"Das Medienkartellrecht ist hinreichend flexibel"

MedienWirtschaft: Herr Mundt, das Branchenblatt HORIZONT hat vor kurzem festgestellt, dass die ewige Konkurrenzfrage nach der deutschen Medienhauptstadt nun endlich entschieden sei. Die Medienhauptstadt Deutschlands sei weder Hamburg noch Berlin und auch nicht München oder Köln, sondern vielmehr das kleine Bonn am Rhein, wo das Bundeskartellamt residiert. Denn immer mehr Schicksalsentscheidungen der Branche werden hier bei Ihnen in Bonn entschieden. Werden Ihnen die Medien auch in den nächsten Jahren besonders viel Arbeit ins Haus bringen?

Andreas Mundt: Da wird vieles dramatisiert und einiges hochgespielt. Richtig ist aber: Die Medienbranche durchläuft zurzeit einen Strukturwandel. Die Medienunternehmen reagieren auf ein verändertes Mediennutzungsverhalten ihrer Kunden und auf eine verstärkte Medienkonvergenz. In diesem Umbruchprozess wird der Wettbewerb intensiver. Wir rechnen insbesondere mit einer zunehmenden Zahl von Fusionen, aber auch einer Zunahme bei Kooperationen. Gleichzeitig gibt es Bereiche, in denen Marktmacht schon besteht oder versucht wird, Marktmacht aus den etablierten Märkten in die digitale Welt zu übertragen. Hier müssen wir wachsam sein.

MedienWirtschaft: Vor dem Hintergrund der strukturellen Krise bei den Tageszeitungen wird nun schon seit Jahren politisch gefordert, die wirtschaftliche Überlebenskraft der Verlage auch durch eine spürbare Lockerung des speziellen Medienkartell- und -fusionsrechts zu erhalten. Ihre Vorgänger Ulf Böge und Bernhard Heitzer haben solche Reformvorhaben stets entschieden und auch mit großem persönlichen Eifer bekämpft. Schließen Sie sich dieser kämpferischen Tradition Ihrer Vorgänger voll an?

Mundt: Eine Aufweichung der Regeln bei der Pressefusionskontrolle halte ich weder für erforderlich noch für zielführend. Genauso wenig ist es aus unserer Sicht sinnvoll, Ausnahmen von den kartellrechtlichen Regeln für den Pressebereich einzuführen. Zunächst ist das wirtschaftliche Überleben der Verlagshäuser meines Erachtens in Deutschland nicht in Frage gestellt. Zu diesem Ergebnis kommt auch die jüngste Studie des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger. Danach geht es den deutschen Zeitungen viel besser als vergleichbaren Zeitungen in den USA. So ist in Deutschland die Titelzahl in den vergangenen zehn Jahren stabil geblieben, die Schrumpfung des Werbemarktes deutlich geringer als in den USA ausgefallen und auch der Finanzierungsanteil der Werbeeinnahmen an den Gesamteinnahmen ist mit rund 50 % in Deutschland von geringerer Bedeutung als in den USA mit über 80 %. Zu dieser vergleichsweise besseren Situation der deutschen Zeitungen haben insbesondere die Bemühungen auf Unternehmensseite beigetragen, sich zu Medienhäusern zu entwickeln, die die verschiedenen Mediengattungen unter einem Dach vereinen. Kleinere Verlagshäuser, die dies nicht aus eigener Kraft können, haben sich zu Kooperationen oder Gemeinschaftsunternehmen zusammengeschlossen, beispielsweise im Bereich der Onlineplattformen. Der wirtschaftliche Ausgangspunkt der Forderungen wird also überzeichnet. Noch wichtiger ist, dass eine Lockerung der fusionskontroll- und kartellrechtlichen Regeln im Pressebereich die wirtschaftliche Lage nicht wirklich verbessern würde. Das Kartellrecht ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Mit der Pressefusionskontrolle will der Gesetzgeber den Wettbewerb schützen und Ausweichmöglichkeiten für Leser und Anzeigenkunden offen halten. Die Regelungen schützen mittelbar die Meinungsvielfalt. Die besonderen Umsatzschwellen im Pressebereich haben sich im Übrigen bewährt: Deutschland hat nach wie vor eine vielfältige Presselandschaft. Unsere Fallpraxis beweist zudem, dass das geltende Kartellrecht auch in einer sich wandelnden Medienwelt hinreichend flexibel ist. Ich sehe daher keinen Änderungsbedarf.

