"Über Macht"

W&V: Herr Mundt, haben Sie Facebook als App auf dem Startscreen Ihres Smartphones?

Mundt: Ja. Ich mache bei vielem mit, weil ich wissen will, wie es funktioniert. Aber ich bin ein extrem inaktiver Nutzer.

W&V: Das Landgericht Berlin sagt, es sei nicht irreführend, wenn Facebook damit wirbt, kostenlos zu sein. Aber Facebook refinanziert sich, indem aggregierte Nutzerdaten in Form einer Werbeplattform vermarktet werden. Das heißt: Personenbezogene Daten sind durchaus wertvoll. Wie kann man diesen Wert konkret messen?

Mundt: Das ist eine gute Frage. In unserem Facebook-Verfahren untersuchen wir die wettbewerbliche Bedeutung von Daten. Klar ist, dass sie für zahlreiche Unternehmen einen großen Wert haben. Im Internet ist nichts umsonst. Selbst wenn man ein Hotelzimmer scheinbar kostenlos bucht. Der Hotelbetreiber zahlt dafür, dass er sein Angebot einstellen darf. Diese Gebühr steckt im Preis, den der Gast bezahlt. Der zweite Faktor ist die „Bezahlung“ in Form von Daten, die der Gast beim Buchungsvorgang zur Verfügung stellt.

W&V: Damit sind wir wieder bei Ihrem Verfahren gegen Facebook. Der Vorwurf lautet: Konditionenmissbrauch. Mit welchem Ansatz gehen Sie an Facebook heran?

Mundt: Wir prüfen, ob die Bedingungen, die Facebook gegenüber den Nutzern aufstellt, unangemessen sind. Der Nutzer muss vorbehaltlos zustimmen, dass seine Daten erhoben werden, dass sie verwendet werden, dass sie weitergegeben werden, dass sie für Werbung genutzt werden.

W&V: Ja, das klingt nach Zwang.

Mundt: Ich würde das so nicht ausdrücken. Aber wir müssen über die Freiwilligkeit der Datenhergabe sprechen, weil Facebook unserer Auffassung nach ein marktbeherrschendes Unternehmen ist. Wenn ich ein Social Network nutzen will, habe ich im Grunde keine Ausweichmöglichkeit. Natürlich kann ich andere soziale Medien nutzen. Aber Snapchat, Youtube, selbst Plattformen wie Xing oder Linkedin bieten dem Nutzer nicht dasselbe Leistungspaket. Lediglich Google+ ist in diesem Sinne ein unmittelbarer Wettbewerber von Facebook.

W&V: Ist Aufmerksamkeit also eine Form des Preises?

Mundt: Das kann man so sagen, wenn es auch kein Preis im kartellrechtlichen Sinn ist. Dabei sind in der digitalen Welt neben der Aufmerksamkeit aber auch und vor allem die Daten der Nutzer eine Art Währung.
Kartellrechtlich kann man diese nicht als Preis behandeln, weil Daten ein nicht rivalisierendes Gut sind; sie sind unendlich vorhanden. Trotzdem sind sie ökonomisch höchst bedeutsam. Denn sie ermöglichen die Unentgeltlichkeit gegenüber den Nutzern durch eine Werbefinanzierung. Deshalb sind sie typische Vertragskonditionen im Sinne des Kartellrechts.

W&V: Also gibt es einen Markt der Aufmerksamkeit?

Mundt: Es gibt einen Markt, der sich über Aufmerksamkeit und Daten definiert, nämlich den Werbemarkt. Werbefinanzierte Dienste nennen wir daher auch Aufmerksamkeitsplattformen, weil der Anbieter seinen Dienst mit der Aufmerksamkeit und den Daten seiner Nutzer finanziert, die er an die Werbungtreibenden als zweite Marktseite vermarktet. Gegenüber den Nutzern haben wir Produktmärkte, wie etwa soziale Netzwerke, die von den Nutzern nachgefragt werden.

W&V: Brauchen wir wegen der Geschwindigkeit der Digitalisierung eine Wettbewerbskontrolle, die auch präventiv eingreifen darf?

