"Wir haben keine Grenze verschoben"

Lebensmittel Zeitung (LZ): Herr Mundt, ein Hersteller darf seine unverbindliche Preisempfehlung in Konditionsgesprächen erläutern; der Händler darf daraufhin jedoch nicht „den Anschein einer Zusage erwecken“. Ist das nicht lebensfremd?

Andreas Mundt: Nein, das ist es nicht. Eine unverbindliche Preisempfehlung ist erlaubt, eine vertikale Preisbindung zwischen Hersteller und Händler verstößt hingegen gegen das Kartellverbot. Dazwischen liegen zahlreiche denkbare Verhaltensweisen der Akteure, und die Abgrenzung ist in der Tat nicht immer so einfach. Mit den jüngst veröffentlichten „Hinweisen zum Preisbindungsverbot“ haben wir uns bemüht, die Grenzziehung praxisnah anhand von konkreten Beispielen klarzustellen. Natürlich kann auch ein Leitfaden die Gesamtwürdigung des Sachverhalts im Einzelfall nicht ersetzen kann. Wenn der Hersteller seine UVP vorstellt, sollte der Händler eben nicht sagen: „Mache ich“ oder „Finde ich gut“.

LZ: In ersten Reaktionen sagen Praktiker, sie würden auch nach der Lektüre der Hinweise noch immer wissen nicht, inwieweit Händler und Hersteller VK-Preise thematisieren dürfen.

Mundt: Wir bekommen bislang aus dem Markt ein sehr positives Echo mit dem Etikett „praxistauglich“. Es wird niemals gelingen, in Leitlinien jedes einzelne Verhalten wasserdicht zu machen. Wir haben nach Abschluss des Vertikal-Falls - wie angekündigt - versucht, möglichst konkret zu veranschaulichen, was geht und was nicht. Die Reaktionen, die wir von Unternehmen, Anwälten, aber auch der EU-Kommission erhalten haben, sind durchweg positiv. Alle sagen, das Papier liefere nützliche Hilfestellungen, mit denen auch Leute etwas anfangen können, die nicht jeden Morgen mit dem Gesetzbuch auf dem Nachttisch aufwachen. Im Übrigen warten wir jetzt auf das weitere Feedback.

LZ: Ein weiterer Vorwurf der Kritiker lautet, der Leitfaden läge auf der Linie des Amtes, das Kartellverbot immer weiter auszudehnen.

Mundt: Wir haben kein Interesse daran, das Kartellverbot auszudehnen. Das trifft es auch nicht. Wenn Sie unsere Hinweise mit der Rechtsprechung, den Leitlinien der Kommission oder den Standpunkten der österreichischen Wettbewerbsbehörde vergleichen, finden sie keine Abweichungen oder Verschärfungen. Auch die EU-Kommission bestätigt unsere Linie. Wir haben keine Grenzen verschoben, sondern versucht, sie zu definieren – im Kontext der europäischen und deutschen Rechtsentwicklung. Im Übrigen befinden wir uns ja noch in der Konsultationsphase. Wer meint, wir würden von dem abweichen, was in Europa als angemessen gilt, kann das vorbringen.

LZ: Warum findet sich nichts zum Thema „Category Management“ in den Hinweisen?

Mundt: Category Management (CM) ist ein sehr komplexes Thema. Es gibt auf diesem Gebiet vieles, was kartellrechtlich möglich ist, aber auch einige Konstellationen, die unzulässig sind. Im Vertikal-Fall spielte Category Management keine Rolle. Ohne konkrete Fälle wäre es eine sehr abstrakte Übung geworden, hier Grundsätze zu definieren. Das Ergebnis wäre für die Praxis nicht wirklich hilfreich.

LZ: Die Hinweise sind explizit auf den Lebensmittelhandel beschränkt. Haben die Grundsätze nicht auch in anderen Branchen Gültigkeit?

Mundt: Der Leitfaden ist das Ergebnis des Vertikal-Falls. Ohne Fallpraxis formulieren wir keine Grundsatzpapiere. Im LEH haben wir es zudem mit einer besonderen Marktstruktur zu tun.

LZ: Inwiefern?

