"Wie Deutschlands Wettbewerbshüter Andreas Mundt die Digitalgiganten in den Griff bekommen will"

fvw: Nach dem Aus von Air Berlin hagelte es Beschwerden über steigende Lufthansa-Preise auf Inlandsstrecken. Wie gehen Sie an die Untersuchung heran?

Mundt: Wir haben hierzu in der Tat zahlreiche Beschwerden erhalten und schauen uns dieses Thema daher sehr gründlich an. Zunächst brauchen wir genaue Daten und müssen verstehen, wie die Preissetzung funktioniert und wie Algorithmen unter welchen Bedingungen das Preissystem steuern. Erst dann können wir gegebenenfalls in einem zweiten Schritt klären, ob Preise missbräuchlich waren oder nicht. Wir haben daher von der Lufthansa eine Vielzahl an Daten und Informationen angefordert, um das Preissystem und die Festsetzung der Preise in den vergangenen Monaten nachzuvollziehen. Wir haben noch nicht darüber entschieden, ob wir ein Verfahren einleiten.

fvw: Es gibt bei Airlines viele, zum Teil verdeckte Preise. Wie betrachten Sie das differenzierte Preisbild?

Mundt: Zu den Details, was wir erheben und wie wir verschiedene Faktoren bewerten, kann ich mich jetzt noch nicht äußern.

fvw: Sie schauen sich also auch Vertriebswege und Konditionssysteme genau an?

Mundt: Ausgangspunkt unserer Untersuchungen sind von der Lufthansa erzielte Preise auf innerdeutschen Strecken, welche durch die Air-Berlin-Insolvenz zu Monopolstrecken geworden sind. Über welche Vertriebskanäle die Tickets verkauft wurden oder welche Konditionen entlang der Wertschöpfungskette gewährt worden sind, steht nicht im Zentrum unserer Untersuchungen.

fvw: Inzwischen sind verschiedene Airlines in die Lücken von Air Berlin gesprungen. Wo sehen Sie mangelnden Wettbewerb?

Mundt: Es ist noch zu früh für eine Bewertung Innerdeutsch fliegen nunmehr immerhin auch Easyjet und andere Anbieter. Aber eben noch nicht überall. Spannend bleibt, wo die Niki-Flugzeuge zum Schluss eingesetzt werden. Einiges muss sich noch sortieren..In der Gegenwart denke ich an den Facebook-Fall. Als Behörde schauen wir in den Maschinenraum der digitalen Wirtschaft und beleuchten den engen Zusammenhang zwischen Datenerhebung und wirtschaftlicher Macht. Das sind Meilensteine für uns. 

fvw: In Europa stehen weitere Konsolidierungen im Luftverkehr an.

Mundt: Gerade deswegen kommt den Vorgängen um Lufthansa und Air Berlin eine so große Bedeutung zu.

fvw: In den USA beherrschen schon länger wenig große Airlines den Markt. Was lernen Sie daraus für Europa?

Mundt: Die Verhältnisse sind nicht vergleichbar. In den USA gibt es fünf Airlines mit über 80 Prozent Marktanteil und einer Marge von 15 Prozent. In Europa teilen sich die großen Airlines 50 Prozent des Flugmarktes und kommen auf fünf Prozent Marge.

fvw: Einem Unternehmenschef sind 15 Prozent Marge sicherlich lieber als fünf Prozent.

Mundt: Das mag sein, aber welche Nebenwirkungen hat das für den Verbraucher? Wir haben hier in Deutschland und Europa durchgehend eine konsequente Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht betrieben. Die Marktsituation in den USA kann vielleicht auch darauf zurückgeführt werden, dass man dort in den letzten Jahrzehnten zeitweise auch andere Ansätze verfolgt hat. Dort galt lange der Leitsatz: Big is beautiful. Inzwischen ist in den USA eine intensive Diskussion darüber entbrannt, ob die Konzentration in vielen Branchen zu weit geht und dem Wettbewerb schadet.

fvw: Die Bundesregierung hätte es gern gesehen, wenn Air Berlin zu Lufthansa gekommen wäre. Wie hätte Ihre Behörde agiert?

