"Aufpassen, dass der Markt nicht kippt"

Kartellamtschef Andreas Mundt sorgt sich um den Wettbewerb im Lebensmittelhandel – und durchleuchtet die gesamte Branche

Ganze 85 Prozent des Lebensmittelhandels in Deutschland werden von den vier großen Konzernen Aldi, Lidl, Edeka und Rewe kontrolliert. Ist da noch ein echter Wettbewerb möglich? Oder sind Kunden und kleinere Lieferanten den großen Vier hilflos ausgeliefert? Es liegt "nahe, sich dieses Wettbewerbsverhältnis einmal genauer anzuschauen", sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes in Bonn. Seit Monaten schon prüfen seine Wettbewerbshüter in einer groß angelegten Untersuchung, ob es noch fair zugeht beim Handel. Wegen der detaillierten Untersuchung und einiger Bußgeldverfahren gegen große Handelsketten hat sich der Kartellamtspräsident insbesondere bei den Managern der großen Einzelhändler unbeliebt gemacht. Er mische sich in Dinge ein, von denen er nicht viel verstehe und deute ganz normale Gespräche unter Wettbewerbern schon als Absprachen, so der Vorwurf.

Die Welt: Herr Mundt, Können Sie denn noch in Ruhe einkaufen gehen?

Mundt: Ja natürlich, warum denn nicht?

Die Welt: Sie sind einer der Lieblings-Buhmänner der deutschen Einzelhändler. Das Bundeskartellamt würde sich in alles einmischen und hinter jeder Bierrunde von Managern verschiedener Unternehmen eine versteckte Preisabsprache vermuten.

Mundt: Das ist aus meiner Sicht doch sehr stark übertrieben.

Die Welt: Außerdem prüfen Sie schon seit Monaten mit Ihrer Sektoruntersuchung die Nachfragemacht im Lebensmittelhandel. Das würde den Unternehmen richtig viel Arbeit machen. Und kein Mensch weiß, wann da mal Ergebnisse herauskommen.

Mundt: Da müssen wir wohl einiges zurechtrücken. Dass diese Untersuchung einen großen Aufwand bedeutet, will ich überhaupt nicht bestreiten. Das alles ist nicht trivial und die Fragebögen sind sicherlich sehr stark ausdifferenziert, wir arbeiten mit einer erheblichen Detailtiefe. Aber genau das haben wir im Vorfeld umfangreich mit den Betroffenen besprochen, auch um den bürokratischen Aufwand so gering wie möglich zu halten. Es ist auch nicht frei von Widersprüchen, dass sich einzelne Firmen jetzt über die umfangreichen Fragenkataloge beschweren. Im Vorfeld hörten wir regelmäßig, dass wir uns in den Märkten nicht genügend auskennen würden und nicht wüssten, wie die Verhandlungen zwischen Händlern und Herstellern wirklich abliefen. Jetzt gehen wir richtig in die Details und das ist einigen plötzlich zu viel. Im Übrigen: Hersteller haben sich nicht beschwert und auch nur einzelne Handelsunternehmen. Wir machen so etwas ja auch nicht zum ersten Mal.

Die Welt: Wann gibt es Ergebnisse? Wann wissen wir, ob die Händler die Hersteller an die Wand drücken?

Mundt: Ich möchte betonen, dass wir hier eine völlig ergebnisoffene Untersuchung durchführen. Wir werden unseren Bericht auch mit der Branche diskutieren. Es ist aber ein komplexes Unterfangen, diese Schnittstelle zwischen Handel und Lieferanten richtig zu erfassen. Wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt, werden wir bis Ende dieses Jahres Ergebnisse vorlegen. Soweit wir im Laufe der Untersuchung Fusionsanmeldungen aus der Branche bekommen, können wir allerdings bereits auf einige unserer bisherigen Erkenntnisse aus der Auswertung zurückgreifen.

Die Welt: Wie war bisher die Teilnahmebereitschaft der Wirtschaft?

Mundt: Die war im Großen und Ganzen gut. In einzelnen Fällen mussten wir noch mal nachhaken und neue Fristen einräumen.

Die Welt: Warum machen Sie die Untersuchung überhaupt?

Mundt: Wir verzeichnen schon seit vielen Jahren einen fortlaufenden Konzentrationsprozess im Lebensmitteleinzelhandel. Am Ende des vergangenen Jahrtausends gab es bundesweit noch acht verschiedene größere Handelsketten. Heute konzentrieren sich 85 Prozent des Lebensmittelumsatzes auf gerade noch vier Unternehmen. Ihnen stehen mehrere Tausend Lieferanten gegenüber und das sind sicherlich nicht alles große Konzerne. Da liegt es nahe, sich dieses Wettbewerbsverhältnis einmal genauer anzuschauen. Insbesondere bei der Übernahme von Trinkgut durch Edeka im Jahr 2010 haben wir gesehen, dass wir uns noch tiefer mit dem Thema Nachfragemacht des Handels gegenüber den Herstellern befassen müssen.