Mundt: Geschwindigkeit ist ein ganz zentraler Punkt. Aber wir müssen beachten, was rechtsstaatlich geboten ist. Das ist eine schwierige Balance. Das präventive Instrument der Wettbewerbsaufsicht ist die Fusionskontrolle. Wenn Märkte erst einmal vermachtet sind, wenn sie erst einmal konzentriert sind, dann wird es schwer, ihnen beizukommen. Die Fusionskontrolle sorgt dafür, dass eine Vermachtung durch Zukauf gar nicht erst entsteht.

W&V: Aber es sind nicht allein die Fusionen, die Märkte verändern. Schließlich dringen die großen Plattformunternehmen aus den USA in Märkte vor und verändern dort die Gleichgewichte.

Mundt: Das ist richtig. Zunächst einmal wachsen Plattformen aus sich heraus. Unternehmen wie Facebook und Google haben ihre enorme Größe durch Netzwerkeffekte erreicht. Niemand will in eine leere Kneipe gehen. Und niemand will auf eine soziale Plattform gehen, wo niemand ist. Und sobald jemand da ist, kommen mehr dazu. Aber all diese Unternehmen akquirieren auch stark. Die prominentesten Fälle sind wohl die Übernahme von Whatsapp durch Facebook und der Kauf von Doubleclick durch Google. Da müssen wir aufpassen, dass man nicht Wettbewerb verschüttet. Gleichzeitig ist es eine schwierige Übung, rechtzeitig zu erkennen, welche Unternehmen tatsächlich das Potenzial haben, den Großen Wettbewerb zu machen.

W&V: Was meinen Sie damit?

Mundt: Bei vielen Start-ups und deren Geschäftsmodelle steht ganz unten auf dem Businessplan: „Exit: Google.“ Und nicht: „Exit: IPO.“ Das Ziel ist also nicht der Börsengang, sondern der Verkauf an Investoren,
vor allem eben Google, Amazon oder Facebook. Diese Start-ups werden nicht gegründet, um auf lange Sicht als Wettbewerber auf den Markt zu treten, sondern um eine Geschäftsidee bis zu einem gewissen Grad der Marktreife zu entwickeln. Und dann will man verkaufen. Früher wollte sich ein kleines Unternehmen zu einem Mittelständler oder vielleicht sogar zu einem Großunternehmen entwickeln. In der digitalen Welt ist diese Form des Unternehmertums seltener. Da werden nicht immer Lebenswerke gegründet. Wohlgemerkt: Das ist überhaupt nicht anrüchig. Aber wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass sich die unternehmerischen Ziele verändert haben.

W&V: Müssen Wettbewerbsbehörden deshalb nicht schneller werden? Um Verfahren zu beschleunigen, könnte es auch einstweilige Verfügungen geben.

Mundt: Diese Diskussion gibt es. Das würde bedeuten, dass ein Unternehmen als marktbeherrschend identifiziert worden ist und dass man dann, wenn ein Missbrauch hinreichend wahrscheinlich ist, diesen möglichst schnell abstellt. Missbrauchsverfahren sind ein wichtiges kartellrechtliches Instrument gegenüber der Internetwirtschaft. Das Google-Verfahren der Europäischen Kommission und unser Facebook- Verfahren sind zum Beispiel Missbrauchsfälle. Einstweilige Maßnahmen könnten hier hilfreich sein. Aber nur begrenzt. Damit kann man zwar schnell etwas regeln. Aber ich wäre zurückhaltend bei der Frage, ob man damit Geschäftsmodelle auch nachhaltig ändern kann. Man darf nicht vergessen, dass hinter allen Maßnahmen Haftungsfragen stehen. Da kommen wieder die rechtsstaatlichen Anforderungen ins Spiel.

W&V: Bleiben wir kurz im Kerngeschäft der Aufmerksamkeitsplattformen. Die verhalten sich manchmal wie Drogendealer. Ein Beispiel: Facebook hat Verlage angefüttert, seine Plattform als Vertriebskanal für journalistische Produkte kostenlos zu nutzen. Jetzt hat Facebook den Algorithmus geändert. Die Reichweite sinkt. Die Reichweite ist aber die Währung für die Vermarktung von Werbung. Die Verlage sind abhängig geworden. Sie brauchen den Stoff und reagieren, indem sie zahlen. Sie zahlen dafür, dass ihre Produkte im Schaufenster stehen bleiben dürfen. Ist das kein Missbrauch von Marktmacht?

