"Es gibt keine Branche die wir auslassen"

mm: Herr Mundt, im aktuellen manager magazin beschreiben wir in einem großen Report, wie die Kartellverfolger die Unternehmen jagen. Ihr Amt hat in den vergangenen Jahren enorm aufgerüstet und neue Kartell-Spezialabteilungen gegründet. Wann machen Sie die nächste auf?

Mundt: Wir haben jetzt drei Beschlussabteilungen, die sich ausschließlich der Kartellverfolgung widmen. Das ist schon ein Riesenfortschritt. Wir hatten ja früher immer damit zu kämpfen, dass die Abteilungen sowohl für die Fusionskontrolle als auch für die Kartellverfolgung zuständig waren. Als so genanntes fristgebundenes Verfahren hat die Fusionskontrolle die Kartellbekämpfung immer ein bisschen an den Rand gedrängt. Das haben wir geändert indem wir von einer auf drei Kartellspezialabteilungen erhöht haben. Wir haben zudem eine Sonderkommission Kartellbekämpfung geschaffen. Im Moment ist die Ausstattung in Ordnung. Damit sind wir ja auch im Jahr 2012 sehr erfolgreich.

mm: Wie sieht die Bilanz aus?

Mundt: Wir haben in diesem Jahr bislang bereits 13 Verfahren gegen 53 Unternehmen zu Ende gebracht und Bußgelder von 220 Millionen Euro verhängt.

mm: Wie sieht die Budgetplanung für 2013 aus? Gibt es mehr Personal?

Mundt: Das Budget kennen wir erst, wenn der Haushalt beschlossen ist. 2011 hat man uns einen Zuwachs gewährt, insgesamt waren es am Ende 23 neue Stellen. Das ist für unser kleines Haus mit insgesamt nur 320 Mitarbeitern sehr ordentlich.

mm: Immer wieder ist die Rede davon, wie groß der Schaden ist, den Kartelle anrichten. Aber der lässt sich doch exakt kaum beziffern. Ist ihr Geschäft mithin Kaffeesatzleserei?

Mundt: Ganz und gar nicht. Wenn man alle Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, zusammenfasst, liegen die Preise für kartellierte Waren etwa 20 bis 25 Prozent höher, als im funktionierenden Wettbewerb. Da entstehen also immense Schäden für die Verbraucher, aber auch für die öffentliche Hand, wenn sie als Auftraggeber in Erscheinung tritt. Im Einzelfall, da gebe ich Ihnen Recht, ist der konkrete Schaden allerdings nur schwer exakt zu bemessen.

mm: Andererseits profitiert der Fiskus von höheren Preisen über die Mehrwertsteuer.

Mundt: Die Volkswirtschaft wird durch illegal überhöhte Preise erheblich belastet. Außerdem führen Kartelle ja nicht nur zu höheren Preisen. Auch die Innovationsfähigkeit verringert sich, weil die Unternehmen nicht gezwungen sind, sich im Wettbewerb zu behaupten. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Microsoft Chart zeigen hatte mit seinem Internet-Explorer über fünf bis sechs Jahre ein Produkt auf dem Markt, das einzigartig war und in der schnelllebigen IT-Branche über Jahre nicht verändert werden musste. Die Entwicklung neuer Technologien wurde blockiert, in diesem Fall nicht durch ein Kartell aber dadurch, dass Microsoft seine marktbeherrschende Stellung ausspielen konnte.

mm: Sie beklagen, die bestehenden gesetzlichen Regelungen würden Ihre Arbeit behindern. Woran hakt's?

Mundt: Das Kartell-Verfahrensrecht bereitet uns gewisse Probleme. Es ist ein stark strafprozessual geprägtes Verfahren mit vielen Formvorschriften, die komplexen Wirtschaftsverfahren nicht gerecht werden - etwa die erhebliche Fokussierung auf Mündlichkeit. Vor Gericht wird sehr viel verlesen, ohne dass dem ein objektiver Nutzen der Verfahrensbeteiligten gegenübersteht. Hinzu kommt, dass das Gericht anders als bei sonstigen Verwaltungsverfahren nicht nur unsere Entscheidung überprüft. Das Gericht ist vielmehr verpflichtet, nach Einspruch, den Sachverhalt noch einmal von Grund auf im Rahmen der mündlichen Hauptverhandlung neu auszuermitteln.

mm: Im so genannten Flüssiggasverfahren streiten ein paar Mittelständler mit dem Kartellamt unter anderem um eine Bußgeldregelung, die längst nicht mehr in Kraft ist. Der Prozess zieht sich schon über mehr als 100 Verhandlungstage. Das ist absurd.

Mundt: Das klingt in der Tat absurd. Aber generell gilt: Alle juristischen Verfahren, die sich an eine Kartellentscheidung anschließen, sind schwerfällig. Das belastet uns stark, weil unsere Leute ja auch während des gesamten Verfahrens vor Gericht erscheinen müssen. Aber das Verfahren ist das eine. Daneben erlauben die geltenden Gesetze, dass Unternehmen ganz legal Schlupflöcher nutzen können.

mm: Zum Beispiel?

Mundt: Unternehmen können sich durch geschickte Umstrukturierungen im Konzern der Haftung für ihre Kartellverstöße entziehen. Das erschwert uns die Vollstreckung schon gewaltig.