MedienWirtschaft: Der neue Vorsitzende der Monopolkommission Prof. Justus Haucap vertritt in einem Standpunkt in dieser Ausgabe der MedienWirtschaft u. a. die These, dass vor allem die Marktabgrenzung auf den Anzeigenmärkten der Tageszeitungen aufgrund der neuen Konkurrenz durch das Internet vom Kartellamt weniger restriktiv gehandhabt werden sollte. Dies hatte die Monopolkommission auch bereits in ihrem Sondergutachten zur Pressefusionskontrolle im Jahr 2004 vorgebracht. Bislang hat das Bundeskartellamt aber beharrlich an der Annahme getrennter Anzeigenmärkte für Zeitungen und das Internet festgehalten. Wann werden Sie endlich dem Rat der Monopolkommission folgen?

Mundt: Wir registrieren neue Entwicklungen auf den Werbemärkten aufmerksam. Aber einheitliche Werbemärkte für Zeitungen und für Internetwerbung finden sich bislang weder in der Fallpraxis der Europäischen Kommission noch der der amerikanischen oder der britischen Wettbewerbsbehörden. Die Marktverhältnisse haben sich noch nicht so stark angeglichen, dass diese Werbemärkte bereits zusammengewachsen sind. Bislang haben wir eher eine komplementäre Nutzung von Tageszeitung und Internet durch die Werbewirtschaft festgestellt. Dies kann sich möglicherweise in der Zukunft ändern. Marktsegmente, in denen der Strukturwandel allerdings bereits weit fortgeschritten ist, sind z. B. Immobilien-, Auto- und Stellenanzeigen. Die Monopolkommission hatte uns bereits im Sondergutachten 2004 empfohlen, die zunehmende Digitalisierung bei unserer Spruchpraxis im Auge zu behalten. Das war ein weitsichtiger und guter Rat, den wir schon seit längerer Zeit befolgen. Denn unsere Aufgabe ist es, jeden Fusionsfall auf wettbewerbsschädliche Wirkungen hin zu analysieren und zu bewerten und zwar unabhängig davon, ob sie aus der analogen oder digitalen Welt kommen. Letztlich handelt es sich bei der Prüfung von Zusammenschlussvorhaben immer um eine Einzelfallanalyse der vorliegenden Marktverhältnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt.

MedienWirtschaft: Die Verleger wünschen sich hingegen eine generelle gesetzliche Freistellung auch von Kooperationen auf den Anzeigenmärkten. Einige Medienökonomen halten dies auch bei der Entstehung marktbeherrschender Preiskartelle für verantwortbar, da die regionale und lokale Wirtschaft so ja letztlich nur zum gefährdeten öffentlichen Gut einer funktionsfähigen öffentlichen Meinungsbildung in regionalen und lokalen Räumen beitrage, welche nachweislich ausschließlich von wirtschaftlich schlagkräftigen Tageszeitungen getragen werden könne. Finden Sie diese Argumentation abwegig?

Mundt: Die von Ihnen dargestellte Argumentation ist nicht neu. Sie ist aber angesichts der tatsächlichen Verhältnisse unrichtig und in der Tat wenig zielführend, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Die lokalen Tageszeitungen stufen sich selbst als „im Kern gesund“ und für die Herausforderungen des Strukturwandels gut gerüstet ein.

MedienWirtschaft: Viele Verlage werfen dem Bundeskartellamt sehr erbittert vor, dass es bei der Beurteilung von Fusionsvorhaben unter Nachbarzeitungen oft selbst dort potenziellen Wettbewerb unterstelle, wo dieser überhaupt nicht existiere. Die Verleger fordern deswegen eine klare Vermutungsregel im GWB: Wo zehn Jahre nachweislich alles ruhig geblieben sei, soll demnach auch kein potenzieller Wettbewerb mehr angenommen werden dürfen. Was halten Sie von den Vorwürfen an Ihre Adresse und wie bewerten Sie den Reformvorschlag?

