„Hartes Verhandeln muss erlaubt bleiben“

Lebensmittel Zeitung (LZ): Herr Mundt, wann haben Sie zuletzt in einem Warenhaus eingekauft?

Andreas Mundt (AM): Ich gehe regelmäßig in die Stadt und dann gehe ich auch mal in ein Warenhaus. Wir haben in Bonn einen Kaufhof und einen Karstadt in unmittelbarer Nähe zueinander und es gibt halt einige Dinge, die bekommt man gut im Kaufhaus.

LZ: Was schätzen Sie, wie ist das Verhältnis von online und stationären Einkäufen in Ihrem Haushalt?

AM: Das ist verteilt. Die jüngere Generation bei uns zu Hause kauft sicher etwas mehr online, aber auch stationär ein. Bei mir ist es eher umgekehrt. Generell sind wir in beiden Kanälen unterwegs.

LZ: Sie haben gesagt, dass die Prüfung der Fusion von Karstadt und Kaufhof ein „aufwendiges und umfangreiches“ Verfahren wird. Macht das Internet den Warenhäusern nicht genug Konkurrenz?

AM: Inhaltlich kann ich zu dem laufenden Verfahren gar nichts sagen. Aber ganz abstrakt ist klar, dass wir uns in Einzelhandelsfällen die einzelnen Sortimentsmärkte anschauen müssen, genauso wie die Distributionskanäle, in denen diese Sortimente vertrieben werden. Außerdem haben wir es bei solchen Prüfungen mit einer Vielzahl von regionalen Märkten zu tun. Auch auf das Verhältnis gegenüber den Lieferanten müssen wir einen Blick werfen. Und wir müssen das Verhältnis von online zu stationärem Verkauf klären. All das muss mit der gebotenen Sorgfalt untersucht werden. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens müssen wir einfach eine solide begründete Entscheidung treffen.

LZ: Der Online-Handel wächst aber doch rasant, während die Warenhausbetreiber zunehmend an Bedeutung einbüßen. Ist da wirklich eine aufwendige Prüfung erforderlich?

AM: Wie sind denn die Marktanteile tatsächlich verteilt? Für Parfümerieartikel haben wir uns das zuletzt bei der Fusion Douglas/Akzente genauer angeschaut. Douglas und Akzente haben zusammen online rund 35 Prozent Marktanteil, Amazon bis zu 15 Prozent und die Amazon Marketplace-Händler kommen auf insgesamt 30 Prozent. Bei Kosmetik und Parfüm ist der Anteil des Onlinehandels am Gesamtumsatz aber immer noch sehr gering. Es wird interessant zu sehen, wie sich diese Verteilung bei anderen Warengruppen darstellt.

LZ: Gegen das Online-Warenhaus Amazon ermittelt die EU-Kommission inzwischen, wegen des Verdachts, die Daten der Marktplatz-Händler wettbewerbswidrig zu nutzen. Plant auch das Bundeskartellamt
Verfahren gegen Amazon?

AM: Das Geschäftsmodell von Hybrid-Plattformen birgt generell ein hohes Missbrauchspotenzial. Wenn eine Plattform selbst Waren oder Dienstleistungen anbietet und dies gleichzeitig Drittanbietern ermöglicht, gibt es immer Konfliktpotenzial. Wir erhalten derzeit viele Beschwerden über die Geschäftsbedingungen von Amazon. In welcher Form wir die Problematik aufgreifen, steht noch nicht fest. Der Bereich E Commerce ist jedenfalls ganz zentral in unserer Arbeit als Wettbewerbsbehörde. Wir wollen das Verhältnis zwischen Online- und stationärem Handel mitgestalten – und den Zugang zu den Märkten offenhalten.

LZ: Das Kartellamt wollte auch den Zugang zu den Online-Plattformen für kleine und mittlere Händler offenhalten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Coty-Fall jedoch entschieden, dass Hersteller ihren Händlern den Vertrieb über Amazon, eBay & Co. verbieten dürfen. Wie bewerten Sie die Entscheidung?

AM: Üblicherweise besteht Klarheit nach einer EuGH-Entscheidung. Im Falle von Coty ist dies nicht der Fall. Es sind viele Fragen offen, etwa, ob die Entscheidung nur Luxusgüter betrifft, und wie man den Begriff Luxusgut überhaupt definieren kann. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof im Asics-Urteil die Bedeutung der Auffindbarkeit des Händlers im Internet für den Wettbewerb betont. Zumindest in Deutschland sind Drittplattformen für sehr viele Händler der zentrale Absatzkanal. Hier besteht die Gefahr, dass Verbote dazu führen, dass der Kunde im Internet bald nur noch die Wahl hat zwischen dem Herstellershop, Amazon und vielleicht ein paar anderen ganz großen Händlern. Und die kleinen Händler werden marginalisiert oder ganz aus dem Markt gedrängt.

LZ: Reicht das bestehende Kartellrecht Ihrer Auffassung nach denn aus, um die Dynamik der Digitalisierung und der Plattform-Ökonomie in den Griff zu bekommen oder braucht es neue Regeln?

AM: Wir, andere europäische Wettbewerbsbehörden und die EU-Kommission sind gerade dabei, die notwendigen Leitplanken einzuziehen. Es gibt die ersten Google-Entscheidungen der EU-Kommission. Wir haben die Best-Preis-Klausel von Amazon gekippt, gestalten E-Commerce-Regeln mit, befassen uns mit der Schnittstelle zwischen Datenschutz und Wettbewerb in unserem Verfahren gegen Facebook, die Kommission ermittelt gegen Amazon. Die zentralen Fragen können grundsätzlich mit den bestehenden Instrumenten angegangen werden. Natürlich
sollten wir dennoch über mögliche Verbesserungen diskutieren. Insbesondere sollten wir nach Wegen suchen, wie wir schneller und effizienter werden können. Handlungsbedarf gibt es auch beim Thema Daten – wer darf sie, wann und wie nutzen? Und bei der Sicherstellung des Verbraucherschutzes in der digitalen Welt.

