"Kartellbehörden betreiben keine Strukturpolitik"

ZfK: Die neue Bundesregierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Vorgaben für Konzessionsverfahren grundsätzlich zu vereinheitlichen und das Procedere effizienter zu gestalten. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Mundt: Die wesentlichen Fragen der Auswahl eines neuen Konzessionärs sind durch die Rechtsprechung mittlerweile geklärt. Was das diskriminierungsfreie Auswahlverfahren angeht, sehen wir daher eigentlich keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Nach unserer Auffassung ist eine Rügeobliegenheit bei der Konzessionsvergabe wichtig für mehr Rechtsfrieden. Demnach müssten Fehler bei der Konzessionsvergabe umgehend bei der Kommune angezeigt werden, um den eigenen Anspruch auf Nachprüfung des Verfahrens zu erhalten. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dies angenommen und der Bundesgerichtshof hat dies auch angedeutet. Darüber hinaus herrscht bei der Übergabe der Netze eine gewisse Unsicherheit, was Kaufpreis, Umfang des Netzübergangs und die Entflechtung angeht Auch hier könnte ein Handlungsbedarf gegeben sein.

ZfK: Welchen Beitrag kann und will das Bundeskartellamt für eine Vereinfachung leisten?

Mundt: Das Bundeskartellamt hat durch den gemeinsamen Leitfaden mit der Bundesnetzagentur und seine Praxis und Entscheidungen bereits einen wichtigen Beitrag geleistet. Wir betonen den Ermessensspielraum der Kommunen bei der Gewichtung der Auswahlkriterien innerhalb der Ziele des § 1 EnWG und der wirtschaftlichen Verwertung des Wegenutzungsrechts. Gegenüber Beschwerdeführern haben wir immer wieder auf den Gestaltungs- und Auswahlspielraum der Kommunen hingewiesen.

ZfK: Dieser mit der Bundesnetzagentur erarbeitete Leitfaden findet zwar Akzeptanz, dennoch sind die Unwägbarkeiten bei Konzessionsverfahren nach wie vor groß. Woran liegt dies aus Ihrer Sicht?

Mundt: Viele Aspekte sind durch Urteile des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte mittlerweile geklärt worden. Unsicherheiten gibt es noch bei Themen der Netzübernahme, insbesondere der Kaufpreisbemessung und dem Umfang der Netze. Aber auch das werden die Gerichte bald klären. Wir haben mit dem Leitfaden in einem entscheidenden Maß dazu beigetragen, die Unwägbarkeiten nachhaltig zu verringern.

ZfK: Wird es demnächst Änderungen oder eine zweite Auflage des Leitfadens geben?

Mundt: Derzeit sind Änderungen oder eine zweite Auflage des Leitfadens zwar nicht geplant, ich will das aber auch nicht ausschließen. Der Leitfaden hat sich bewährt und findet in der Praxis der Kommunen und Marktteilnehmer Anwendung. Zudem sind viele Positionen von den Gerichten bestätigt worden. Es wird sich wohl nie ganz vermeiden lassen, dass sich dennoch neue Fragen und Probleme ergeben. Diese müssen und werden dann durch die Entscheidungspraxis und die Gerichte geklärt werden.

ZfK: Kommunalverbände kritisieren, dass Konzessionsverfahren Gegenstand kommunaler Selbstverwaltung sind und damit nicht in das Aufgabengebiet des BKartA fallen.

Mundt: Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ist ja nicht grenzenlos, sondern nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet. Die Vergabe der Wegenutzungsrechte ist nach geltender Rechtsprechung eine unternehmerische Tätigkeit, auf die das Kartellrecht Anwendung findet. Da die Kommunen in ihrem Gemeindegebiet marktbeherrschend sind, unterliegen sie auch dem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot sowie dem EnWG. Ein diskriminierungsfreies Auswahlverfahren dient einer an den Zielen des § 1 EnWG ausgerichteten Entscheidung über die Auswahl eines neuen Netzbetreibers. Letztlich führt das Kartellrecht die Entscheidungen der Kommune auf diesen energiewirtschaftlichen Fokus zurück. Die Selbstverwaltungsgarantie darf in der Diskussion nicht zweckentfremdet werden. Das Grundgesetz gewährt die kommunale Selbstverwaltung im Bereich der Energieversorgung zur Sicherstellung einer an den Zielen des § 1 EnWG ausgerichteten Energieversorgung und nicht, um die Finanzierung anderer Leistungen wie Spaßbäder zu ermöglichen.