Mundt: Lokalzeitungen sind in ihrem Gebiet oft ohne Wettbewerber. Wenn wir sehen, dass eine Nachbarzeitung potenzielle Wettbewerberin ist, dann müssen wir das berücksichtigen. Schließlich ist dieser potenzielle Wettbewerb oft das einzig verbleibende wettbewerbliche Korrektiv der Marktmacht des Platzhirschen. Aber: Potenzieller Wettbewerb kann auch nicht pauschal unterstellt werden. Wir haben bei benachbarten Zeitungen keine generelle Vermutung, weder für noch gegen potenziellen Wettbewerb. In einigen Entscheidungen haben wir potenziellen Wettbewerb angenommen, in anderen, etwa in dem im letzten Jahr entschiedenen Fall Schweriner Volkszeitung/Nordkurier sahen wir bei der Nachbarzeitung keine Anreize für Wettbewerb und haben die Fusion freigegeben. Die von Ihnen angesprochene Vermutungsregel wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Die Zusammenschlusskontrolle basiert auf einer Prognose künftiger Entwicklungen. Verweise auf die Vergangenheit können dabei lediglich ein Indiz für die vorliegenden Marktverhältnisse sein. Andere, insbesondere aktuelle Indizien können aber viel gewichtiger sein. Ob man jetzt potenziellen Wettbewerb bejaht oder verneint, das bedarf jeweils einer klaren und überzeugenden Einzelfallbegründung.

MedienWirtschaft: Manche Beobachter meinen allerdings zu sehen, dass sich das Bundeskartellamt in den letzten zwei Jahren bei Entscheidungen zu Nachbarschaftsfusionen schon etwas generöser gezeigt habe als noch in den Vorjahren. Seit Ende 2007 ist Ralph Langhoff Vorsitzender der 6. Beschlussabteilung und damit für Medien zuständig. Kurz zuvor hatte Ulf Böge das Amt verlassen. Anfang des Jahres haben Sie nun das Präsidentenamt übernommen. Liegt die Medienbranche richtig, wenn sie sich von dem Generationenwechsel auch eine neue Offenheit für die Anerkennung der neuen strukturellen Probleme der Branche verspricht?

Mundt: Unabhängig von bestimmten Personen prüft das Bundeskartellamt jeden Fall umfassend vor dem Hintergrund der wettbewerblich relevanten wirtschaftlichen Gegebenheiten. Das ist unser gesetzlicher Auftrag. An diesem hat sich nichts geändert. Natürlich ist uns bewusst, dass es in der Branche auch strukturelle Probleme gibt. Generell gilt: Manche Märkte sind sehr stabil, andere steter Veränderung unterworfen. Die Medienbranche gehört sicherlich in den letzten Jahren zur letzteren Kategorie. Insbesondere sind die Änderungen des Nutzerverhaltens wettbewerblich relevant. Das schlägt sich in unseren Entscheidungen nieder, hier haben wir die aktuellen Entwicklungen nachvollzogen. Und auch in Zukunft werden Sie keine schematische, sondern eine sich den wandelnden Marktverhältnissen anpassende Entscheidungspraxis beobachten können.

MedienWirtschaft: Zurzeit befasst sich ja der Bundesgerichtshof mit dem Fusionsfall Axel Springer/Pro7Sat.1. Das Bundeskartellamt hat den Fall 2006 untersagt u. a. mit der Argumentation, dass Springer durch die Fusion die Möglichkeit erhalte, Werbekampagnen für Produkte abgestimmt über mehrere Medien aus einer Hand anbieten zu können und so crossmediale Werbekampagnen für Dritte zu schalten. Dadurch würde die marktbeherrschende Stellung von Springer verstärkt.

Mundt: Ja, mit dieser Argumentation hat das Bundeskartellamt eine damals noch am Anfang stehende Entwicklung aufgegriffen. Die zunehmende Verknüpfung von Medien hat seitdem deutlich zugenommen. Ich glaube, diese Entwicklung wird auch nur noch von wenigen in Abrede gestellt.

MedienWirtschaft: Können wir aus dieser Antwort schließen, dass Springer bei einer allfälligen Neuauflage des Fusionsvorhabens zwingend wieder an der kartellrechtlichen Fusionskontrolle scheitern müsste?

Mundt: Die Untersagung liegt nun über vier Jahre zurück. Insofern müsste man sich die aktuelle Situation ansehen. Das Bundeskartellamt hat seine damalige Untersagung auf eine Reihe von Gründen gestützt. Wir haben damals Probleme auf den Fernsehwerbemarkt, auf dem Anzeigenmarkt für Zeitungen und auf dem Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen gesehen. Seit 2006 hat sich die Welt fortentwickelt. Dass sich aber z. B. auf dem Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen wesentliche Veränderungen ergeben hätten, kann ich nicht erkennen. Wenn eine sehr starke Markstellung verstärkt wird, dann liegen wettbewerbliche Probleme auf der Hand. Aber natürlich gilt, dass wir jede Fusion vor dem Hintergrund der aktuellen wettbewerblichen Umstände umfassend prüfen und bewerten.

