"Über die „Sportschau“ entscheidet jetzt der Markt"

Kartellamtspräsident Mundt über die Vergabe der Bundesliga-Rechte, neue Zeitungsfusionen und das Ende des Presse-Grosso, wie es heute ist

Der Jurist Andreas Mundt, 51, führt seit 2009 das Bundeskartellamt. Die Wettbewerbsaufsicht mit Sitz in Bonn hat bei der Rechtevergabe für die Bundesliga bis Mitte 2017 durch die Deutsche Fußball Liga (DFL) erstmals eine Ausschreibungsvariante zugelassen, bei der die Highlights der Spiele nicht vorrangig im klassischen Fernsehen, sondern zuerst im Internet verwertet würden.

SZ: Herr Mundt, Sie sind ein Fan des 1. FC Köln, schauen Sie am Samstag auch die ARD-Sportschau?

Mundt: Nein, ich bin kein regelmäßiger Zuschauer der Sportschau. Sky habe ich übrigens auch nicht abonniert.

SZ: Das Bundeskartellamt hat gerade die neue Ausschreibung der Bundesliga- TV-Rechte genehmigt. Da gibt es auch Varianten ohne die ARD-Sportschau.

Mundt: Uns ging es darum sicherzustellen, dass die Fußball-Medienrechte wettbewerbskonform ausgeschrieben werden. Wir haben eine sehr umfassende und systematische Befragung aller Beteiligten durchgeführt und auch mit der Liga intensiv diskutiert. Das jetzt vorgesehene Modell sichert den Medien einen wettbewerblichen Zugriff auf die Rechte.

SZ: Das Ergebnis ist, dass es künftig möglicherweise eine Sportschau im Internet gibt, nicht mehr eine im frei empfangbaren Fernsehen.

Mundt: Das muss nun der Markt entscheiden. Das wettbewerbliche und technologische Umfeld ist doch heute ein ganz anderes im Vergleich zur Ausschreibung von vor vier Jahren. Auch ich habe zum Beispiel ein Smartphone in der Tasche. Da habe ich vor ein paar Jahren nicht mal dran gedacht. Wir sind einige Jahre weiter.

SZ: Ihr Vorgänger als Kartellamtspräsident, Bernhard Heitzer, hatte der ARD Sportschau noch eine Bestandsgarantie verschafft.

Mundt: Das muss ich zurechtrücken: Wir haben in dem Verfahren 2008 nicht auf die Sicherung der ARD-Sportschau geachtet.

SZ: Das klang aber so. Herr Heitzer hatte sich sogar als Sportschau-Fan geoutet.

Mundt: Ja, ich weiß. Aber glauben Sie mir: Entscheidend war für uns eine zeitnahe und frei empfangbare Highlight-Berichterstattung als Gegenpol zu dem seinerzeit geplanten Kirch-Modell. Ich war damals Leiter der Grundsatzabteilung des Kartellamts. Dass es mangels anderer Interessenten wieder auf die Sportschau hinauslaufen würde, war uns wie allen anderen natürlich auch klar. Dennoch darf man hier die Gründe für eine Entscheidung nicht mit dem Ergebnis verwechseln. Auch bei der anstehenden Ausschreibung ist es ja trotz aller Neuerungen durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass es wieder die ARD-Sportschau wird.

SZ: Was glauben Sie, wer wird die Fernsehrechte der Bundesliga bekommen?

Mundt: Der, der am meisten bietet. Die Beteiligten müssen jetzt rechnen, der Rahmen ist jedenfalls abgesteckt. Es gibt mehr Szenarien als beim letzten Mal und für manche Übertragungswege zeichnet sich frischer Wettbewerb ab.

SZ: Bei der letzten Ausschreibung gab es die Idee eines eigenen Bundesligakanals, den die Firma Sirius von Leo Kirch umsetzen wollte und der dann alle beliefert. Ist das diesmal wieder möglich?

Mundt: Nein, das ist in dieser Form diesmal nicht vorgesehen. Und ich begrüße das. Denn die Idee eines Bundesligakanals war ein monopolartiges Modell, da sollte alles aus einer Hand kommen. Das war nicht gut für den Wettbewerb.

SZ: Kann man bei Fußballfernsehrechten überhaupt von Wettbewerb sprechen? Die vergeben alle Klubs gemeinsam, das ist doch ein klassisches Kartell.