Die Welt: Ist das ein deutsches Problem?

Mundt: Das Thema beschäftigt Wettbewerbsbehörden in ganz Europa. In Brüssel gibt es sogar Stimmen, die hier regulierend, also gesetzgeberisch, eingreifen wollen. Wir gehen hier nicht gegen den Handel vor, wie uns manchmal vorgeworfen wird. Stattdessen wollen wir die Strukturen besser kennenlernen, um die Diskussion zu versachlichen.

Die Welt: Aber die Handelsketten bekämpfen sich munter und drücken sich ständig bei den Preisen. Lebensmittel gibt es in Europa nirgends günstiger als in Deutschland. Das spricht doch für einen funktionierenden Wettbewerb.

Mundt: Ich habe noch keine belastbare Studie gesehen, die diese gemeinhin ziemlich pauschalen Aussagen tatsächlich stützt. Wir liegen beim Preisniveau europäisch eher im Mittelfeld. Für das vergangene Jahr hat das Statistische Bundesamt eine Teuerungsrate von fünf Prozent ausgewiesen. Im Übrigen müssen wir als Wettbewerbsbehörde stetig aufpassen, dass der Wettbewerb auf einem Markt auch erhalten bleibt, der Markt also nicht "kippt". Es geht mithin nicht nur um eine Analyse des Hier und Jetzt sondern auch um fundierte Prognosen für die künftige Marktentwicklung.

Die Welt: Sie wollen die Industrie schützen?

Mundt: Wir wollen den Wettbewerb schützen. Und wir wollen uns einen Überblick darüber verschaffen, ob dieser Wettbewerb zwischen Lebensmittelhändlern und Herstellern noch in allen Bereichen mit fairen Mitteln geführt wird. Die Nachfragemacht kann ja sowohl große als auch mittelständische Unternehmen treffen. Anbieter starker internationaler Marken haben vielleicht weniger Probleme mit der konzentrierten Handelsstruktur in Deutschland als Hersteller, die auf den deutschen oder deutschsprachigen Raum beschränkt sind.

Die Welt: Man hört von Handelsketten, die kleinere Hersteller erpressen sollen: 'Entweder, Du gehst auf unsere Preisforderungen ein oder wir verkaufen Deine Produkte nicht mehr!' Wie gehen Sie damit um?

Mundt: Ich möchte solche hypothetische Aussagen nicht kommentieren. Tatsache ist, dass wir regelmäßige Beschwerden aus Herstellerkreisen über verschiedene Praktiken des Handels erhalten. Ob sich dieses Verhalten noch im Bereich des "harten Verhandelns" bewegt oder ob wir es bereits mit kartellrechtlich relevanten Fragen zu tun haben, gilt es genauer zu analysieren.

Die Welt: Wie weit kann die Konzentration in der Handelslandschaft noch gehen?

Mundt: Die Konzentration im deutschen Lebensmittelhandel ist schon sehr weit fortgeschritten. Bei den großen Vier sehe ich tatsächlich nicht mehr allzu viel Spielraum. Auf der Absatzseite, also im Verhältnis der Händler zum Kunden, schauen wir uns die Situation ja immer regional sehr differenziert an, weil die Marktanteile je nach Standort schwanken. Deshalb konnten größere Vorhaben in der Vergangenheit auch unter Auflagen, also dem Verkauf von Standorten an Dritte, freigegeben werden. Nachfrageseitig – im Verhältnis des Handels zu den Herstellern – haben wir es aber überwiegend mit mindestens bundesweiten Märkten zu tun. Hier wird die Sektoruntersuchung wichtige Erkenntnisse für das weitere Vorgehen liefern.

Die Welt: Dreht sich der Trend zur Konzentration irgendwann mal wieder um?

Mundt: Das ist schwer zu sagen. Immerhin haben wir im vergangenen Jahr ein erfreuliches Signal gesehen. Als die mittelständische Handelskette Tegut mit rund 200 Standorten in der Mitte Deutschlands zum Verkauf stand, hat die schweizerische Migros und nicht einer der in Deutschland bereits etablierten Händler den Zuschlag bekommen. Sicherlich ist dies auch ein Ergebnis unserer konsequenten Linie bei der Fusionskontrolle. Das bringt wieder etwas mehr Vielfalt, vor allem bei der Beschaffung.

Die Welt: Das heißt?