Mundt: Wir haben uns diesen Sachverhalt bislang nicht konkret angeschaut. Ich bin hier sehr zurückhaltend, weil das ein hypothetischer Fall ist. Sie beschreiben, wenn ich es richtig verstehe, die beiden Möglichkeiten eines Unternehmens, sich auf Facebook bekannt zu machen: mit einer Unternehmensseite auf Facebook und mit Werbung. Diese Möglichkeiten haben wir bislang nicht im Einzelnen untersucht. In unserem Facebook-Verfahren beschäftigen wir uns vor allem mit der anderen Marktseite, nämlich der Erhebung von Daten der privaten Nutzer. Darüber hinaus haben wir einen zweiten Bereich eröffnet. Wir haben eine Sektoruntersuchung zu Onlinewerbung gestartet. Diese Untersuchung könnte schon eher das beschriebene Problem mit umfassen. Wir müssen immer sehr genau definieren, über welchen Markt wir sprechen. Und dann entscheiden, ob das jeweilige Unternehmen auf diesem Markt eine beherrschende Stellung hat. Nach unserer Auffassung hat Facebook eine marktbeherrschende Stellung gegenüber den Nutzern. Facebook hat sicherlich gegenüber Contentanbietern eine marktstarke Stellung. Die Frage wäre aber, ob es eine marktbeherrschende Stellung ist. Dafür bräuchten wir eine konkrete, gerichtsfeste, mit Zahlen belastbare Untersuchung. Aber es ist auf jeden Fall eine interessante Frage.

W&V: Die Ex-Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries sprach von bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen.

Mundt: Das ist ein wichtiger Aspekt. Wir werden bei vielen Plattformen Mühe haben, Marktbeherrschung nachzuweisen. Es gibt aber auch eine kartellrechtlich relevante Schwelle unterhalb der Marktbeherrschung. Dieses Thema sprach Frau Zypries an. Das ist die Abhängigkeit, also die relative Marktmacht. Im Lebensmitteleinzelhandel spielt das zum Beispiel eine große Rolle. Da haben wir vier Unternehmen mit inzwischen 85 Prozent Marktanteil. Da gibt es sehr viele Abhängigkeiten von Herstellern. Diese Abhängigkeiten gerichtsfest nachzuweisen ist sehr schwer. Die Gerichte legen hier hohe Hürden auf. Wir müssen uns diesem Thema im Zusammenhang mit den großen Internetplattformen widmen. Es gibt die Idee, mit Vermutungen zu arbeiten. Wenn bestimmte Parameter erfüllt sind, dürften wir dann annehmen, dass eine Abhängigkeit besteht. Das wäre im Prinzip eine Umkehr der Beweislast. Das im Verdacht der relativen Marktmacht stehende Unternehmen müsste dann nachweisen, dass andere Unternehmen nicht von ihm abhängig sind.

W&V: Das klingt doch sinnvoll.

Mundt: Ja, aber die Unternehmen weisen zu Recht darauf hin: Wenn der Staat in mein Geschäftsmodell eingreift, ist es doch nicht an mir, nachzuweisen, dass mein Geschäftsmodell in Ordnung ist. Das ist ja wohl Sache des Staates.

W&V: Das ist auch nachvollziehbar.

Mundt: Eben. Und das in eine gesunde Balance zu bringen ist die Schwierigkeit daran. Das ist ein Projekt für die nächste Legislaturperiode.

W&V: Mit anderen Worten: Es wird möglicherweise auch unterhalb des Tatbestands der Marktbeherrschung schärfere gesetzliche Regeln geben.

Mundt: Wir werden sehen. Ich glaube, dass wir hier innovativer sein müssen. Wir müssen die Arbeit im Sinne der Geschwindigkeit der Verfahren vereinfachen. Gesetze müssen angemessen sein. Und wenn wir es mit sehr großen, sehr mächtigen Unternehmen zu tun haben, dann brauchen wir auch sehr große, sehr scharfe Schwerter.

W&V: Natürlich wollen Sie diese kartellrechtlich interessanten Fälle auch nicht den Regulierungsbehörden überlassen.

Mundt: Alles das, was wir mit dem Wettbewerbsrecht bei diesen großen Plattformen nicht regeln können und nicht in den Griff kriegen, läuft in der Tat Gefahr, Gegenstand von Regulierungen zu werden. Und das kann nicht unser Ziel sein. Das sind schließlich auch dynamische und innovative Geschäftsmodelle, die die Verbraucher mögen und die vieles vereinfachen. Regulierung ist statisch und engt ein. Fälle der Wettbewerbsbehörden sind da flexibler und schneller.