Mundt: Die Organisation einer Fußballliga kann ja nur gemeinsam funktionieren, das ist auch zum Vorteil des Verbrauchers. Wir haben die Frage des Charakters der Wettbewerbsbeschränkung ganz genau analysiert. Dabei ist auch klar geworden: Ohne eine gemeinsame Vermarktung der Rechte gäbe es eine frühe frei empfangbare Highlight-Sendung vielleicht gar nicht – auch nicht im Internet. Die Zentralvermarktung ist kein ganz klassisches Kartell. Einen Sack Zement können Sie genauso beim Wettbewerber kaufen. Die Fernsehrechte des FC Bayern sind mit denen eines anderen Vereins aber nicht so einfach austauschbar. Den Verbraucher interessiert offenbar vor allem der Überblick über die gesamte Liga. Deshalb kann so eine gemeinsame Vermarktung vom Kartellverbot freigestellt sein.

SZ: Google und das Internet zeigen nicht nur bei Fernsehrechten, dass die Medienmärkte heute ganz anders aussehen. Auch das Pressefusionsrecht wird umgebaut und gelockert. Eine gute Idee?

Mundt: Mit dem, was bislang beim Pressefusionsrecht in den Gesetzesentwurf gelangt ist, können wir leben. Es geht doch vor allem darum, den kleinen Verlagen Fusionen zu erleichtern. Es gibt noch ganz andere Vorstellungen der Verlage und ihrer Verbände, etwa die Idee einer sogenannten Anschlussklausel, also dass kleine und mittlere Unternehmen bis zu einem gewissen Umsatz unkontrolliert aufgekauft werden könnten. Das wäre außerordentlich problematisch, denn dieses würde in erster Linie Großverlagen zugutekommen.

SZ: Verleger führen oft die Zusammenarbeit jenseits des Redaktionellen an, es ist billiger, wenn man gemeinsam druckt, vermarktet, Papier einkauft . . .

Mundt: Hier reden wir von Kooperationen. Das ist etwas anderes als eine Fusion. Bei Kooperationen zeigen wir uns sehr flexibel. Wir sehen die Effizienzen, die beispielsweise eine gemeinsame Druckerei haben kann. Es ist aber doch eher so, dass gerade in ländlichen Gebieten der eine Verlag gar nicht mit dem anderen kann. Ich kenne benachbarte Zeitungen, die jeweils gerade neue Druckzentren bauen, weil man sich nicht einigen konnte.

SZ: Warum nimmt das Wettbewerbsrecht die kleinen Zeitungen so wichtig?

Mundt: Bei Printmedien gibt es keine Aufsichtsinstanz, die die Meinungsvielfalt sichert – etwa wie die KEK im Rundfunk. Es ist allgemein anerkannt, dass die Meinungsvielfalt im Printbereich so eine Art Nebenprodukt der Wettbewerbsaufsicht ist. Wir achten auf Wirtschaftsvielfalt, aber wir sichern Meinungsvielfalt in gewisser Weise mit.

SZ: Madsack kaufte zum Beispiel die Märkische Allgemeine von der FAZ, M. DuMont Schauberg erwarb Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung. Das zeigt: Der Zeitungsmarkt spaltet sich: In Medien mit landesweiter Verbreitung und in rein regional orientierte, große Verlagshäuser, die eine immer größere Flächen abdecken und im Mantelteil auf redaktionelle Synergien setzen. Ist das nicht problematisch für die Meinungsvielfalt?

Mundt: Diese Verlage kaufen in der Tat Ihre Zeitungen oft nicht in zusammenhängenden Gebieten, sondern geografisch weit auseinander liegend. Wettbewerblich ist das am Ende kein Problem. Ob die Meinungsvielfalt besser gesichert werden müsste, das ist eine sehr schwierige Frage. Wettbewerblich kriegen Sie das jedenfalls nicht in den Griff, bei uns gehen diese Fälle im Gegensatz zu Nachbarschaftsfusionen meist in wenigen Wochen durch. Die Frage ist dann, ob man nicht auf die Fläche verteilt praktisch ein Meinungsmonopol bekommt, von einem, der wie die Spinne im Netz sitzt.

SZ: Glauben Sie, dass man zusätzliche Kontrolle für Meinungsvielfalt braucht?

Mundt: Ich bin da sehr zurückhaltend. Das Mediennutzungsverhalten hat sich sehr stark verändert. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Zeitung zu frühstücken, meine Kinder sind da anders, die frühstücken auch ohne Zeitung.

SZ: Die Medienmärkte sind größer und vielfältiger als vor fünf Jahren. Würden Sie die Fusion von Springer und Pro Sieben Sat 1 immer noch verbieten wie 2006?