LZ: Zum Verbraucherschutz hat das Kartellamt doch bereits neue Befugnisse erhalten und Sektoruntersuchungen etwa zu den Vergleichsportalen eingeleitet. Was fehlt?

AM: Wir können jetzt in Verbraucherschutz-Themen Sektoruntersuchungen durchführen und vor den Zivilgerichten auftreten, allerdings hat das Bundeskartellamt in diesem Bereich bislang keine Eingriffsbefugnisse.

LZ: Soll das Kartellamt eine Super-Verbraucherschutz-Behörde werden?

AM: Nein. Der Verbraucherschutz ist in Deutschland bereits sehr gut aufgestellt. Es gibt aber vor allem in der digitalen Welt Konstellationen, in denen behördliche Ermittlungsbefugnisse erforderlich sind, weil man ohne sie nicht weiterkommt. Für uns kommen auch nur solche Fälle in Betracht, bei denen eine Vielzahl von Verbrauchern betroffen ist. Wir wollen keine Super-Behörde werden, die auch kleinere Verstöße verfolgt.

LZ: Kommen wir noch einmal zum stationären Handel. Die Markenartikelhersteller beklagen sich über die Konditionsforderungen der europäischen Handelsallianzen AgeCore, Coopernic & Co.. Der Streit zwischen Edeka und Nestlé sorgte für Schlagzeilen. Der Markenverband spricht von „Anzapf- Allianzen“ und prüft eine Beschwerde. Was unternimmt das Kartellamt?

AM: Ich frage Sie: Sind hier Edeka oder Nestlé wirklich auf behördlichen Schutz angewiesen oder reden wir vielmehr von Augenhöhe? Wenn uns eine fundierte Beschwerde erreicht, werden wir sie prüfen. Aber nicht überall dort, wo mit harten Bandagen gerungen wird und einer nachgibt, liegt schon Missbrauch von Marktmacht vor. Hartes Verhandeln ist erlaubt.

LZ: Im Fall der Hochzeitsrabatte von Edeka hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Entscheidung des Kartellamts zum sogenannten Anzapfverbot bestätigt und eine Grenze zwischen hartem Verhandeln und Missbrauch gezogen. Was sind die Lehren aus dem Grundsatzurteil?

AM: Zunächst einmal, dass die Durchsetzung des Anzapfverbots möglich ist. Es war der erste Fall zu dieser Vorschrift. Nun wissen die Unternehmen: Wenn der Bogen überspannt ist, kommt das Bundeskartellamt. Für die Grenze zwischen hartem Verhandeln und Missbrauch von Marktmacht stellt die Entscheidung klare Leitlinien auf.

LZ: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Bemühungen der EUKommission, „unfaire Handelspraktiken in der Lebensmittellieferkette“ in einer Richtlinie zu regulieren?

AM: Wir haben in Deutschland mit dem Anzapfverbot und der BGH-Entscheidung einen guten Rahmen. Die Kommission hat aber ganz Europa im Blick und sieht andere Bedarfe. Ich halte den Ansatz, einzelne Praktiken zu verbieten, wie es der Kommissionsentwurf vorsieht, eher für problematisch. Die vertragliche Gestaltungsfreiheit muss erhalten bleiben. Man darf auch hier den Bogen nicht überspannen. Wir bringen uns auch in diesem Sinne in die Diskussion ein. Was bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene herauskommt, müssen wir mal schauen.

LZ: In der vergangenen Woche verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf das Unternehmen Wiltmann wegen der Beteiligung am Wurstkartell. Sind Sie erleichtert?

AM: Mit diesem Verfahren stand der gesamte Fall vor Gericht. Insofern bin ich froh über die Entscheidung. Der Tatvorwurf ist bestätigt worden.

LZ: Der Senat warf dem Kartellamt eine „rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung“ vor und kritisierte deutlich Verfahrensfehler des Amtes, weil Gericht und Staatsanwaltschaft Vorgänge im Ermittlungsverfahren verschwiegen wurden.

AM: Es sind Fehler gemacht worden, da will ich nichts beschönigen. Der Fall liegt über zehn Jahre zurück. Wir haben inzwischen viele Maßnahmen ergriffen, damit sich so etwas nicht wiederholen kann.

LZ: In der Kritik steht auch die sogenannte Verböserungspraxis des Oberlandesgerichts. Im Fall Rossmann versechsfachte das Gericht die Geldbuße von 5 auf 30 Millionen Euro. Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Kartellamts können im Grund nur noch inhabergeführte Unternehmen riskieren. Ist das nicht rechtsstaatlich bedenklich?

AM: Unser Bußgeldsystem ist gekennzeichnet von einer unabhängigen Feststellung des Sachverhalts und einer eigenständigen rechtlichen Bewertung durch das Gericht. Das gewährleistet für die Betroffenen einerseits einen weitestmöglichen Rechtsschutz, aber andererseits ist damit eben auch die auch Möglichkeit der „Verböserung“ verbunden. Das liegt in der Logik dieses deutschen Systems. Wir sind uns dennoch der Problematik bewusst. Vielleicht finden wir im Rahmen der 10. GWB-Novelle eine kluge gesetzliche Regelung, um mehr Kohärenz zu erreichen

Das Interview führte Hanno Bender.

Quelle: Lebensmittel Zeitung-Ausgabe 41 vom 12. Oktober 2018, Seite 25-27, mit dem Artikel „Hartes Verhandeln muss erlaubt bleiben“.

PDF-Datei des Interviews:

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