W&V: Die Erfahrung zeigt aber, dass Fälle Jahre brauchen.

Mundt: Ich kann nachvollziehen, dass vielen manches nicht schnell genug geht. Die Europäische Kommission hat im Fall Google Shopping sieben Jahre gebraucht. Uns allen ist aber bewusst, dass das nicht die Benchmark sein kann. Unter der neuen Kommissarin Margrethe Vestager hat das Verfahren ab 2014 auch schnell Fahrt aufgenommen.

W&V: Und was ist mit dem Verfahren gegen Facebook? Das haben Sie vor ziemlich genau zwei Jahren eröffnet. Warum dauert das so lange?

Mundt: Zunächst einmal mussten wir nachweisen, dass Facebook marktbeherrschend ist. Facebook argumentiert: Wir sind nicht marktbeherrschend, wir sind nur populär. Wir mussten also erst einmal die konkrete Marktposition bewerten. Und zwar so, dass wir damit im Ernstfall auch vor Gericht bestehen könnten. Mittlerweile können wir das. 23 Millionen Menschen in Deutschland nutzen Facebook täglich. 30 Millionen nutzen Facebook mindestens einmal im Monat. Die Hälfte der deutschen Online-Bevölkerung tummelt sich auf Facebook. Die Zahlen sind aber nur das eine. Man muss auch die Nutzer fragen: Siehst du eine Alternative zu Facebook? Ist Facebook einfach nur so gut? Oder ist Facebook der Einzige, der dir die Leistung bietet, die du haben möchtest? Dann geht es weiter mit dem Thema Missbrauch. Man kann keinem Unternehmen der Welt verbieten, Erfolg zu haben oder Geld zu verdienen. Aber wo ist die Grenze zum Missbrauch, zum ungebührlichen Ausnutzen der Marktmacht? Wir bewegen uns im Spannungsfeld zwischen rechtsstaatlicher Gründlichkeit und dem Gebot der Geschwindigkeit. Ich meine, dass der Zeitablauf in diesem komplexen Verfahren im Rahmen ist. Zumal dieser Fall absolut grundsätzlich ist. Hier geht es nicht um eine Kleinigkeit. Wir sind hier im Maschinenraum der Internet-Ökonomie.

W&V: Wollen die Verbraucher überhaupt vor Facebook geschützt werden?

Mundt: Ich glaube, dass vielen Nutzern nicht bewusst ist, wo Facebook überall Daten sammelt und welche. Facebook sammelt zum Beispiel auch dann personenbezogene Daten, wenn sich der Nutzer auf einer Seite befindet, auf der ein Like-Button zu sehen ist, auch wenn ihn der Nutzer nicht klickt. Viele wissen nicht, dass Facebook auch die Daten, die außerhalb von Facebook gesammelt werden, dem bestehenden Facebook-Nutzerkonto hinzufügt. Mit den Analyseprodukten, die Facebook anbietet, sammelt Facebook auch personenbezogene Daten von Internetnutzern, die kein Facebook-Konto haben. Auch das werden wohl viele Nutzer nicht wissen. Es gibt auch viel Irreführendes. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, interessenbasierte Werbung auszuschalten. Wer den Button überhaupt entdeckt, dürfte darauf klicken, weil er glaubt, er könnte damit die Datensammlung einschränken. Das stimmt nicht. Ihm wird nur bestimmte Werbung nicht angezeigt. Mit unserem Verfahren wecken wir also auch ein Bewusstsein.

W&V: Im laufenden Facebook-Verfahren untersuchen Sie also, ob das Unternehmen Nutzer zwingt, ein Gesamtpaket zu übernehmen, weil es weiß, dass der Nutzer die darin versteckte datenschutzrechtliche Kröte allein nicht schlucken würde. Ist das Bundeskartellamt hier der verlängerte Arm des Datenschutzes?