Mundt: Ich finde diese Entscheidung nach wie vor richtig. Wir haben die Fusion von Axel Springer und Pro Sieben Sat 1 ja nicht wegen der großen Medienmacht untersagt, sondern weil eine wirtschaftliche Macht entstanden wäre. Wir haben damals viele Marktteilnehmer befragt. Das klare Ergebnis: Anzeigen in der Bild und Fernsehwerbung abends bei RTL stehen durchaus in einem wettbewerblichen Zusammenhang. Wir würden heute die Entscheidung vielleicht noch tiefer begründen, aber ob wir zu einem anderen Ergebnis kämen, glaube ich nicht.

SZ: Aus dem gleichen Grund haben Sie die geplante gemeinsame Video-Plattform von RTL und Pro Sieben untersagt.

Mundt: Das berühmte Projekt Amazonas. Richtig ist, dass auch hier die Werbemärkte bei der wettbewerblichen Beurteilung eine entscheidende Rolle spielen. Das Verbot wird gerade vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf überprüft.

SZ: Germany’s Gold, die geplante kostenpflichtige Video-Plattform von ARD/ZDF prüfen Sie auch gerade. Man hört, es gebe den Trend zur wohlwollenden Bewertung.

Mundt: Wir schauen uns das genauso streng an wie die Pläne von RTL und Pro Sieben Sat 1. Es ist in der Öffentlichkeit etwas schwer darstellbar, dass es aus wettbewerblicher Sicht dennoch gewichtige Unterschiede gibt.

SZ: Was ist erklärungsbedürftig?

Mundt: Bei Amazonas spielte die wirtschaftliche Macht im Werbebereich eine große Rolle. Die Werbeeinnahmen aus Fernsehen vereinen sich zu etwa 80 Prozent auf die Privatsender. Das spielt also bei Germany’s Gold eine geringere Rolle. Gleiche Maßstäbe für beide Fälle gelten aber auch bei der Frage, wie sich der Bezug von Inhalten über das Internet entwickelt und wie der Zugang zu einer gemeinsamen Plattform für Dritte ausgestaltet ist. Ob das Projekt der Öffentlich-Rechtlichen hier zu Wettbewerbsbeschränkungen führt, prüfen wir derzeit.

SZ: Das Wettbewerbsrecht ist auch der Hebel, mit dem das Landgericht Köln auf Klage des Hamburger Bauer-Verlags das Presse-Grosso kippen könnte. Dass die Verträge zwischen Grossisten und Verlagen zentral geschlossen werden, könnte als Kartell eingestuft werden. Ist das Grosso- System aus Wettbewerbssicht haltbar?

Mundt: Den Presse-Grosso gibt es seit der Nachkriegszeit und wir haben zumindest nie etwas dagegen unternommen. Sie begeben sich dort in ein schwieriges Spannungsfeld mit der Medienvielfalt, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit – alles Werte, die grundgesetzlich abgesichert sind. Auf der anderen Seite steht das Wettbewerbsrecht, das sind schwierige Abwägungsprozesse. Ein Grosso-System bringt zweifellos gewisse Effizienzen mit sich.

SZ: Das System gilt als Garant für Pressevielfalt – es sorgt dafür, dass auch kleine Titel zu gleichen Konditionen an die Kioske kommen. Die Politik hat daher eine Gesetzesänderung angekündigt, falls das Grosso als wettbewerbswidrig eingestuft werden sollte. Wie könnte die aussehen?

Mundt: Das ist schwierig. Sie können das deutsche Wettbewerbsrecht per Gesetz aushebeln, aber nicht das europäische Wettbewerbsrecht. Dafür müssten Sie den Graubereich zwischen den genannten Rechtsgütern ganz scharf definieren – und wissen noch nicht einmal, ob das im Zweifel bis vor das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof Bestand hätte.

SZ: Sehen Sie einen anderen Weg, das System zu erhalten – ohne das Wettbewerbsrecht zu ändern?

Mundt: So, wie es heute ist, wird es möglicherweise nicht bleiben können. Helmut Kohl hat ja einmal mit einem einzigen Federstrich erklärt, das Kartellrecht sei nicht zuständig für Sportrechtevermarktung. Das geht heute nicht mehr. Am Europarecht kommt die Bundesregierung nicht vorbei.

SZ: Ist die Kultur wirklich ein Gut, das dem Wettbewerbsrecht unterliegen sollte?

Mundt: Ich bin immer für Wettbewerb, wo es geht. In der Kultur gilt das auf jeden Fall. Wenn zum Beispiel eine Primaballerina schwächelt, ist sie keine mehr. Mehr Wettbewerb gibt es nirgends.

Das Interview führten Caspar Busse und Claudia Tieschky.

Quelle: Süddeutsche Zeitung am 11.02.2012.

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