ZfK: Kommunen beklagen, dass die potenziellen Fehlerquellen bei der Ausschreibung von Konzessionen mittlerweile sehr groß sind - gerade für nebenamtliche Bürgermeister. Können Sie die Bedenken der Kommunen nicht verstehen?

Mundt: Ja und nein. Die Auswahl eines neuen Wegenutzungsberechtigten ist sicherlich eine der komplexeren Aufgaben einer Kommune. Hinzu kommt, dass eine solche Auswahl nicht alle Tage vorzunehmen ist. Wir haben dieses Problem früh erkannt, und es war ja gerade unser Anliegen, den Kommunen mit dem gemeinsamen Leitfaden eine zuverlässige Orientierungshilfe an die Hand zu geben.

ZfK: Was raten Sie diesen für ihre tägliche Praxis?

Mundt: Nach unserer Ansicht kann man ein Konzessionsvergabeverfahren rechtssicher durchführen, indem man das Auswahlverfahren diskriminierungsfrei und ergebnisoffen hält und sich an den Zielendes § 1 EnWG und den zulässigen wirtschaftlichen Gegenleistungen nach der Konzessionsabgabenverordnung (KAV) orientiert. In der Praxis haben wir das Gefühl, dass die Mitarbeiter in den Gemeindeverwaltungen einen guten Job bei diskriminierungsfreien Konzessionsvergabeverfahren machen. Bei kleineren Gemeinden besteht auch die Möglichkeit, zusammen mit anderen kleinen Gemeinden auszuschreiben und so die Kompetenz zu bündeln sowie Kosten zu reduzieren.

ZfK: Welchen Spielraum für fiskalische oder sonstige eigene Interessen würden Sie Gemeinden bei der Auswahl des Konzessionärs zubilligen?

Mundt: Die Gemeinden haben natürlich die Möglichkeit, ihr Interesse an einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen Energieversorgung durch die Auswahl des Neukonzessionärs zu verfolgen. Dieses Interesse hat im Sinne der Netznutzer Vorrang. Fiskalische Interessen dürfen Gemeinden ebenfalls berücksichtigen. Sie sind allerdings durch die Konzessionsabgabenverordnung gedeckelt. Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber im Sinne der Bürger getroffen, weil höhere Konzessionsabgaben und andere finanzielle Gegenleistungen sonst durch den Netzbetreiber als Monopolisten einfach an die Kunden weitergereicht werden würden.

ZfK: Widersprechen Sie einer Gemeinde, die eigene Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungen des Netzbetriebs zum Auswahlkriterium macht?

Mundt: Nein. Die Gemeinde hat ein berechtigtes Interesse, darauf Einfluss zunehmen, dass die Zusagen, die Bewerber machen, auch eingehalten werden. Bedenken ergeben sich nur, was Art und Weise der Einflussmöglichkeiten angeht. Es dürfen gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussmöglichkeiten nicht besser bewertet werden als konzessionsvertragliche. Andernfalls würden Bewerber, die der Kommune eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung anbieten, per se besser bewertet werden als solche, die eine kommunale Beteiligung nicht vorsehen.

ZfK: Sie haben in der Presse davor gewarnt, dass es bei Netzen in kommunaler Hand hohes Missbrauchspotenzial gibt. Welche Missbrauchsmöglichkeiten haben Stadtwerke, die die großen privaten Energieriesen nicht haben?