Mundt: Wir haben sehr eng mit Datenschützern zusammengearbeitet, um die richtigen Wertungen vorzunehmen. Es gibt ein Urteil des Bundesgerichtshofs in einer völlig anderen Sache. Sie heißt: VBL-Gegenwert I und II. Da geht es um Pensionssysteme der öffentlichen Hand. Der BGH sagt: Wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen rechtswidrige oder unangemessene Bedingungen aufstellt, und der Nutzer kann diesen Bedingungen nicht ausweichen und muss ihnen zustimmen, dann kann es sich um den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung handeln. Darauf stützen wir uns. Aus Ermessensgründen konzentrieren wir uns auf die Erhebung und die Verwendung von Daten außerhalb des eigentlichen Netzwerks. Der Nutzer kann nicht damit rechnen, dass Facebook seine Daten auch auf Drittseiten sammelt.

W&V: Stichwort künstliche Intelligenz: Wie können Sie künftig Wettbewerbsparameter beobachten und bewerten, die nicht von Menschen, sondern von Algorithmen gesetzt werden?

Mundt: Wir haben sehr eng mit Datenschützern zusammengearbeitet, um die richtigen Wertungen vorzunehmen. Es gibt ein Urteil des Bundesgerichtshofs in einer völlig anderen Sache. Sie heißt: VBL-Gegenwert I und II. Da geht es um Pensionssysteme der öffentlichen Hand. Der BGH sagt: Wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen rechtswidrige oder unangemessene Bedingungen aufstellt, und der Nutzer kann diesen Bedingungen nicht ausweichen und muss ihnen zustimmen, dann kann es sich um den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung handeln. Darauf stützen wir uns. Aus Ermessensgründen konzentrieren wir uns auf die Erhebung und die Verwendung von Daten außerhalb des eigentlichen Netzwerks. Der Nutzer kann nicht damit rechnen, dass Facebook seine Daten auch auf Drittseiten sammelt.

W&V: Stichwort künstliche Intelligenz: Wie können Sie künftig Wettbewerbsparameter beobachten und bewerten, die nicht von Menschen, sondern von Algorithmen gesetzt werden?

Mundt: Indem man die Algorithmen untersucht.

W&V: Dazu muss man die Algorithmen kennen.

Mundt: Ja. Und man muss untersuchen, welche Auswirkungen der Algorithmus hat. Damit müssen wir uns unter anderem im Zusammenhang mit den Flugpreisen der Lufthansa auseinandersetzen. Preise werden hier im Detail letztlich vom Algorithmus festgelegt. Nach der persönlichen Wahrnehmung vieler Verbraucher sind die Preise nach der Air-Berlin-Pleite erheblich gestiegen. Wir haben viele Beschwerden über die Lufthansa erhalten. Die Lufthansa sagt, der Algorithmus sei nicht verändert worden. Wir sagen: Das mag ja sein. Der Algorithmus ist aber vielleicht für eine bestimmte Marktsituation geschrieben worden. Und vielleicht führt er in einer anderen Marktsituation zu Missbrauch. Deshalb schauen wir uns das jetzt einmal genauer an.

W&V: Lösen Algorithmen die berühmten Hinterzimmer ab?

Mundt: Ein großes Thema sind sogenannte „kollusive Algorithmen“. Das sind Algorithmen, die bewusst aufeinander abgestimmt werden. Nehmen wir als Beispiel den Poster-Fall. Das waren zwei Unternehmen, die über den Amazon-Marketplace Poster verkauft haben. Beide Unternehmen hatten sich abgesprochen, dass der Preis immer gleich sein soll. Die Algorithmen haben aufeinander in Echtzeit reagiert. Heute kann man ein Kartell ganz einfach über einen Algorithmus konstruieren. Einmal programmiert, und der Wettbewerb ist ausgeschaltet. Die neuen Mechanismen erlauben außerdem auch ein perfektes Signalling. Sie signalisieren über den Algorithmus ihrem Gegenüber, dass Sie eine Preisänderung wünschen. Dann heben Sie den Preis zu einer bestimmten Zeit immer wieder ein wenig an und hoffen darauf, dass die Konkurrenz nach einer Weile mitzieht. Das Kartellrecht muss sich mit solchen Fragen beschäftigen.

W&V: Was ist, wenn Maschinen überall die Endverbraucherpreise individuell festlegen?