"Jeder muss damit rechnen, dass wir ein Auge auf ihn werfen"

mm: Wie kann man die Schlupflöcher schließen?

Mundt: Wir brauchen eine Anlehnung an das europäische Recht. Die EU betrachtet die wirtschaftliche Einheit als Ganzes, da ist die Muttergesellschaft also auch immer in der Haftung.

mm: In Deutschland wird derzeit an einer Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, kurz GWB, gearbeitet. Was bringt die aus Ihrer Sicht?

Mundt: Im Rahmen der GWB-Novelle wird eine Vorschrift ergänzt, in der wichtige Fragen der Rechtsnachfolge besser geregelt werden. Unternehmen können sich dann nicht mehr ganz so einfach durch Fusion aus der Verantwortung stehlen. Aber das wird nicht ausreichen. Es bleiben weiterhin genug Schlupflöcher. Die müssen wir dringend schließen.

mm: Fordern Sie Haftstrafen für Kartellsünder? In den USA bekommen die bis zu zehn Jahre aufgebrummt. Mundt: Wir haben in Deutschland ein gänzlich anderes System als in den USA. Es gibt hier auch keinen sozialen Konsens, dass Kartelldelikte wirklich haftwürdig sind. Eine Kriminalisierung würde die Verfahren im Ergebnis noch schwerfälliger machen, was die Kartellverfolgung schwächen würde. In Deutschland stehen die Geldbußen gegen die verantwortlichen Unternehmen im Vordergrund, das ist in den USA weniger ausgeprägt.

mm: Jede nationale Kartellbehörde hat ihre eigenen Regeln. Da findet sich kein Unternehmen mehr zurecht. Warum gibt es keine EU-einheitliche Regelung?

Mundt: Materiell wenden wir alle in Europa das gleiche Recht an. Bei uns sind die gleichen Dinge verboten, wie in Spanien oder Finnland. Im Kartellverfahrensrecht würde ich hingegen eine fortschreitende Angleichung begrüßen. Die Kronzeugenprogramme müssten zum Beispiel noch weiter aufeinander abgestimmt werden. Die Frage der Akteneinsicht müsste europaweit geregelt werden. Und wenn wir eine weitere Angleichung bei der Festsetzung der Strafen hätten, wäre das auch sehr hilfreich. Hier muss sich der europäische Gesetzgeber bemühen.

mm: Die Kartellämter gehen immer öfter gegen den so genannten Austausch von Marktinformationen vor. Dürfen sich Wettbewerber künftig nur noch über Fußball unterhalten und nicht mehr über das Geschäft?

Mundt: Nein, die können und sollen ruhig über das Geschäft reden. Die Fälle, die wir aufgegriffen haben, waren eindeutig. Der Informationsaustausch über Preise war so intensiv, dass er eine Kartellabsprache obsolet gemacht hat, weil die Beteiligten auch so wussten, wie der andere sich verhalten wird.

mm: Das Kartellamt besitzt einen großen Ermessensspielraum, welche Fälle es aufgreift und welche nicht. Der Eindruck herrscht vor: Da ist ein guter Teil Willkür.

Mundt: Ermessen ist nicht gleich Willkür! Wir haben klare Kriterien, welche Fälle wir aufgreifen und welche nicht. Ein Kartell, das gesamtwirtschaftlich einen großen Schaden anrichtet, wird immer ganz oben auf unserer Liste stehen. Ein weiteres Kriterium ist: Wie klar ist ein Verstoß? Weniger Priorität räumen wir Fällen ein, in denen wir erst mühsam herausfinden müssen: Ist das Verhalten überhaupt wettbewerbswidrig?

mm: Also entscheiden Sie, angesichts begrenzter Ressourcen, doch pragmatisch.

Mundt: Was heißt denn pragmatisch? An erster Stelle steht die Schädlichkeit: Wir nähern uns dem wichtigsten zuerst. Natürlich spielen auch die Erfolgsaussichten eine Rolle. Wenn wir einen Fall haben, bei welchem man von Beginn an sieht, dass wir endlos Ressourcen hineinstecken müssten, mit sehr ungewissem Ausgang, dann werden wir den eher nicht machen. Das ist immer eine Abwägung. Sicher werden wir auch mal einen kleineren Fall aufgreifen, um klar zu machen: Es gibt keine Branche, die wir auslassen.

mm: Motto: Keiner darf sich sicher sein?

Mundt: Ja, jeder muss damit rechnen, dass wir unser Auge auch auf ihn werfen. Ich finde, das System, auch wenn es sicher noch optimiert werden kann, auf jeden Fall besser als das französische. In Frankreich muss die Behörde jedem Hinweis nachgehen. Und Hinweise, das kann ich Ihnen versichern, bekommen wir reichlich.

mm: Ich hätte da noch einen. Der Kaffeemaschinen-Espresso kostet bei uns in der Redaktion exakt so viel wie in Ihrer Cafeteria. Geheime Preisabsprachen?

Mundt: Vielleicht sollten wir uns den Sektor Kaffeemaschinen einmal vornehmen. Aber im Ernst: Dass Produkte hier wie dort dasselbe kosten, das kann eben auch das Ergebnis von erlaubter und meist sogar erwünschter Marktbeobachtung sein. Da muss nicht gleich ein Kartell am Werk sein.

Die Fragen stellte Dietmar Student.

Quelle: manager magazin am 18.10.2012.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz

OK