Mundt: Das Bundeskartellamt hat immer darauf hingewiesen, dass eine Kommune, deren eigenes Unternehmen sich am Konzessionsvergabeverfahren beteiligt, vor besondere Herausforderungen gestellt ist. Sie tritt zugleich als Anbieter und Nachfrager bei der Vergabe auf. Dies birgt ein erhöhtes Missbrauchspotenzial, das eigene Unternehmen zu bevorzugen. Weitere Risiken waren durch Erhebung überhöhter Konzessionsabgaben denkbar, wenn die Kommune Inhaberin eines Netzes und zugleich auch Versorger auf Endkundenebene ist. Als kommunaler Netzbetreiber kann sie Wettbewerber auf Vertriebsebene durch Fordern überhöhter Konzessionsabgaben behindern.

ZfK: Das BKartA kritisiert die Fragmentierung von Energienetzen. Ist es Aufgabe des Bundeskartellamts, die Zahl von Unternehmen in einem Markt möglichst klein zu halten?

Mundt: Es geht nicht um die Anzahl der Unternehmen in einem Markt, sondern um die Zahl der nebeneinander bestehenden Netzmonopolisten. Die mögliche Fragmentierung der Netze spielt bei den Verfahren des Bundeskartellamts keine Rolle. Die Kartellbehörden betreiben keine Strukturpolitik, sondern verhindern den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen. Allerdings kann die Fragmentierung das Erfordernis von Schnittstellen erhöhen, zusätzlichen Abstimmungsbedarf zu Nachbarnetzen verursachen und zu lneffizienzen führen. Größere Netze können hingegen Skaleneffekte nutzen, gewährleisten jedoch unter Umständen nicht immer einen individuellen Zuschnitt. Wie die optimale Betriebsgröße zu definieren ist, ist eine Frage des Einzelfalls.

ZfK: Kleine Gemeinden wie Hei1igenhafenm, die ihr Netz rekommunalisieren wollten, hatten auf Unterstützung des Bundeskartellamts beim Aufbrechen der Energiekonzern-Monopole gehofft- vergeblich. Ist das Bundeskartellamt die beste Waffe, die Eon und RWE noch haben?

Mundt: Das Bundeskartellamt ist für den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen zuständig, unabhängig davon, wer diesen Missbrauch begeht. Wir behandeln alle Unternehmen gleich und lassen uns nicht für einzelne unternehmerische Interessen instrumentalisieren. Das sehen Sie auch daran, dass wir in vielen Fällen Beschwerden von Altkonzessionären wie RWE und Eon zurückgewiesen haben, weil wir das Auswahlverfahren der Gemeinde in Ordnung fanden. Heiligenhafen hat die Konzession allerdings erst ausgeschrieben und sie dann nach Eingang von Angeboten an den eigenen kommunalen Betrieb vergeben, der weder gegründet noch sich überhaupt beworben hatte oder seine fachliche und finanzielle Kompetenz als möglicher neuer Netzbetreiber dargelegt hatte.

ZfK: Das Bundeskartellamt verlängert mit seiner Position bei strittigen Konzessionsvergaben in den Gemeinden den Status quo aus einer Zeit der Energiemonopole vor 20 Jahren. Ist das Absicht oder Kollateralschaden?

Mundt: Wir verlängern nicht den Status quo, sondern sichern ein diskriminierungsfreies Auswahlverfahren. Das kommt auch Anbietern zugute, die sich als Neukonzessionär bewerben.

ZfK: In Städten wie Berlin, Hamburg oder Stuttgart wollten Sie sich die Konzessionsvergabe ganz genau anschauen. Was hat dieser Blick bislang ergeben?

Mundt: Wir begleiten die Verfahren auf Wunsch dieser Städte und geben im Vorfeld und während des Auswahlverfahrens eine vorläufige wettbewerbliche Einschätzung. Die Städte bleiben jedoch Herrinnen des Verfahrens. Sie entscheiden, ob sie die Anregungen des Bundeskartellamts aufgreifen oder auf eigenes Risiko ignorieren.

Die Fragen stellte Jürgen Walk.

Quelle: Zeitung für kommunale Wirtschaft, 5.5.2014.

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