"Das ist per se nichts Schlechtes"

Sowohl den Privaten als auch den Öffentlich-Rechtlichen blieb der Start einer Online-Plattform für TV-Inhalte verwährt. Kein Wunder, dass die TV-Branche nicht gut auf Andreas Mundt und sein Team zu sprechen ist. Gegenüber DIGITAL INSIDER erklärt der Präsident des Bundeskartellamts, wie es zu den Entscheidungen kam, was er von ausländischen Online-VoD-Anbietern hält und ob das Wettbewerbs- und Kartellrecht reformiert werden muss.

DIGITAL INSIDER: Herr Mundt, Sowohl Germany's Gold als auch Amazonas sind gescheitert. Wie weit geht Ihr Verständnis für den Unmut der betroffenen Medienunternehmen?

Andreas Mundt: Aus unserer Sicht hätten beide Plattformvorhaben nicht scheitern müssen. Wir haben immer wieder betont, dass eine gemeinsame technische Plattform möglich ist und lediglich wettbewerbsbeschränkende Regelungen bei dem Betrieb einer gemeinsamen Plattform zu vermeiden sind. In unseren Verfahren haben wir deutlich gemacht, worum es sich hierbei handelte. Die Amazonas-Plattform war zum Beispiel von vornherein nicht als offene Plattform angelegt, sondern beschränkte den Kreis der Anbieter neben RTL und ProSiebenSat.1 auf wenige kleinere TV-Sender. Auch bei Germany’s Gold ging es über den Betrieb einer gemeinsamen technischen Plattform hinaus, konkret den gemeinsamen Vertrieb über die Plattform, mit dem schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen verbunden gewesen wären. Bei beiden Vorhaben haben sich die Beteiligten geweigert, die vermeidbaren Wettbewerbsbeschränkungen zu beseitigen. Es leuchtet mir zum Beispiel beim besten Willen nicht ein, warum die gebührenfinanzierten ARD und ZDF ihre Preise abstimmen müssen, bevor sie dem Verbraucher ihre Produkte über VoD anbieten.

DIGITAL INSIDER: Auf den Medientagen München haben Vertreter der Medienunternehmen eine Reform des Kartell- und Wettbewerbsrechts gefordert. Sehen Sie hier angesichts eines immer globaler werdenden Marktes, in dem sich deutsche Medienunternehmen bewegen, Handlungsbedarf oder ist das Kartell- und Wettbewerbsrecht, so wie es jetzt ist, aus Ihrer Sicht für derlei Marktentwicklungen ausreichend?

Mundt: Das geltende Kartellrecht bringt die nötige Flexibilität mit, auch sehr dynamischen Marktentwicklungen gerecht zu werden. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass das Gesetz gerade keine bestimmte Sicht auf einen Markt festschreibt. Im Gegenteil, es setzt die genaue Analyse der tatsächlichen Marktverhältnisse und der absehbaren Entwicklungen voraus, damit anschließend die Frage beantwortet werden kann, was zum Schutze des Wettbewerbs unter diesen Umständen jeweils notwendig ist.

DIGITAL INSIDER: Ein Kritikpunkt aus der Medienindustrie ist die Marktdefinition des Kartellamts. Die dynamische Entwicklung des Medienmarktes würde nicht berücksichtigt, heißt es. Muss das Kartellamt seine Sicht auf den oder die Märkte, um die es bei Germany's Gold und Amazonas ging, überprüfen?

Mundt: Wir überprüfen dies in jedem Fall neu und analysieren immer wieder sehr sorgfältig die Entwicklung der Medienmärkte. Im Fall Germany’s Gold zum Beispiel war aber die Marktdefinition gar nicht das entscheidende Thema. Wenn zwei Wettbewerber, wie ARD und ZDF es nun einmal sind, gemeinsam die Preise für ihre Produkte festlegen wollen, stellt das einen Verstoß dar und dies unabhängig von der Definition des relevanten Marktes. Mit solchen massiven Wettbewerbsbeschränkungen darf den Herausforderungen des Medienwandels in keinem Fall begegnet werden. Bei Amazonas haben wir im Einzelnen die Bedeutung von Online-Video-Werbung ermittelt und perspektivisch als Teil des Fernsehwerbemarktes angesehen. Hiergegen hatten sich die Beteiligten angesichts ihrer schon jetzt erreichten hohen Marktanteile in dem Bereich sogar gewehrt.