Mundt: So wurde das kolportiert. Aus dem Wirtschaftsministerium gab es aber durchaus auch Aussagen, die die Bedeutung eines funktionierenden Wettbewerbs für die Verbraucher unterstrichen haben. Wichtig ist aber, dass das Bundeskartellamt ebenso wie die EU-Kommission unabhängig ist in seiner Entscheidungsfindung. Wir entscheiden auf der Basis geltender Rechtsnormen.

fvw: Sie haben dem früheren Marktführer HRS die Bestpreisklausel verboten, sich beim Wettbewerber Booking aber zwei Jahre länger Zeit genommen, um das Geschäftsmodell abzumahnen. Warum?

Mundt: Bei Verfahrenseinleitung war HRS der klare Marktführer in Deutschland. Deshalb haben wir unser Musterverfahren gegen HRS geführt und die Bestätigung durch das OLG Düsseldorf abgewartet, im Anschluss aber umgehend auch bei Booking gehandelt. Booking hat allerdings während des laufenden Verfahrens seine Praxis geändert und von der sogenannten weiten auf die enge Bestpreisklausel umgestellt. Damit hatten wir einen neuen Sachverhalt.

fvw: Das OLG Düsseldorf hat Ihnen deshalb eine intensive Nachrecherche verordnet.

Mundt: Wir haben Booking ausdrücklich auch die Nutzung der engen Bestpreisklausel – also die Verpflichtung der Hotels dazu, auf der eigenen Website nicht günstiger sein zu dürfen als bei Booking – untersagt. Die durch das OLG auferlegten Nachermittlungen betreffen eine Vielzahl von Aspekten, und es ist eine sehr umfangreiche Befragung von Marktteilnehmern nötig.

fvw: Große Portale wie Booking agieren weltweit. Welchen Sinn ergibt da eine rein nationale Entscheidung?

Mundt: Das Thema Bestpreisklauseln bei Internet-Plattformen beschäftigt sehr viele Wettbewerbsbehörden weltweit. Auch gegen Booking haben zahlreiche europäische Behörden Verfahren geführt. In einigen Ländern wie Frankreich oder Österreich gibt es sogar gesetzliche Regelungen. Man kann darüber diskutieren, ob hier auch die Europäische Kommission handeln könnte, aber man muss auch sehen, dass sich die Marktverhältnisse – die Hotellandschaften – in den einzelnen Ländern unterscheiden.

fvw: Booking verkauft nun auch Flüge und Pauschalreisen – ein Weg, den auch andere Portale gehen. Inwieweit verändert sich dadurch der Blick auf den Markt?

Mundt: Ein wichtiges Thema. Wie ist die Marktposition von Unternehmen zu bewerten, die ganz verschiedene Angebote auf einer Plattform zusammenführen? Amazon ist hier das prominenteste Beispiel: Amazon ist nur in wenigen einzelnen Produktsegmenten wirklich stark, aber als Konglomerat natürlich sehr bedeutend. Aus heutiger Sicht wäre es verfrüht, davon auszugehen, dass sich Booking oder Priceline im Reise- und Touristikmarkt in eine vergleichbare Position vorarbeitet. Mit diesen Fragen müssen wir uns in Zukunft stärker befassen. Eine schnelle Antwort, wie wir die Marktmacht in diesen Fällen richtig bewerten, hat derzeit niemand.

fvw: Die digitale Welt forciert ein wahnsinniges Innovationstempo. Ihre Untersuchungen konzentrieren sich dagegen auf die Vergangenheit. Wäre es daher nicht sinnvoller, Ex-ante-Regeln für den Wettbewerb zu formulieren?