Mundt: Zunächst spielt das Einkaufsverhalten der Migros für die Hersteller jetzt auch in Deutschland eine Rolle. Darüber hinaus bieten sich vielleicht auch neue Kooperationsmöglichkeiten für kleinere Händler, die ja oft gemeinsam mit den Großen einkaufen. Sie haben jetzt vielleicht eine neue Alternative für ihre Warenbeschaffung. Das nützt der Vielfalt, dem Wettbewerb und letztlich dem Verbraucher.

Die Welt: Und Ihr Beitrag dazu war, dass Edeka oder Rewe oder ein anderer großer deutscher Händler mit einer Ablehnung eines Übernahmeantrags für Tegut hätte rechnen müssen?

Mundt: Den deutschen Händlern wird klar gewesen sein, dass der Ausgang eines solches Prüfverfahren schwer vorherzusagen gewesen wäre, weil die Konzentration eben schon so weit fortgeschritten ist. Letztlich gab es zwar informelle Vorgespräche mit mehreren Interessenten, aber keinen formalen Antrag eines der großen Handelsunternehmen.

Die Welt: Noch einmal zu den Vorwürfen gegen Ihr Amt: Was sagen Sie zu dem Verdacht, Sie bezichtigten Manager oder Unternehmer allzu schnell der Preis-Absprache, wenn sie am Rande einer Messe oder eines Empfangs nur mal zwanglos miteinander plaudern?

Mundt: Der Vorwurf ist einfach falsch. Was Sie hier ansprechen, sind unsere Verfahren wegen kartellrechtswidriger Absprachen und den Austausch sensibler Informationen zwischen Wettbewerbern. Oft wird das fehlende Unrechtsbewusstsein auch in der öffentlichen Debatte vorgeschoben. In den Fällen, die wir aufgedeckt, verfolgt und schließlich mit Bußgeldern sanktioniert haben, wussten die Beteiligten genau, dass sie sich nicht mehr im Bereich einer normalen Unterhaltung unter Geschäftsfreunden befanden, sondern in der kartellrechtlichen Illegalität. In den konkreten Fällen haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht, dass den Betroffenen die Grenzen klar waren.

Die Welt: Sind Sie aber nicht, hört man in der Branche. Auch deswegen, weil ein übereifriges Bundeskartellamt eher verunsichere als klarstelle...

Mundt: Dieser Vorwurf wird uns bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen Handel und Hersteller gemacht. Das ist ein anderes Feld als die oben angesprochenen Preisabsprachen zwischen Herstellern. Wir führen ein großes Verfahren, in dem wir dem Verdacht nachgehen, dass sich Lebensmittelhersteller und -händler einvernehmlich auf Endverkaufspreise zulasten der Verbraucher geeinigt haben. Solche Vereinbarungen sind kartellrechtlich klar verboten. In Deutschland genauso wie nach europäischem Recht. Deshalb führen wir hier Bußgeldverfahren gegen inzwischen über 70 verschiedene Unternehmen. Darüber hinaus mag es Usancen in den Jahresgesprächen der Branche geben, die einen weniger klaren Fall bilden und diskutiert werden müssen. Hier reden wir aber nicht von Bußgelddrohungen, sondern suchen den Dialog mit der Branche, um diese Fragen gemeinsam zu erörtern.

Die Welt: Wenn Sie nicht der Buhmann sind, was sind Sie dann?

Mundt: Das Bundeskartellamt schützt den Wettbewerb in Deutschland und zwar branchenübergreifend in sämtlichen Wirtschaftsbereichen. Wettbewerb ist der Garant für Innovationen in der Wirtschaft. Warum sollten Unternehmen bestrebt sein, gute Qualität zu niedrigen Preisen anzubieten, wenn es keinen Wettbewerb gäbe? Wir erfüllen hier eine ganz zentrale Aufgabe in unserer sozialen Marktwirtschaft. Es gilt der Satz: Wettbewerbsschutz ist der beste Verbraucherschutz!

Die Welt: Ab wann tun Sie das bei den Tankstellen? Wann macht ihre "Markttransparenzstelle Kraftstoffe" die zahlreichen Preisänderungen sichtbar?

Mundt: Gerade haben wir mit dem Wirtschaftsministerium eine Verordnung erarbeitet, um Details, wie zum Beispiel zahlreiche technische Fragen zu klären. Der Bundestag muss dieser Verordnung noch zustimmen, wir arbeiten bereits an der konkreten technischen Umsetzung. Die Daten müssen korrekt erfasst werden, um sie dann an Verbraucherinformationsdienste weiterzugeben, die die Autofahrer über Smartphone und entsprechende Apps informieren werden. Ich gehe davon aus, dass die Autofahrer noch im Laufe dieses Jahres in der Lage sein werden, ganz gezielt die jeweils preiswerteste Tankstelle anzusteuern.

Das Gespräch führte Hagen Seidel.

Quelle: Die Welt am 09.02.2013.

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