Milliardenbeträge, die wir uns bis heute mit Förderzusagen aufgeladen haben, ist es sicher richtig, darüber nachzudenken. In der Kürze der Zeit ist ein solches Moratorium aber wahrscheinlich schwer umsetzbar. Grenzen beim Zubau sind möglich. Ich plädiere dafür, das Ausbautempo der Erneuerbaren stärker zu steuern und so an die anderen ebenso wichtigen Komponenten der Energiewende anzupassen. Ziel muss es sein, einen Gleichklang von Anteil der Erneuerbaren, Ausbau der Netze, Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks und sonstigen Flexibilitäten wie Lastmanagement und Speichern hinzubekommen.

Frage: Was ist mit der Entlastung der privaten Verbraucher? Ist das nötig?

Andreas Mundt: Man darf die Debatte über das System nicht auf die Verteilungsfrage reduzieren. Es muss in erster Linie darum gehen, dass das System für alle bezahlbar bleibt. Ich warne vor Lösungen wie Sozialtarifen. Die Abgrenzungsprobleme sind enorm, der bürokratische Aufwand ist es ebenfalls.

Frage: Wie stehen Sie zu den EEG-Ausnahmen?

Andreas Mundt: Die halte ich derzeit für zwingend notwendig. Für Unternehmen, die im weltweiten Wettbewerb stehen, sehe ich keine andere Lösung. Ohne derartige Ausnahmeregeln steht die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Branchen auf dem Spiel und damit viele Jobs. Langfristiges Ziel muss es sein, dass der Strom auch ohne diese Ausnahmen bezahlbar bleibt. Solange das nicht der Fall ist, müssen wir die Industrie entlasten.

Frage: Wäre es nicht konsequent, die EEG-Umlage abzuschaffen und die Energiewende über einen "Energie-Soli" und damit aus Steuermitteln zu finanzieren?

Andreas Mundt: Nein. Wir dürfen bei allen Debatten nicht vergessen, dass die Umlage eigentlich einen Lenkungseffekt haben soll, weil die Belastung mit dem Verbrauch korrespondiert. Daran sollte man festhalten.

Frage: Sie wollen mehr Markt. Aber ist es nicht gerade symptomatisch für die Energiewende, dass vom Markt nichts übrig bleibt?

Andreas Mundt: Das muss jedenfalls nicht so sein, und es sollte auch nicht so sein. Wenn man mal die EEG-Förderung gedanklich ausblendet, dann bleibt ein Markt für konventionell erzeugte Energie, der komplett wettbewerblich organisiert ist, aber nicht mehr funktioniert. Weil der Strom aus Wind und Sonne die Strombörsen flutet und die Preise in den Keller drückt, lässt sich mit konventionellen Kraftwerken kein Geld mehr verdienen. Das ist in der Tat ein Problem, das gelöst werden muss.

Frage: Wie?

Andreas Mundt: Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass wir mit der Sicherung der erforderlichen Erzeugungskapazitäten einen neuen Regulierungswahn ins Leben rufen. Die Kapazitätsmarktmodelle, die ich gesehen habe, sind äußerst komplex, beruhen auf unsicheren Prognosen und bergen damit die große Gefahr von Regulierungsversagen. Ich mahne daher zur Vorsicht.

Frage: Was ist die Alternative?

Andreas Mundt: Wir brauchen ein mikroinvasives Verfahren, das reversibel ist und sich eben nicht auf unsichere Prognosen stützt.

Frage: Warum sollte man sich nicht auf Prognosen verlassen?

Andreas Mundt: Meine Erfahrung ist, dass Prognosen im Energiesektor auf vielen unsicheren Annahmen fußen und sehr oft falsch liegen. Drei Beispiele. Der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat 2008 prognostiziert, 2015 würde ein Haushalt im Monat maximal fünf Euro für die erneuerbaren Energien bezahlen. Es sind heute bereits knapp 14 Euro. 2011 hat der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann gesagt, es sei völlig klar, dass Deutschland Netto-Stromimporteur werden würde. Auch diese Prognose ist nicht eingetreten. Viele sind 2011 davon ausgegangen, dass die Förderung der Erneuerbaren den Wert von 3,5 Cent je Kilowattstunde Strom nicht überschreiten werde. Heute sind wir bei 5,3 Cent, und nicht wenige Akteure aus der Energiewirtschaft halten einen Wert von sieben Cent im nächsten Jahr für durchaus möglich, wenn nicht wahrscheinlich.