Mundt: Wir haben ja Ex-ante-Regeln. Fusionskontrolle ist immer eine Prognoseentscheidung darüber, wie sich die Märkte infolge einer Fusion verändern würden. Außerdem – wir sind eine Wettbewerbsbehörde. Unsere Aufgabe ist es, die Entstehung von Marktmacht zu verhindern und missbräuchliches Verhalten zu unterbinden, aber nicht das Wachstum von Unternehmen zu begrenzen. Wo bitte soll der Punkt sein, an dem eine Wettbewerbsbehörde sagt: Ab jetzt darfst du nicht mehr wachsen?

fvw: Die Frage ist doch, ob die Wachstumschancen noch gleich verteilt sind angesichts globaler Datensammelstellen wie Facebook und Google.

Mundt: Das ist in der Tat eine wichtige Frage, mit der wir uns befassen müssen. Es gibt die Diskussion, ob man digitalen Plattformen die vertikale Integration untersagen und sie auf ihre Rolle als Vermittler beschränken sollte. Das ist zwar bislang keine Diskussion im Wirtschaftsausschuss oder unter Kartellrechtlern, aber ich kenne auch viele Unternehmenslenker, die darin eine Lösung sähen. Für die Plattformen wird künftiges Wachstum vor allem aus dem Angebot von Content kommen. Das heißt, sie müssen immer stärker von der Plattform zum Händler, zum Inhalteanbieter werden. Nur mit Kundenbindung werden irgendwann natürliche Grenzen erreicht.

fvw: Im Herbst vergangenen Jahres haben Sie eine Sektoruntersuchung zu Preisvergleichssystemen angekündigt. Von welchen Annahmen gehen Sie aus?

Mundt: Seit Mitte 2017 haben wir als Bundeskartellamt auch Zuständigkeiten im klassischen Verbraucherschutz. In diesem Rahmen haben wir eine Untersuchung zu Vergleichsportalen aus den Bereichen Reise, Versicherungen, Finanzdienstleistungen, Telekommunikation und Energie eingeleitet. Die Portale sind bei Verbrauchern sehr beliebt und genießen ein hohes Vertrauen. Wie sie wirklich funktionieren und arbeiten, ist heute weitgehend noch nicht bekannt.

fvw: Schließe ich bei Check 24 einen Stromvertrag ab, bekomme ich einen 250-Euro- Gutschein für meine nächste Reise. Wie passt das zum Datenschutz?

Mundt: Das Datenschutzthema ist nur eines von vielen Themen. Woher stammen die Daten, gibt es eigene Datenbanken, und wie sehen die Verflechtungen untereinander aus? Es geht darüber hinaus auch um die Fragen der Marktabdeckung sowie der Provisions- und Ranking-Systeme. Wir befassen uns mit einer Vielzahl von Vergleichsplattformen. Check 24 oder Verivox sind hier als die vielleicht populärsten zu nennen. Natürlich befassen wir uns auch mit der Frage, wie sich die einzelnen Portale finanzieren, welche Provisionen fließen.

fvw: Check 24 gehört im Reisemarkt zu den am stärksten wachsenden Plattformen. Schauen Sie auch auf die Veranstalter-Konditionen im Vergleich zum stationären Vertrieb?

Mundt: Das steht momentan nicht im Fokus unserer Untersuchung.

fvw: Die Reisebüros arbeiten als Handelsvertreter. Ist dieses Modell wettbewerbsrechtlich gegenüber den Online-Plattformen benachteiligt?

Mundt: Auch das ist derzeit nicht Gegenstand unserer Untersuchung. Generell gilt, dass die Risikoverteilung, die ja bei Handelsvertretern eine andere ist, durchaus auch bei der kartellrechtlichen Bewertung von Märkten und Geschäftsbeziehungen eine Rolle spielt.

fvw: Wie lang dauert diese Sektoruntersuchung?