DIGITAL INSIDER: Germany's Gold hätte eine Chance gehabt, wenn die beteiligten Unternehmen der Forderung des Kartellamts gefolgt wären, sich auf einen rein technischen Plattformbetrieb zu verständigen. Ist diese Forderung nicht etwas realitätsfremd? Schließlich handelt es sich um Inhalteanbieter und nicht um IT-Firmen. Welches Interesse sollte jemand am technischen Betrieb haben, der vornehmlich Inhalte verbreitet?

Mundt: Ich glaube, Germany's Gold hatte sogar eine gute Chance. Dass der Betrieb einer technischen Plattform auch für Inhalteanbieter eine Option ist, können Sie am Beispiel Amazonas gut sehen. Dort war genau das vorgesehen. Die Pläne der Privaten sahen allerdings zusätzliche Absprachen über die Beschränkung des Zugangs und andere Elemente der Inhaltsstrategie vor, die kartellrechtlich nicht akzeptabel waren. Diese Vereinbarungen wären gut abtrennbar gewesen, die Unternehmen haben deren Beseitigung letztlich verweigert. Auch eine Vertriebsplattform wie sie ARD und ZDF geplant hatten, beinhaltet im Übrigen unvermeidlich eine technische Plattform. Den eigentlichen technischen Betrieb kann man in beiden Fällen auf einen IT-Dienstleister auslagern.

DIGITAL INSIDER: Die Kritik der Medienunternehmen richtet sich zwar gegen die Entscheidungen Ihres Hauses, in der Verantwortung sieht die Industrie aber die Medienpolitik, die für einen Rechtsrahmen sorgen muss, der der Medienkonvergenz gerecht wird. Welchen Beitrag kann hierzu das Kartellamt leisten?

Mundt: Eine gute Medienpolitik muss jedenfalls dafür Sorge tragen, dass der Wettbewerb gerade in dem besonders sensiblen Bereich der Medien geschützt und nicht ausgeschaltet wird. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass die wettbewerblichen Chancen der Digitalisierung auch genutzt werden und die Unternehmen sich hierauf einstellen und nicht - wie wir häufig beobachten - in erster Linie den Schutz ihrer überkommenen Geschäftsmodelle der alten Welt verfolgen und ihre Monopolstellungen in die neue Welt zu übertragen versuchen.

DIGITAL INSIDER: Inwiefern erwarten Sie von den Marktteilnehmern, dass sie auf Sie zugehen und so etwas wie Marktmonitoring betreiben?

Mundt: Ich möchte die Unternehmen vor allem ermuntern, frühzeitig Kontakt mit uns aufzunehmen, wenn sie ein großes Projekt mit möglichen Wettbewerbsproblemen planen. Auf diese Weise kann auch die Suche nach Lösungswegen frühzeitig beginnen.

DIGITAL INSIDER: Germany's Gold wollte Gedächtnis für 60 Jahre deutsche Fernsehgeschichte sein. Jetzt erwartet jeder, dass Netflix und Hulu in den Markt eintreten. Jürgen Brautmeier, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), fürchtet daher um die eigene kulturelle Vielfalt. Auch wenn solche Gedanken in Ihrer Arbeit fürs Kartellamt keine Rolle spielen, was wäre Ihnen als TV-Zuschauer lieber: Ein Anbieter wie Netflix, der TV-Juwelen wie Loriot oder den "Tatort" präsentiert oder eine Plattform deutscher TV-Häuser, die ihre Inhalte in Eigenregie online anbieten können?

Mundt: Ich möchte nochmals klarstellen, dass das Bundeskartellamt weder die privaten Sendergruppen noch die Sendeanstalten daran hindert, ihre Inhalte online anzubieten und in den Wettbewerb mit anderen Anbietern zu treten. Wenn darüber hinaus Hulu, Netflix oder andere tatsächlich in Deutschland aktiv werden, würde das zunächst einmal den Wettbewerb beleben und für mehr Vielfalt sorgen. Das ist per se nichts Schlechtes. Auch als Zuschauer freut mich das, denn für mich bedeutet das mehr Auswahl und günstigere Preise. Ich mache mir auch keine Sorgen, dass ich Loriot oder den "Tatort" nicht mehr sehen kann, wenn ich das will. Warum sollte ein Anbieter auf Inhalte verzichten, die die Zuschauer sehen wollen? Er wäre ja sehr kurzsichtig, wenn er das täte. Dafür lassen sich auch kartellrechtskonforme Geschäftsmodelle finden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Quelle: digitalfernsehen.de am 20.12.2013.

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