Mundt: Wenn der Verbraucher künftig in den Supermarkt geht, sein Gesicht wird gescannt und er erhält einen anderen Preis als sein Nachbar, stellt sich in der Tat die Frage: Welche Auswirkungen hat das auf den
Wettbewerb? Wenn jeder seinen eigenen Preis bekommt, dann ist die Milch vielleicht nicht mehr bei irgendeinem Discounter am billigsten. Dann bekommen Sie an verschiedenen Orten oder auf verschiedenen Plattformen einen Preis, der sich an ihrer Kaufkraft bemisst.

W&V: Apropos Gleichheit: Unternehmen und Verlage in Deutschland fühlen sich ungerecht behandelt. Sie fordern ein „level playing field“. Haben Sie dafür Verständnis?

Mundt: Viele Klagen kann ich sehr gut nachvollziehen, aber die Probleme sind vielschichtig. Im Zusammenhang mit der Plattformökonomie fühlen sich Verlage ungerecht behandelt, weil andere Unternehmen sich ihre Inhalte zu eigen machen. Andererseits profitieren Verlage auch von Plattformen, da mit deren Hilfe die Reichweite gesteigert wird. Es ist ein Geben und Nehmen. Die Frage ist nur, ob jeder gleich viel gibt und nimmt. Die Verlage müssen Wege finden, wie sie ihre Inhalte im Internet monetarisieren können. Viele Entwicklungen sind allerdings wettbewerblich schwer zu greifen. Zum Beispiel: Junge Menschen lesen immer weniger Zeitung und schauen weniger Fernsehen. Das Mediennutzungsverhalten verändert sich. Solche Entwicklungen kann man nicht mit dem Kartellrecht abfedern.

W&V: Seit der 9. GBW-Novelle hat das Bundeskartellamt erweiterte Funktionen im Bereich Verbraucherschutz erhalten. Sie führen jetzt Sektoruntersuchungen durch. Seit Neuestem nehmen Sie den Bereich Onlinewerbung unter die Lupe. Was Sie jetzt tun, ist aber eine Branchenuntersuchung, kein Ermitteln gegen konkrete Akteure. Mit anderen Worten: Sie rasseln mit dem Säbel, oder?

Mundt: Man muss differenzieren. Im Bereich Verbraucherschutz haben wir bislang zwei Sektoruntersuchungen eingeleitet: Zu Vergleichsportalen und zu Smart-TVs. Hier können wir nach der geltenden Gesetzeslage nur untersuchen und aufklären, aber etwaige Defizite nicht abstellen. Ich denke, dass wir uns in der neuen Legislaturperiode noch einmal über zusätzliche Befugnisse im Bereich Verbraucherschutz unterhalten werden. Bei der Sektoruntersuchung „Onlinewerbung“ liegt der Fall anders. Hier bewegen wir uns im klassischen Kartellrecht. Die Untersuchung dient zwar auch hier zunächst nur dem Zweck, aufzuklären und eventuelle Wettbewerbsbeschränkungen festzustellen. Sollten wir aber Defizite ausmachen, könnten wir in der Folge Verfahren gegen einzelne Unternehmen einleiten.

W&V: Amazon ist im Prinzip auch eine Vergleichsplattform.

Mundt: Die Bezeichnung „Vergleichsplattform“ ist erst einmal recht weit und trifft in gewisser Weise auf fast alle Transaktionsplattformen zu. Bei der Untersuchung der Vergleichsportale geht es aber vorrangig um Unternehmen wie Check 24 oder Verivox. Wir fragen umfänglich ab, welche Marktabdeckung sie haben, welche Produkte sie erfassen, wie das Ranking zustande kommt, ob Provisionen gezahlt werden und vieles mehr. Die Unternehmen sind dazu verpflichtet, uns zu antworten. Sollten die Antworten falsch sein und wir stellen das fest, drohen hohe Bußgelder.

W&V: Die Versicherung Generali belohnt Menschen mit günstigeren Policen, wenn sie ihre Gesundheitsdaten preisgeben. Hier drohen indirekte negative Netzwerkeffekte dadurch, dass irgendwann Menschen sich gezwungen sehen, ebenfalls ihre Daten preiszugeben, weil ansonsten implizit vermutet wird, dass sie eine Krankheit verbergen wollen. Das ist doch eine „technische Entwicklung zum Schaden der Verbraucher“, in den Worten des europäischen Kartellrechts nach Art. 102 AEUV.

