"Es gibt wieder Appetit auf Fusionen"

Hat das Kartellamt jedes Augenmaß verloren? Behördenchef Andreas Mundt wehrt sich, die Maximierung von Strafen sei nicht sein Ziel. Außerdem äußert sich der Wettbewerbshüter über die steigende Zahl von Firmenehen und die Benzinpreise.

Das Bundeskartellamt, idyllisch in der Nähe des Rheinufers in Bonn gelegen, ist derzeit eine große Baustelle, überall werkeln Handwerker, bauen einen neuen Eingang. Andreas Mundt, 50, seit Ende 2009 Präsident der Wettbewerbsbehörde, hat bereits einiges geändert und geht hart gegen Kartelle vor. Die betroffenen Unternehmen kritisieren das. An diesem Donnerstag eröffnet Mundt die Internationale Kartellkonferenz in Berlin, das größte Treffen von Wettbewerbshütern in Europa.

SZ: Herr Mundt, derzeit kontrollieren Sie mit etwa 320 Kartellamts-Mitarbeitern eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Brauchen Sie mehr Personal?

Mundt: Die Fälle werden immer komplexer und ökonomisch immer schwieriger. Den neuesten Stand der IT in den Unternehmen müssen auch wir nachvollziehen können. Eine Sektoruntersuchung, etwa im Stromgroßhandel, bindet über viele Monate mehrere Mitarbeiter. Es wird immer anspruchsvoller, schnell zu entscheiden. Daran sind aber vor allem auch die Unternehmen - zu Recht - interessiert. Wir arbeiten jetzt schon oft an der Kapazitätsgrenze.

SZ: Dabei haben Sie allein im vergangenen Jahr Bußgelder in Höhe von fast 300 Millionen Euro verhängt.

Mundt: Ich persönlich bin gar nicht an hohen Bußgeldern interessiert. Uns geht es nicht um die Maximierung der Strafen. Unser Ziel ist, dass die Märkte sauber funktionieren.

SZ: Trotzdem wird immer wieder kritisiert, die Strafen seien viel zu hoch, das Kartellamt habe jedes Augenmaß verloren. Stimmt das?

Mundt: Nein, unsere Strafen sind nicht übertrieben und orientieren sich an den gesetzlichen Vorgaben. Wir haben noch kein Unternehmen in den Ruin getrieben. Es wäre ja geradezu absurd, wenn die Behörde zum Schutz des Wettbewerbs mittels hoher Bußgelder Wettbewerber aus dem Markt treiben würde. Wir müssen bereits von Gesetzes wegen die individuelle Leistungsfähigkeit der Unternehmen berücksichtigen. Dies tun wir im Übrigen nicht nur bei der Bestimmung der Bußgeldhöhe, sondern auch bei der Frage der Zahlungsmodalitäten.

SZ: Manche Betroffene reagieren harsch, reden sogar von Wildwestmethoden.

Mundt: Ich bin schon erstaunt, wie groß manchmal die Kritik der Betroffenen und die Lautstärke der Lobbyarbeit ist, wenn wir mit der Kartellverfolgung Ernst machen. Da geht es dann manchmal nicht mehr sachlich zu. Dabei lässt sich in unserem System jede Entscheidung gerichtlich überprüfen.

SZ: Sind Sie in der Defensive?

Mundt: Sicherlich nicht. Aber wir müssen die Vorteile, die unsere Arbeit zur Folge hat, nach draußen transportieren. Es ist bekannt, dass ein gut funktionierendes Kartell hohe Schäden für die Volkswirtschaft anrichtet. Die illegalen Absprachen führen zu Preisen, die laut wissenschaftlicher Studien im Durchschnitt um 25 Prozent zu hoch sind. Das kann und will sich keiner leisten.

SZ: Oft einigen Sie sich bei Kartellverfahren mit den Betroffenen. Haben die dann überhaupt noch ein Wahlrecht?

Mundt: Wir machen im Rahmen der Verfahren immer Angebote für einvernehmliche Verfahrensbeendigungen, das ist normal. Aber das sind bei weitem keine Angebote, die angenommen werden müssen. Immer wieder gibt es Fälle, in denen es zu keiner Einigung kommt und die Unternehmen die Entscheidungen des Amtes gerichtlich überprüfen lassen.

SZ: Im vergangenen Jahr wurden bei Ihnen etwa 1000 Fusionen angemeldet, im Boomjahr 2007 waren es mehr als doppelt so viele. Was erwarten Sie 2011?

Mundt: Die Anzahl der Fusionen ist natürlich auch wegen der allgemeinen Wirtschaftskrise zurückgegangen. Hinzu kam eine Gesetzesänderung, die dazu führte, dass viele Vorhaben, die ihren Schwerpunkt außerhalb der Bundesrepublik haben, jetzt nicht mehr bei uns angemeldet werden müssen. Die alten Höchststände von 2007 werden wir nicht wieder sehen. Trotzdem: Für das laufende Jahr rechne ich mit mehr Fusionen, wir erwarten so um die 1200 Anmeldungen. Die Kriegskassen der Unternehmen sind gut gefüllt. Es gibt wieder Appetit auf Fusionen.

SZ: Die ganz wichtigen Fälle landen oft bei der EU-Kommission in Brüssel. Schmerzt Sie das?

