"Wer muss auf die Reservebank?"

Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamtes, rät zu einem stufenweisen Übergang in eine neue Energiewirtschaft. Ob dann ein Kapazitätsmechanismus notwendig ist, sollte sich aus der Entwicklung ergeben.

BDEW: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Diskussion um ein neues Marktdesign? Hat das noch viel mit Marktwirtschaft zu tun? Läuft das dem Hüter über den Wettbewerb zu sehr in die falsche Richtung?

Mundt: Die Energiewirtschaft muss auch in Zukunft marktwirtschaftlich organisiert sein. Es ist einfach nicht möglich, einen so komplexen Markt wie den Energiemarkt durchzuregulieren. Die Energiewende kann nicht vom Staat ausgestaltet werden. Das können die Marktteilnehmer viel besser und effektiver. Aufgabe des Staates ist es, dafür die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen und wettbewerbliche Elemente zuzulassen.

BDEW: Der Trend scheint aber gegenwärtig eher in Richtung noch mehr Regulierung zu laufen.

Mundt: Vor allem im Rahmen der Förderung der Erneuerbaren Energien hat man von Beginn an nur auf staatlich gesetzte Anreize vertraut. Das mag zu Beginn angemessen gewesen sein, kann aber sicher keine Dauerlösung sein. Eine Reform ist überfällig und sie wird nach der Wahl auch kommen. Aber eine solche Reform braucht einen klaren Kompass. Und dieser Kompass kann nur Wettbewerb heißen. Wenn die Marktteilnehmer die künftige Richtung anhand einer klaren ordnungspolitischen Linie einschätzen können, dann vertragen sie bei auftretenden Fehlentwicklungen auch schon einmal kleine Kurskorrekturen.

BDEW: Hören wir hier eine leichte Kritik an der Energiepolitik der letzten Jahre heraus?

Mundt: Die Energiewende ist ein riesiges Projekt. Fehlentwicklungen in der Energiewirtschaft sind auch deshalb so schwer zu erkennen gewesen, weil die Prognosen oft völlig falsch waren. So ist der Ausbau der Erneuerbaren viel schneller gegangen als ursprünglich vermutet. Dies hat zu den bekannten Problemen beim Netzbetrieb und der konventionellen Erzeugung geführt. Außerdem sind die Preise durch die hohen Kostensteigerungen bei der EEG-Umlage aus dem Ruder gelaufen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Marktakteure vieles besser machen würden, als es die Politik planen kann. Deshalb braucht die Energiewende mehr wettbewerbliche Elemente.

BDEW: Ist Ihr klares Bekenntnis zur marktwirtschaftlichen Orientierung in der Energiepolitik zugleich ein Appell für so wenig Regulierung wie möglich?

Mundt: Ich bin gewiss nicht blauäugig. Bestimmte staatliche Eingriffe sind im Energiesektor unvermeidlich. Es ist bereits so viel reguliert worden, dass man jetzt nicht einfach alles dem Markt überlassen kann. Markt und Regulierung müssen aber ineinander greifen, miteinander verzahnt werden. Die Regulierung aus dem EEG jetzt auch noch auf die konventionelle Erzeugung zu übertragen, wäre ein großer Fehler. Es muss möglichst das Umgekehrte passieren: Die bisher wettbewerbliche Struktur des Energiemarktes muss auf das EEG übertragen werden.

BDEW: Wo sehen Sie die wichtigsten Ansatzpunkte für eine stärkere wettbewerbliche Ausrichtung des EEG?

Mundt: Erstens ist der Einspeisevorrang entbehrlich. Zumal er auch keine entscheidende Rolle mehr spielt. Das Zweite ist, dass man zur Direktvermarktung übergeht. Die EEG Betreiber müssen sich genau wie andere Erzeuger nach Angebot und Nachfrage richten. Das hätte auch den Nebeneffekt, dass sich EEG-Anlagenbetreiber, die in der Pflicht stünden zu liefern, um Ersatzkapazitäten kümmern müssten, wenn ihre Anlage mal keinen Strom liefern kann. Das wiederum hätte positive Auswirkungen auf den konventionellen Kraftwerksmarkt, und zwar ohne dass man dies regulieren müsste. Drittens wird es zwar ohne Förderung nicht gehen, aber das Fördersystem müsste deutlich wettbewerblicher ausgestaltet werden. Denkbar ist beispielsweise ein Umstieg auf ein sorgsam konzipiertes Versteigerungsmodell.

BDEW: Käme für Sie auch ein Quotenmodell infrage, wie es beispielsweise die Monopolkommission in ihrem jüngsten Gutachten vorgeschlagen hat?

Mundt: Wenn wir auf der grünen Wiese beginnen würden, wäre dies unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten das richtige Modell. Ich halte es aber für schwierig, neben dem weiterwirkenden heutigen EEG-Modell ein völlig neues System zu etablieren. Ein solcher abrupter Systemwechsel dürfte, auch unter politischen Gesichtspunkten, nur sehr schwer möglich sein. Auch um ganz am Ende der Diskussion zu einem notwendigen Konsens mit allen Beteiligten zu gelangen, halte ich es für zielführender, hier die Stellschrauben, die das heutige System bietet, in die richtige Richtung zu drehen.

BDEW: Soll man schnell drehen oder mit Gefühl?