Mundt: Der LEH ist geprägt von der starken Position des Handels, vom engen Miteinander zwischen Händler und Hersteller, langjährigen Lieferbeziehungen sowie begrenzter Innovation – zumindest keine, die eine besondere Beratung erforderlich machen würde. Diese Besonderheiten haben im Vertikal-Fall eine Rolle gespielt und deshalb macht es Sinn, die Hinweise auf den LEH zu beschränken. In Branchen mit ähnlicher Struktur wird man sie eventuell heranziehen können. Ihre Reichweite wird sicherlich noch Gegenstand der weiteren Diskussionen sein.

LZ: Der Vertikal-Fall hat seine Anfänge im Januar 2010 und sorgte lange Zeit für eine erhebliche Verunsicherung in der Branche. Warum kommt erst jetzt ein Leitfaden, um Klarheit zu schaffen?

Mundt: Es hätte doch sehr komisch ausgesehen, wenn wir noch an dem Fall gearbeitet und noch keine Bußgelder verhängt hätten, aber schon vorab in einem Leitfaden klarstellen, was wir für bebußungswürdig halten. Wir mussten zumindest den Abschluss des Großteils der Verfahren abwarten.

LZ: Offene kartellrechtliche Fragen stellen sich auch in anderen Bereichen, etwa beim Onlinehandel. Wären nicht auch Hinweise zu Vertriebsvorgaben von Herstellern im Internet sinnvoll?

Mundt: Hier ist Vieles noch nicht spruchreif. Wir haben unsere Auffassung im Asics-Fall klargestellt. Der Europäische Gerichtshof wird bald zu Coty entscheiden. Der Fall Deuter liegt beim Bundesgerichtshof (BGH). Wir stehen hier zudem mitten in einer intensiven Diskussion, denn die kartellrechtlichen Fragen stellen sich ja nicht nur bei uns.
Insofern ist die Zeit für Leitlinien noch nicht reif. Darüber kann man in den nächsten Jahren noch einmal nachdenken.

LZ: Mit dem Vorwurf, das Kartellverbot zu überdehnen, war Ihre Behörde auch im Verfahren um die „Konditionenvereinigung der Süßwarenindustrie“ konfrontiert. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat die Bußgelder jüngst bestätigt. Nun wird der BGH entscheiden. Die Verteidiger der Süßwarenhersteller kritisieren, dass der bloße Informationsaustausch im Rahmen klassischer Verbandsarbeit bestraft wurde. Was entgegnen Sie?

Mundt: Ich bringe das auf eine einfache Formel: Wenn Unternehmen sich über so viele wettbewerbsrelevante Parameter austauschen, dass sie genau wissen, wo die Konkurrenz steht und wie sie sich verhalten wird, braucht es am Ende keine Vereinbarung mehr. Das ist dann keine echte horizontale Absprache, was wir bei der Bußgeldfestlegung auch berücksichtigen; es bleibt aber kartellrechtswidrig. Unsere Entscheidungen gegen die Mitglieder der Konditionenvereinigung sind vom deutschen wie vom europäischen Recht gedeckt. Das war weder ein Pilotverfahren noch ein Unikum.

LZ: Steht Verbandsarbeit damit aber nicht per se unter dem Damoklesschwert einer Kartellbuße?

Mundt: Ein klares Nein. In allen Fällen, in denen wir Verbände bebußt haben, war der Bogen eindeutig überspannt. Dort waren die Verbände ganz unmittelbar daran beteiligt, das wettbewerbswidrige Verhalten zu organisieren. Es gibt für Verbandsarbeit eine einfache Faustformel: Keine Gespräche über zukünftiges Verhalten im Zusammenhang mit Preissetzung, Kunden- oder Gebietsaufteilung.

LZ: Das OLG hat die Strafen gegen die Süßwarenhersteller teils deutlich erhöht. Unternehmen können danach kaum noch riskieren, ein Settlement-Angebot des Kartellamts abzulehnen. Ist diese Machtfülle der Behörde nicht rechtsstaatlich bedenklich?