Mundt: Nein. Wir leben in Harmonie mit Brüssel, das Zusammenspiel funktioniert, und die Kontakte auf der Arbeitsebene sind etabliert. Allerdings sind die Umsatzschwellen, ab denen die EU-Kommission zuständig ist, seit dem Beginn der europäischen Fusionskontrolle vor gut 20 Jahren praktisch unverändert geblieben. Eine Anpassung nach oben würde dazu führen, dass dann - ganz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips - mehr Fälle bei den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsländer landen.

SZ: Die Benzinpreise in Deutschland fallen in Ihre Zuständigkeit. Sie prüfen schon lange, die Preise steigen und steigen. Sind Sie gescheitert?

Mundt: Nein. Wir führen gerade eine Sektoruntersuchung im Bereich der Mineralölwirtschaft durch. Dabei geht einerseits um die Struktur des Marktes, also: Wie sieht es bei Autobahn-Tankstellen aus, welche Wirkung haben Flottenkarten, wie agieren die großen und kleinen Anbieter? Andererseits haben wir untersucht, wie die Preise festgesetzt werden. Dafür haben wir uns jeweils 100 Tankstellen in Hamburg, Köln, Leipzig und München genau angeschaut, und das über mehrere Jahre. Werden die Preise beispielsweise wirklich immer freitags erhöht? Gehen die Notierungen immer parallel nach oben? Da haben wir viele Daten erhoben und werten diese aus.

SZ: Und?

Mundt: Ende Mai werden wir die Ergebnisse vorstellen. Fest steht: Wir haben noch tiefer gegraben als sonst.

SZ: Was kommt am Ende raus?

Mundt: Ich kann den Ergebnissen hier nicht vorgreifen. Wir können nicht ausschließen, dass sich weitere Maßnahmen anschließen werden. Allerdings: Wir haben nach wie vor keine Hinweise, dass sich Mineralölkonzerne bei den Preisen absprechen. Das ist auch gar nicht Gegenstand unserer Untersuchung. Die Probleme liegen auf anderen Ebenen. Fünf große Konzerne beherrschen den Markt. Preisbewegungen sind immer auch Ausdruck der Marktverhältnisse, die Benzinpreise folgen also nicht nur der Entwicklung der Rohölpreise.

SZ: Können die Verbraucher also hoffen, dass die Spritpreise bald sinken?

Mundt: Wir sind keine Preissetzungsbehörde, die verfügen kann, dass die Preise sinken. Wir können nur für mehr Wettbewerb sorgen. Und mehr Wettbewerb sorgt für niedrigere Preise.

SZ: Sie haben im vergangenen Jahr die Verlängerung der Atomlaufzeiten kritisiert, weil sie auch negative Auswirkungen auf den Wettbewerb hat. Jetzt hat sich die Situation völlig gedreht, AKW sind vorübergehend vom Netz.

Mundt: Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Laufzeitverlängerung einerseits preisdämpfende Effekte haben kann und andererseits wettbewerbsbeschränkende Strukturen zementiert. Im Moment scheint mir die Lage allerdings sehr unübersichtlich zu sein.

SZ: Trotzdem: Haben Sie Hoffnung auf mehr Wettbewerb, wenn AKW schnell abgeschaltet werden?

Mundt: Der Wettbewerb könnte sich in der Tat beleben. Wenn Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, wird es die Chance für Strukturveränderungen geben. Und das könnte dazu führen, dass die Macht der großen Vier - also RWE, Eon, Vattenfall und EnBW - kleiner wird. Heute kontrollieren diese Konzerne ja 80 bis 85 Prozent des Marktes. Andere Wettbewerber, etwa Anbieter regenerativer Energien, könnten dann Marktanteile hinzugewinnen. Die Energiemärkte werden sich aber erst dann wirklich neu ordnen, wenn sich die Grenzen in Europa stärker öffnen. Möglicherweise gibt es dann am Ende auf den europäischen Energieerzeugungsmärkten gar keine marktbeherrschenden Unternehmen mehr.

SZ: In den vergangenen eineinhalb Jahren haben Sie sich als Präsident des Bundeskartellamtes den Ruf eines harten Kämpfers erworben und in dieser Zeit auch einiges verändert. Haben Sie schon alles erreicht, was Sie sich vorgenommen haben?

Mundt: Wir haben bereits viel Positives erreicht. Denken Sie nur an die fortschreitende Spezialisierung in der Kartellverfolgung. In der Fusionskontrolle werden unsere Instrumente ökonomisch immer weiter verfeinert. Das Kartellamt muss sich stetig verbessern, um mit den Veränderungen im Wirtschaftsleben, neuesten ökonomischen Erkenntnissen oder auch prozessualen Anforderungen Schritt zu halten.

SZ: Was muss geschehen?

Mundt: Es muss einen noch stärkeren internen Austausch von Know-how geben. Wir müssen die spezialisierten Einheiten im Haus besser mit den Beschlussabteilungen verzahnen, um weitere Effizienzen zu heben. Wir sehen jetzt schon, dass unsere Entscheidungen davon profitieren, wenn mehr Leute ihre Expertise einbringen.

Das Interview führte C. Busse.

Quelle: Süddeutsche Zeitung am 14.04.2011.

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