MedienWirtschaft: Jedenfalls dürfen wir wohl festhalten, dass das Kartellamt auch künftig vorhandene und hinreichend erkennbare crossmediale Effekte in seinen Entscheidungen berücksichtigen wird, wie dies erstmalig bei dem Springer/ProSiebenSat.1-Beschluss der Fall war?

Mundt: Bei jeder Fusionskontrollentscheidung sehen wir uns die auf dem Markt relevanten Faktoren an. Nachweisbare Verstärkungswirkungen über crossmediale Effekte würden wir sicherlich berücksichtigen. Wir können die Augen vor entscheidungsrelevanten Fakten nicht verschließen.

MedienWirtschaft: Wenn dem so ist: Müssten Sie dann nicht auch anerkennen, dass die ökonomische und auch die publizistikwissenschaftliche Forschung immer mehr zu dem Ergebnis gelangt, dass Regional- und Lokalzeitungsmonopole im Hinblick auf Effizienz, Qualität und Vielfalt sogar bessere Ergebnisse liefern können als unternehmerisch konkurrierende Konkurrenzzeitungen, wie auch ein Überblick in dieser Ausgabe der MedienWirtschaft zeigt? Wäre es da nicht angemessen, neben dem Argument der Sanierungsfusion auch ein gewisses „efficiency defense“-Argument zur Geltung zu bringen?

Mundt: Wettbewerbliche Strukturen lassen in der Regel bessere Ergebnisse erwarten als Monopole – deshalb schützt der Gesetzgeber den Wettbewerb. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass mit der Fusionskontrolle nicht schon bestehende Monopole aufgebrochen werden. Die Fusionskontrolle kommt nur dann zur Anwendung, wenn Unternehmen durch Zukäufe wachsen. Selbst dann sind aber Untersagungen keineswegs der Regelfall, sondern werden nur dann ausgesprochen, wenn marktbeherrschende Stellungen bzw. Monopole durch die Fusion begründet oder verstärkt werden.

MedienWirtschaft: Die Bundesregierung wäre offenbar zu einer Lockerung der Pressefusionskontrolle im Rahmen der nächsten GWB-Novelle bereit, vorausgesetzt, das Verlegerlager präsentierte eine einheitliche Position. Insbesondere hinsichtlich der Anhebung der Aufgreifkriterien konnten die Verleger bislang allerdings noch gar nicht recht zueinander finden. Insbesondere die kleineren Verlage lehnten bislang eine Anhebung der Umsatzschwellen über eine Grenze von 50 Mio. Euro ab. Sie befürchten, dass sie ohne hinreichend hohen Fusionsschutz zu Opfern eines zerstörerischen Wettbewerbs durch die großen Verlage werden könnten. Vertreter der großen Verlage behaupten hingegen, Verlage in der genannten Größenordnung seien unter den veränderten intermedialen Wettbewerbsbedingungen auf Dauer ohnehin nicht überlebensfähig. Wer hat nun Recht: die Kleinen oder die Großen?

Mundt: Es gibt in der Tat zu denken, wenn Vertreter der Großverlage die kleinen Lokalzeitungen als Todgeweihte hinstellen, diese aber von sich selbst sagen, sie seien quicklebendig und vielleicht sogar krisenrobuster als die Großverlage selbst. Für mich ist dies ein Zeichen dafür, dass einige Großverlage vielleicht doch eher die eigenen Interessen im Auge haben, als die uneigennützige Rettung kleiner Lokalzeitungen. Ich sehe keinen Bedarf für eine Anhebung der Aufgreifkriterien der Pressefusionskontrolle.

MedienWirtschaft: In der Schweiz hatte sich vor 2004 insbesondere die dem Bundeskartellamt vergleichbare Wettbewerbskommission selbst für die dann auch erfolgte komplette Abschaffung der speziellen Pressefusionskontrolle eingesetzt. Die Schweizer Wettbewerbsschützer argumentierten, dass es nicht Aufgabe einer Kartellbehörde sein könne, wirtschaftlich überholte Wettbewerbs-Strukturen künstlich zu bewahren. Waren die Schweizer Kollegen in dieser Frage einfach zu dumm?