Mundt: Ob das kartellrechtlich relevant ist, kann ich Ihnen nicht aus dem Stand sagen. Ich finde jedenfalls sehr fraglich, ob das in Ordnung ist. Denn diejenigen, die schlechte Gesundheitsdaten zur Verfügung stellen und einen schlechten Preis bekommen, werden gleich behandelt mit denen, die ihre Daten nicht zur Verfügung stellen. Aber das ist eher eine ethische Frage.

W&V: Dann eine juristische Frage: Wem gehören eigentlich die Daten?

Mundt: Vor Kurzem hat jemand aus einem Automobilunternehmen auf einer Veranstaltung diese Frage zugespitzt: Das Auto generiert Daten. Wem gehören die? Dem Autobesitzer? Dem, der das Auto steuert? Dem Zulieferer, der sie aufnimmt? Der Redner hat gesagt: Mir ist das egal, ich habe sie jedenfalls erst mal. Das ist eine sehr pragmatische Herangehensweise. Aber rein zivilrechtlich würde niemand sagen können, dass demjenigen, der den ersten Zugriff auf eine Sache hat, die Sache auch immer gehört. Ganz ehrlich: Bei diesem Thema fehlt mir auch ein natürliches Rechtsempfinden.

W&V: Was meinen Sie damit?

Mundt: Ich bin mir auch unsicher darüber, wem die Daten gehören oder ob es eigentlich richtig ist, dass sie jemand Bestimmtem in dieser Kette gehören. Das Auto kann ja auch Daten von anderen Verkehrsteilnehmern und Einrichtungen am Straßenrand aufnehmen und verwerten. Was macht man damit?

W&V: Schwierig. Aber übergreifend betrachtet wird das Auto zu einem gigantischen Datenkollektor, der nicht nur Fahrdaten, sondern auch Verhaltensdaten, Mediennutzungsdaten und Geodaten registriert. Das Recht an der Nutzung und Weiterverarbeitung dieser Daten werden sich Unternehmen über Log-in-Systeme sichern. Hier entstehen neue Facebooks und Googles und damit neue Gefahren für das Prinzip offener Märkte.

Mundt: Das ist so. Es gibt auch Bestrebungen in der deutschen Wirtschaft, Log-in-Portale zu schaffen. Das sollen Gegengewichte zu den großen Plattformen werden. Wir müssen aufpassen, dass hier Zugänge für Wettbewerber offen bleiben. Märkte müssen bestreitbar sein, damit wettbewerbliche Mechanismen funktionieren können.

W&V: Die Situation wird also durch die Digitalisierung immer komplizierter. Braucht das Bundeskartellamt einen Chief Technology Officer?

Mundt: Alle Wettbewerbsbehörden denken darüber nach, wie sie diesen Entwicklungen am besten begegnen. Ich sehe dabei zwei verschiedene Ansätze. Erstens: Die Digitalisierung spielt überall eine Rolle. Es gibt
nicht die digitale Wirtschaft auf der einen Seite und die nichtdigitale Wirtschaft auf der anderen Seite. Deshalb muss jeder Mitarbeiter das verstehen und beherrschen können. Auch die Abteilungen, die ganz handfeste Märkte kontrollieren, wie zum Beispiel die 5. Beschlussabteilung, die unter anderem für Maschinenbau und Metallindustrie zuständig ist. Die haben sich jetzt mit einer Plattform auseinandersetzen müssen, über die künftig online Stahl gehandelt wird. Die 1. Beschlussabteilung kümmert sich auch um Zement und Baustoffe. In dieser Branche wurde eine E-Zement-Plattform eingerichtet, die kartellrechtskonform ausgestaltet werden musste. Aber es gibt darüber hinaus Themen, die im Alltag der Branchen noch nicht so angekommen sind, als dass sie bei uns konkrete Fälle berühren würden. Für diese halb gegenwarts-, halb zukunftsbezogenen Themen brauchen wir Spezialisten. Ich meine zum Beispiel die Auswirkungen künstlicher Intelligenz oder die Frage, was Blockchain bewirken wird. Und eben auch individualisierte Preise. Da ist zwar das meiste noch Zukunftsmusik. Aber wir wissen: Alles, was in der digitalen Welt geht, kommt auch früher oder später.

Das Interview führte Rolf Schröter.

Quelle: W&V 12-2018 vom 16.03.2018

PDF-Datei des Interviews:

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