Mundt: Es ist bislang auch die beachtliche Geschwindigkeit der Energiewende, die uns vor große Probleme stellt. Je schneller der Prozess abläuft, umso schwieriger ist er zu beherrschen. Eine gewisse Steuerung des Ausbautempos würde auf vielen Gebieten den Anpassungsprozess erleichtern. Der technische Fortschritt, zum Beispiel bei der Speichertechnologie, könnte zielführender eingebunden werden. Die Probleme der Netzanbindung und Übertragung hätten mehr Zeit, um gelöst zu werden. Es würde auch die Einbettung des Prozesses in die europäische Entwicklung erleichtern.

BDEW: Für den Übergang müssen aber Vorkehrungen getroffen werden, damit weiterhin die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Sie favorisieren hierfür die sogenannte Strategische Reserve.

Mundt: Wenn tatsächlich ein solcher Bedarf besteht, würden wir ein Modell favorisieren, das den Markt so wenig wie möglich beeinträchtigt und wettbewerblich ist. Auch sollte es reversibel sein, für den Fall, dass die Entwicklung anders verläuft als prognostiziert. Diese Ansprüche erfüllt das Modell der Strategischen Reserve recht gut. Es greift, lassen Sie es mich so sagen, ‚mikroinvasiv‘ in den Markt ein, lässt Wettbewerb zu, man kann punktuell nachsteuern und es versperrt nicht die Optionen für die Zukunft.

BDEW: Eine staatliche Instanz müsste aber feststellen, wie hoch die Reserve sein soll.

Mundt: Ganz ohne regulatorische Festlegungen kommt natürlich auch eine Strategische Reserve nicht aus. Die Frage ist aber stets, wie stark man in den Markt eingreift, um ihn funktionsfähig zu halten. Dies ist bei einer Strategischen Reserve im Vergleich zu Kapazitätsmärkten deutlich weniger der Fall.

BDEW: Können wir es uns denn angesichts der langen Investitionszeiten in der Energiewirtschaft leisten, mit der Formulierung eines nachhaltigen und für lange Zeit dann auch geltenden Modells eines neuen Marktdesigns uns noch Zeit zu lassen?

Mundt: Noch sind Prognosen, die eine Kapazitätslücke vorhersagen, mit ganz erheblichen Unsicherheiten behaftet. Der Markt weist zudem nicht unerhebliche Überkapazitäten auf. Wir plädieren daher dafür, stufenweise vorzugehen. Zunächst sollte der Energy Only Markt fortentwickelt und vor allem die Reform des EEG angegangen werden. Allein dies verändert den heutigen Markt erheblich. Wenn erforderlich, kann man in einer zweiten Stufe die Versorgungssicherheit mit einer Strategischen Reserve absichern. Und wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, sollte man in einer dritten Stufe als Ultima Ratio einen Kapazitätsmarkt einführen. Möglicherweise reichen aber ja schon die Preissignale in einem weiterentwickelten Energy Only Markt aus, um die Investitionen, die wir für die Zukunft benötigen, auszulösen. Die Möglichkeiten des bisherigen Marktdesigns mit einem veränderten EEG halte ich bei weitem nicht für ausgeschöpft.

BDEW: Dennoch wird – auch in der Politik – über einen Kapazitätsmarkt nachgedacht. Welchen Kriterien müsste der denn folgen?

Mundt: Er muss so viele wettbewerbliche Elemente enthalten wie möglich. Er muss europäisch ausgerichtet sein. Nationale Kapazitätsmärkte können im europäischen Binnenmarkt zu erheblichen Marktverzerrungen führen. Ein Kapazitätsmarkt muss für alle Flexibilitäten – auch Lastmanagement und Speicher – Anreize bereithalten, also nicht nur die Erzeuger, sondern auch die Nachfrageseite berücksichtigen. Schließlich muss er technologieneutral und transparent sein, damit sich der Wettbewerb auch entfalten kann.

BDEW: Entspricht ein Leistungsmarkt Ihren Anforderungen?

Mundt: Ich will jetzt für kein Modell eine Lanze brechen, doch kann ich mir vorstellen, dass die Idee von dezentralen Leistungsmärkten bei der Konzeption eine Rolle spielen kann, falls sich Kapazitätsmärkte auch nach den ersten Reformstufen als unabweisbar erweisen sollten.

BDEW: Wird die europäische Dimension bei der gegenwärtigen Diskussion genügend gewürdigt?

Mundt: Die Kommission hat hier nicht so viele Kompetenzen. Aber ich hielte eine stärkere Rolle der EU-Kommission für sinnvoll. Bislang hört man viele Mahnungen aus Brüssel, aber die Kommission müsste die verschiedenen Akteure jetzt an einen Tisch bringen. Ich weiß, dass das schon in Deutschland schwierig genug ist angesichts der sehr unterschiedlichen Interessen und Ausgangsbedingungen. Aber versuchen muss man es, denn nationale Alleingänge sind bei vielen der anstehenden Fragen und Probleme nicht sinnvoll und konterkarieren die Erfolge, die wir bislang auf den europäischen Strommärkten erarbeitet haben.

Das Gespräch führt Wolf-Dieter Michaeli.

Quelle: BDEW-Magarzin "Streitfragen!", Aufgabe 03/2013

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