Mundt: Unsere Kollegen der schweizerischen Wettbewerbskommission sind alles andere als dumm. In der Schweiz war die Lage überschaubar und es war damals abzusehen, dass die Streichung der niedrigeren Umsatzschwellenwerte bei Medienfusionen aufgrund der Marktkonstellationen nicht zu großen Unterschieden führen würde. In Deutschland ist das anders. Die in Deutschland schützenswerten regionalen und lokalen Zeitungsmärkte, die durchaus wirtschaftlich interessant sind, gibt es in der Schweiz aufgrund des deutlichen Größenunterschieds zu Deutschland so nicht. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Pressefusionsklausel dazu beiträgt, wettbewerbsschädliche Fusionen in Deutschland zu verhindern.

MedienWirtschaft: Wenn die Verlage bei der Fusionskontrolle in einigen Fragen auch noch uneins sind, so sind doch in einer anderen Sache umso einiger: Sie fühlen sich allesamt als Opfer eines schädlichen Wettbewerbs durch den gemeinsamen Lieblingsfeind Google. Die Verlage unterstellen Google den zweifachen Missbrauch einer marktbeherrschenden Position unter den Suchmaschinen: Zum einen diskriminiere Google die Verlagsangebote bei der Trefferanzeige, zum anderen verweigere Google den Verlagen einen fairen Anteil an den Werbeerlösen, die Google unter Nutzung von Verlagsleistungen erziele. Eine entsprechende Beschwerde liegt bei Ihnen bekanntlich vor, doch bislang hat Ihr Haus lediglich eine Stellungnahme von Google eingefordert. Wie sieht es heute aus? Ist die Stellungnahme inzwischen eingetroffen? Und ist nicht mindestens die Eröffnung eines formellen Missbrauchsverfahrens eigentlich unumgänglich? Und wenn nicht: Warum nicht?

Mundt: Google ist in einem sehr dynamischen Umfeld unterwegs. Hier sollten Kartellbehörden sehr genau beobachten, wie auf den betroffenen Märkten Wettbewerbsprozesse wirken und an welchen Stellschrauben möglicherweise Marktmacht ausgeübt werden kann und gegebenenfalls ausgeübt wurde. Dass ein Unternehmen mit einer derartigen Präsenz wie Google Beschwerden im kartellrechtlichen Bereich auf sich zieht, ist kein Wunder. Die werden auch bei anderen Kartellbehörden vorgelegt. Wir möchten das Thema mit unseren europäischen Kollegen gemeinsam angehen.

MedienWirtschaft: Ohnehin ist das Verhältnis der Verlage zum Internet ja etwas schwierig. Vor allem die „Kostenlos-Kultur“ des Internets wird allerorten beklagt. Regelmäßig fordern die Chefs großer Verlage darum öffentlich und unverhohlen konzertierte Aktionen in Sachen Paid Content. Dies muss für Sie doch sehr nach einer eher plumpen Vorbereitung von Kartellabsprachen riechen. Nehmen wir einmal an, die Großverlage verständigten sich in aller Öffentlichkeit auf die abgestimmte Einführung von Nutzerpreisen im Internet. Müsste das Bundeskartellamt dies dann nicht als eine Kartellierung bewerten und dagegen vorgehen?

Mundt: Es ist natürlich, dass Unternehmen für Produkte, in die sie investiert haben, ein Entgelt haben wollen. Allerdings setzt das GWB der Zusammenarbeit von Wettbewerbern bei der Entgeltforderung gegenüber Nachfragern klare Grenzen. Von daher liegt es an der Ausgestaltung der Modelle für Paid Content, ob das Bundeskartellamt aktiv wird oder nicht. Aber darüber dürften sich die betroffenen Verlage im Klaren sein.

MedienWirtschaft: Der Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle will dem Bundeskartellamt künftig die Möglichkeit der Entflechtung marktbeherrschender Konzerne geben. Sehen Sie da schon Kandidaten in der Medienbranche?

Mundt: Der Bundeswirtschaftsminister hat bei seinem Vorhaben keine konkreten Branchen im Visier. Auch ich kann Ihnen keine Branche nennen – d. h. auch nicht die Medienbranche – in der ich unmittelbar einen konkreten Anwendungsfall vor Augen habe. Das Gesetz versteht sich als Ausnahmeinstrument für wettbewerblich außergewöhnlich verfahrene Situationen. Das kann und sollte man aber nicht erst dann konzipieren, wenn der Notfall akut ist, weil es dann zu spät kommen würde.

MedienWirtschaft: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Prof. Dr. Frank Lobigs.

Quelle: MedienWirtschaft 2/2010

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