"Mit Wettbewerb hat das nur wenig zu tun"

Bundeskartellamts-Präsident zur Preisfindung am Benzinmarkt / Meldestelle soll bessere Kontrolle ermöglichen

Als Reaktion auf die hohen Spritpreise will die Bundesregierung einen Meldezwang für die Preise und Handelsmengen der Mineralölprodukte einführen. Das Ziel ist mehr Wettbewerb und Transparenz an den Tankstellen. Ob das auch zu sinkenden Benzinpreisen führen wird, darüber sprach Petra Sigge mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt. Der oberste deutsche Wettbewerbshüter ist heute Abend Gastredner bei einer Veranstaltung der Bremer Handelskammer.

Weser Kurier: Die geplante Preiskontrollstelle soll in Ihrer Behörde angesiedelt werden, Herr Mundt. Welche Aufgaben kommen damit auf Sie zu?

Mundt: Wir wollen uns einen Überblick verschaffen, wie sich die Benzinpreise auf dem Weg von der Raffinerie bis zur Tankstelle verändern. Dazu müssen wir wissen, wie teuer das Benzin ist, wenn es die Raffinerie verlässt. Und diese Daten vergleichen wir dann mit den Preisen an den Straßentankstellen. Sinn und Zweck des Ganzen ist, sogenannten Preis-Kosten-Scheren künftig schneller auf die Spur zu kommen.

Weser Kurier: Welchem Verdacht gehen Sie da nach?

Mundt: Von Preis-Kosten-Scheren reden wir, wenn die großen fünf Mineralölunternehmen in Deutschland Benzin, das aus ihren Raffinerien kommt, an ihren eigenen Tankstellen billiger an die Autofahrer verkaufen als sie es an die freien Tankstellen liefern. Das ist verboten, wenn es sich um marktbeherrschende Unternehmen handelt, wie das in dieser Branche nach unserer Erkenntnis der Fall ist. Eine freie Tankstelle kann bei einer solchen Preisgestaltung nicht wettbewerbsfähig sein.

Weser Kurier: Erst vor wenigen Wochen haben Sie Missbrauchsverfahren gegen Mineralölfirmen eingeleitet. Welche Unternehmen sind davon betroffen?

Mundt: Unter Verdacht stehen alle fünf großen Konzerne mit ihren Markentankstellen Shell, Esso, Total, Jet und BP/Aral. Insgesamt geht es um 20 Einzelfälle. Das klingt erst mal nicht viel, hat aber eine gewisse Signalwirkung für den Markt. Die Unternehmen sollen wissen, dass sich Preis-Kosten-Scheren nicht lohnen, dass sie besser die Finger davon lassen sollten. Es geht uns ja nicht darum, Bußgelder zu verhängen. Ziel dieser Verfahren ist es, dafür zu sorgen, dass die freien Tankstellen zu fairen Preisen beliefert werden.

Weser Kurier: Und die neue Preismeldestelle soll Ihnen die Arbeit erleichtern?

Mundt: Ja. Bisher haben wir nur die Möglichkeit, die Daten im Einzelfall bei den Konzernen abzufragen. Wenn wir die Preise in Zukunft ohne mühsame Recherche von den Unternehmen fortlaufend übermittelt bekommen, ist das eine gewisse Erleichterung.

Weser Kurier: Die Mineralölbranche stöhnt schon jetzt. Sie spricht von täglich bis zu einer Million Daten, die sie zu übermitteln hat.

Mundt: Die Mineralölfirmen müssen diese Daten ja nicht extra für uns erheben, sondern sie erheben sie ja alle ohnehin längst und werten sie auch für sich selbst aus, um ihre Preissetzung festzulegen. Richtig ist, dass die Unternehmen uns diese Informationen künftig auch zur Verfügung stellen müssen, aber in welcher Form das geschieht, muss sich ja erst noch zeigen. Über die konkrete Ausgestaltung ist bisher noch nicht im Einzelnen gesprochen worden.

Weser Kurier: Haben Sie überhaupt genügend Leute in Ihrer Behörde, um die gesammelten Daten zu vergleichen und auszuwerten?

Mundt: Nein, im Moment haben wir die Leute nicht. Das Bundeskartellamt ist ja eine eher kleine Behörde mit rund 280 Vollzeitstellen. Für die Energiewirtschaft gibt es eine Abteilung. Und die umfasst mit allen Mitarbeitern von der Sekretärin bis zum Abteilungsleiter wenig mehr als ein Dutzend Leute, die für die gesamte Energiebranche zuständig sind, einschließlich Strom und Gas. Also das ist eine Aufgabe, die da jetzt auf uns zukommt, die ist ohne zusätzliches Personal nicht zu bewältigen, aber wir rechnen hier eher mit einstelligen Stellenzahlen.

Weser Kurier: Lohnt sich denn der Aufwand? Wird es sich tatsächlich auf die Spritpreise auswirken, wenn Sie die Branche besser kontrollieren können?

Mundt: Die Benzinpreise werden mit der Einrichtung der neuen Kontrollstelle sicher nicht postwendend runtergehen. Datensammeln allein senkt noch keine Preise. Aber ich glaube schon, dass wir mithilfe der neuen Kompetenzen ein Stück effektiver dafür sorgen können, dass die freien Tankstellen zu fairen Bedingungen beliefert werden.

Weser Kurier: Was ist denn mit den Raffinerien? Müsste man da nicht mal rangehen und die Preisbildung untersuchen?