Mundt: Wir möchten die Untersuchung schnell voranbringen. Entscheidend ist es, zunächst den Markt komplett zu verstehen, um etwaige Defizite ausmachen zu können. Bei Facebook haben wir dazu knapp zwei Jahre gebraucht. Vielleicht geht es hier schneller.

fvw: Zwei Jahre? Bis dahin haben sich die digitalen Geschäftsmodelle weiterentwickelt.

Mundt: Aber solche Veränderungen nehmen wir ja wahr und berücksichtigen sie in laufenden Verfahren selbstverständlich. Dennoch gebe ich Ihnen recht, dass der Spagat zwischen sich schnell verändernden Märkten und notwendigen rechtsstaatlichen Anforderungen uns in der Tat auch fordert.

fvw: Was ist die Lösung?

Mundt: Entscheidend ist, dass wir stringent und zielgerichtet arbeiten und genügend Mitarbeiter auf die Themen setzen. Es gibt Überlegungen zu gesetzlichen Änderungen. Um schneller zu werden, könnte man mit einstweiligen Verfügungen oder mit widerlegbaren Vermutungen arbeiten. Damit hätten die Unternehmen in bestimmten Konstellationen die Beweislast. Das sind Themen, über die wir diskutieren werden.

fvw: Google, Facebook, Amazon sind Giganten. Ist die Entflechtung der Digitalgrößen aus Ihrer Sicht die passende Antwort auf zu viel Marktmacht?

Mundt: Ich bin kein Freund von Entflechtungen. Das kann nur die Ultima Ratio sein. Derzeit haben wir in Europa übrigens anders als in den USA auch keinerlei Gesetzesgrundlage dafür. Ist es aber wirklich wünschenswert, dass Behörden und Gerichte darüber entscheiden, wie man ein dynamisches und innovatives Unternehmen wie Google zerlegt? Zuerst sollten wir die Missbrauchsaufsicht konsequent anwenden. In Brüssel liegen immer noch die Themen Google Adsense und Google Android. Wir befinden uns unter anderem mit unserem Facebook-Verfahren im Maschinenraum der Internet-Ökonomie. Es gibt Fragen nach Daten, Marktmacht und möglichem Missbrauch. Da werden gerade Pflöcke eingeschlagen. Lasst uns die Verfahren erst einmal machen und entscheiden, was erlaubt ist und was nicht. Die ersten Korsettstangen sind dann eingezogen. Wenn das alles nicht reicht, können wir immer noch über weitergehende Maßnahmen diskutieren.

fvw: Im Silicon Valley herrscht Tempo. Die digitalen Sprachassistenten stellen längst die nächste Eskalationsstufe dar.

Mundt: Die Sprachassistenten werden unter dem Aspekt Login-Effekt problematisch werden – keine Frage. Die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher werden dadurch eingeschränkt. Künftig bestellen Sie dann per Spracheingabe ein Produkt, und der Systembetreiber besorgt es ihnen. Das verändert das klassische Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Und wenn dann noch der individualisierte Preis, von dem wir heute noch nicht wissen, wie weit davon schon Gebrauch gemacht wird, verwendet wird, führt das zu sehr weitreichenden Veränderungen.

fvw: Das klingt so, als wären mittelständische Unternehmen im Wettbewerb dem Untergang geweiht.

Mundt: Die großen Plattformen führen unbestritten in vielen Bereichen zu weitreichenden Veränderungen. Dennoch sind die Spielräume für Innovationen und neue Produkte und Dienstleistungen unverändert groß. Übrigens auch die Spielräume für Kooperationen und Partnerschaften. Kooperationen sind das Instrument, das der Mittelstand in dieser Welt allemal braucht. Ich wundere mich ab und an, dass davon nicht häufiger Gebrauch gemacht wird.

Das Interview führten Marliese Kalthoff, Sabine Pracht und Georg Jegminat.

Quelle: fvw 6 vom 16.03.2018

PDF-Datei des Interviews:

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