Mundt: Ich stimme Ihnen in einem Punkt zu: Settlements müssen absolut rechtsstaatlich ablaufen. Natürlich besteht bei bilateralen Verabredungen immer die Gefahr, dass das nach außen nicht gut aussieht. Deshalb haben wir klare Settlement-Leitlinien, die das Verfahren skizzieren und rechtliches Gehör zu unseren Vorwürfen gewährleisten. Erst wenn die Beweismittel gesichtet und gewürdigt wurden, gehen wir in Einigungsgespräche. Natürlich kommen Unternehmen auch schon Mal in einem sehr frühen Verfahrensstadium zu uns. Aber auch dann liegen Beweismittel und Vorwürfe auf dem Tisch.

LZ: Kommen wir zur anstehenden 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Quasi im Gegenzug zur Ministererlaubnis für Edeka und Tengelmann sollen die Regelungen zum sogenannten Anzapfverbot und zum Verbot von Verkäufen unter Einstandspreis verschärft werden. Wie bewerten Sie die Pläne?

Mundt: Wenn sich ein Markt weiter konzentriert, ist es gut, wenn auch die Regelungen zur Missbrauchsaufsicht geschärft werden. Die Änderungen beim Anzapfverbot orientieren sich an den Notwendigkeiten, die wir adressiert haben. Wir erhoffen uns die gleichen Klarstellungen im Übrigen auch vom BGH, der ja noch über die Edeka-Hochzeitsrabatte entscheiden wird. Das wird ein wichtiges Grundsatzurteil zur Abgrenzung von harten Verhandlungen auf der einen Seite und ungerechtfertigten Forderungen von marktmächtigen Unternehmen auf der anderen Seite.

LZ: Und die Neuregelung und Entfristung des Untereinstandspreisverbots?

Mundt: Auch diese Änderung begrüßen wir, wenngleich sie uns nicht von der Herausforderung enthebt, den Einstandspreis zu berechnen. Dies wird trotz der gesetzlichen Klarstellung schwierig bleiben. Wir erhoffen uns vom Untereinstandspreisverbot insbesondere eine Vorfeldwirkung.

LZ: Mit der GWB-Novelle soll das Amt auch neue Kompetenz erhalten, um den Verbraucherschutz im digitalen Bereich zu stärken. Wird Ihre Behörde damit nicht überfordert?

Mundt: Überfordert wären wir sicher nicht. Wir sind in Bezug auf Internet-Fälle eine der aktivsten Behörden in ganz Europa. Hier sind wir bestens aufgestellt, was das Know-how betrifft. Aber auch unsere Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse sind effektiv.

LZ: Warum aber sollte das Bundeskartellamt auf diesem Gebiet aktiv werden?

Mundt: Ich sehe die Notwendigkeit, im digitalen Bereich anders vorzugehen. Ein Unternehmen kann beispielsweise durch eine AGB-Verletzung im Internet Millionen von Verbraucher schädigen. Dafür haben wir in Deutschland bisher nicht das richtige Instrumentarium. Wenn die Verbraucherschützer etwa gegen Facebook vorgehen, wirkt dies immer nur zwischen den beiden Parteien. Es fehlt an einer Breitenwirkung. Dass wir hier noch nicht behördlich vorgehen können, ist ein Missstand. Noch ist allerdings offen, ob wir tatsächlich neue Befugnisse bekommen werden.

LZ: Angestoßen wurde die GWB-Novelle durch die EU-Kartellschadensrichtlinie. Kartellopfern soll die Geltendmachung von Schadenersatz erleichtert werden. Inzwischen rollt eine regelrechte Klagewellen auf ehemalige Kartellanten, etwa Zucker-, Lkw-, Drogerie- und Süßwarenhersteller, zu. Auf Bußgelder in Millionenhöhe folgen Klagen in weitaus höherem Umfang. Ist das noch verhältnismäßig?

Mundt: Das ist die natürliche Folge der Entwicklung in den letzten zehn Jahren. Eine Konsequenz unserer Kartellverfolgung, aber auch des gewachsenen Bewusstseins, dass Kartelle einen materiellen Schaden anrichten. Dass die Opfer bei erlittenen Schäden Ersatz vom Täter verlangen dürfen ist Grundlage unserer Zivilrechtsordnung.

Das Interview führten Hanno Bender und Gerrit-Milena Strätling

Quelle: Lebensmittel Zeitung, Ausgabe 07 vom 17. Februar 2017

PDF-Datei des Interviews:

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