Mundt: Wenn Sie die Mineralölunternehmen fragen, dann sagen die Ihnen, Raffinerien seien nur eine Last. Da verdienten sie überhaupt kein Geld. Ich stelle mir dann wiederum die Frage: Wenn die Firmen wie behauptet an den Tankstellen nur einen Cent pro Liter verdienen und die Raffinerien nur eine Last sind – wo werden dann eigentlich die 23 Milliarden Dollar Gewinn gemacht, die beispielsweise Shell für das letzte Jahr ausweist. Nur am Bohrloch? Es wäre durchaus interessant, die Raffinerie-Stufe einmal genauso zu durchleuchten, wie wir das bei den Tankstellen getan haben. Das Problem ist nur, dass wir es hier mit einem hochkomplexen Bereich zu tun haben. Schließlich stellt eine Raffinerie eine Vielzahl von Produkten her. Um herauszufinden, welche Kosten für welches Produkt anfallen, müsste man eine Sektoruntersuchung machen, die sicher sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Das ist auch eine Ressourcenfrage.

Weser Kurier: Im Bereich der Tankstellen haben Sie eine solch aufwendige Untersuchung schon im vergangenen Jahr abgeschlossen. Gesunken sind die Preise seither aber nicht.

Mundt: Diese Sektoruntersuchung mussten wir erst einmal machen, um überhaupt zu verstehen, wie die Preissetzung an den Tankstellen funktioniert. Heute kennen wir viele Einzelheiten. Zum Beispiel wie das System der Preissetzung abläuft. Dass entweder Aral oder Shell die Preise erhöht und der andere nach drei Stunden nachzieht und die übrigen nach fünf Stunden. Und dass jeder Pächter im Schnitt 3,5 Tankstellen in seiner Umgebung beobachtet und die Preise sofort an seine Konzernzentrale meldet, damit die dann umgehend reagieren kann.

Weser Kurier: Und warum hindert niemand die Konzerne an dieser Form der Preisfindung?

Mundt: Was die Unternehmen hier machen, die eigenen Preise an den Preisen der Konkurrenz auszurichten, das ist in einer Marktwirtschaft erlaubt. Bei funktionierendem Wettbewerb ist solches Verhalten ja auch wünschenswert. Das Problem auf den Tankstellenmärkten ist, dass der Wettbewerb nicht funktioniert, weil der Markt von einem Oligopol der großen Fünf Mineralölkonzerne beherrscht wird. Preiserhöhungen können deshalb gefahrlos durchgesetzt werden. Die Unternehmen können sich darauf verlassen, dass die anderen mitziehen werden. Mit Wettbewerb hat das Ganze nur wenig zu tun, genauso wie die Tatsache, dass Jet immer einen Cent billiger ist als die anderen. Wir müssen also an die Marktstrukturen ran und hier für bessere Verhältnisse sorgen.

Weser Kurier: Bisher hatte das aber offenbar keinen Einfluss auf die Preise.

Mundt: Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass wir Preise haben, die im Wettbewerb zustande kommen. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass solche Preise deutlich niedriger sind. Dazu gibt es gerade im Mineralölbereich zu viele externe Faktoren, die da noch mitwirken. Volkswirtschaftlich ist aber jeder einzelne Cent an der Zapfsäule die Mühe wert, denn wir reden hier Jahr für Jahr von Milliarden Euro.

Weser Kurier: Sie meinen mit externen Faktoren Steuern und Abgaben?

Mundt: Da kommt noch vieles dazu. Da spielen die Wechselkurse eine Rolle und natürlich auch der Rohölpreis. Dass sich das allerdings so am Markt niederschlägt, wie uns die Unternehmen weismachen wollen, das glaubt nun auch keiner. Wenn Sie sehen, wie hier die Preise einmal am Tag um zehn Cent raufgehen und dann wieder abbröckeln, dann hat das ja nichts mit Wechselkursen oder mit dem Rohölpreis zu tun. Der ändert sich ja nicht untertägig mal eben um sieben Prozent. Auch der Wechselkurs ändert sich nicht in diesem Ausmaß. Das, was wir an den Straßentankstellen erleben, diese dramatischen Erhöhungen und dann das Abbröckeln, das ist etwas anderes. Das ist der Versuch, mit Marktmacht Preiserhöhungen durchzusetzen und die Marge zu verbessern.

Weser Kurier: Es gibt Länder, in denen der Staat zwar auch keinen Einfluss auf die Höhe des Benzinpreises nimmt, aber doch zumindest dafür sorgt, dass er eine gewisse Zeit lang stabil bleibt.

Mundt: Darüber könnte man auch in Deutschland nachdenken. Am Erfolg versprechendsten halten wir das Modell, das in West-Australien praktiziert wird. Dort müssen die Unternehmen vorab ihren Preis für den nächsten Tag melden, der dann auch den ganzen Tag stabil bleiben muss. Für die deutschen Autofahrer hätte so ein System den Vorteil, dass sie überhaupt erst mal in die Lage versetzt würden, die Preise miteinander zu vergleichen. Im Moment können Sie das kaum, weil die Preise so zappeln. Gleichzeitig bringt so ein Muster natürlich eine gewisse Unruhe in das Oligopol, weil die Unternehmen nicht mehr ohne Weiteres aufeinander reagieren können. Wird der Preis zu hoch angesetzt, wird das bestraft. Dann ist die Nachbartankstelle an dem Tag billiger und die Autofahrer tanken lieber dort.

Das Gespräch führte Petra Sigge.

Quelle: Weser Kurier am 03.05.2012.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz

OK