Frage: Welches Verfahren wäre denn aus Ihrer Sicht "mikroinvasiv?"

Andreas Mundt: Ich propagiere eine strategische Reserve, bei der von konventionellen Kraftwerken gewisse Reservekapazitäten für Knappheitssituationen vorgehalten werden. Sie ist schnell einführbar, reversibel und relativ kostengünstig.

Frage: Ist das eine Dauerlösung?

Andreas Mundt: Zunächst einmal haben wir derzeit keine gesamtdeutsche Kapazitätslücke, sondern sogar Überkapazitäten. Möglicherweise laufen wir aber ab 2020 in eine Kapazitätslücke im einstelligen Gigawatt-Bereich. Für diesen Fall würde eine strategische Reserve als Absicherung dienen. Wie sich der Markt dann entwickelt und ob man ein Sicherheitsnetz überhaupt braucht, wird man sehen, dann aber auf einer wesentlich besser gesicherten Faktenlage. Ich würde auch Kapazitätsmärkte jedenfalls für die Zukunft nicht ausschließen wollen. Aber ich halte eine Einführung zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht, weil mir derzeit schlicht die Entscheidungsgrundlage für die Beantwortung der Frage fehlt, ob und inwieweit wir einen solchen Mechanismus tatsächlich brauchen. Eine strategische Reserve wird dazu beitragen, dass alte Kraftwerke länger laufen, statt eingemottet zu werden. Kein Investor wird jedoch ein neues Kraftwerk bauen. Es kommt auf die Preissignale in der Zukunft an. Das derzeit niedrige Preisniveau an der Strombörse hängt auch mit den im Markt bestehenden Überkapazitäten zusammen. Die werden über die nächsten Jahre sicher abgebaut. Dann können sich in Spitzenzeiten auch wieder höhere Preise ergeben. Ich bin überzeugt, dass sich daraus für den Zubau von Kraftwerken in einigen Jahren wieder andere Bedingungen ergeben können.

Frage: Kraftwerksbetreiber haben in diesen Tagen reihenweise Kraftwerksstilllegungen angekündigt. Soll so die Politik unter Druck gesetzt werden?

Andreas Mundt: Das sehe ich nicht so. Wir wissen alle, dass die Unternehmen Schwierigkeiten haben, manche Kraftwerke profitabel zu betreiben. Mein Eindruck ist sogar, dass nicht wenige Kraftwerke derzeit noch am Netz sind, weil man sie über den 22. September retten will. Nach den Wahlen erhofft man sich eine Lösung des Problems.

Frage: Mit der von Ihnen propagierten strategischen Reserve wird wieder ein Stück Markt aus dem Kuchen herausgeschnitten. Läuft das nicht Ihren Grundsätzen zuwider?

Andreas Mundt: Wir wollen gerade einen Dammbruch verhindern. Mit der strategischen Reserve bleibt der Energy-only-Markt weitgehend unangetastet. Wir verzichten aber darauf, den kompletten Markt mit dem Konstrukt eines Kapazitätsmarktes zu überziehen, der gigantische Bürokratie und wahnsinnigen Regulierungsaufwand schaffen würde.

Frage: Wie bewerten Sie denn die Entwicklung auf den Ebenen Verteilung und Vertrieb?

Andreas Mundt: Auf der Vertriebsebene gibt es regen Wettbewerb, den jeder Verbraucher nutzen kann. Diese Entwicklung ist sehr erfreulich. Anders verhält es sich auf der Netzebene. Der Versuch vieler Kommunen, sich mit dem Betrieb des Verteilnetzes Einfluss auf die Energiepolitik zu sichern, führt in die Irre. Wir sprechen hier über ein vollständig durchreguliertes Geschäft. Der Netzbetrieb ist als Spielfeld für die Umsetzung energiepolitischer Ziele ungeeignet. Außerdem führt die Rekommunalisierung der Netze oft zu Ineffizienzen. Kleine Netze lassen sich einfach nicht so effizient bewirtschaften.

Herr Mundt, vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führten Dieter Fockenbrock und Klaus Stratmann in Bonn.

Quelle: Handelsblatt am 25.07.2013.

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