„Der Wettbewerb im LEH ist eingeschränkt“

Das Bundeskartellamt will herausfinden, ob im LEH Nachfragemacht herrscht. Präsident Andreas Mundt erklärt im LP-Gespräch die Vorgehensweise.

Frage: Herr Mundt, herrscht im Lebensmittelhandel noch genug Wettbewerb?

Mundt: Wir verzeichnen schon seit vielen Jahren einen fortlaufenden Konzentrationsprozess. Am Ende des vergangenen Jahrtausends gab es bundesweit noch acht verschiedene größere Handelsketten. Heute wird der ganze Bereich von vier Unternehmen dominiert. Da ist der Wettbewerbsicherlicheingeschränkt. Und darauf müssen wir achten.

Frage: Wie schätzen Sie das Machtverhältnis zwischen Händlern und Herstellern ein?

Mundt: Fakt ist, dass sich vier Handelsunternehmen rund 85 Prozent des Marktes teilen, und auf der anderen Seite stehen mehr als 6.000 verschiedene Hersteller. Das sind offensichtlich unterschiedliche Verhältnisse auf den beiden Marktseiten. Auf der Herstellerseite haben wir es aber andererseits mit einer sehr heterogenen Struktur zu tun. Die großen Hersteller haben sicherlich ein anderes Verhältnis zu den Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen als kleine Ein-Produkt-Unternehmen.

Frage: Ist es nicht Nachfragemacht par excellence, wenn ein Handelsunternehmen die Konditionen quasi diktiert und Produkte kleiner Hersteller nicht ins Sortiment kommen, weil diese Listungsgebühren, WKZ etc., die der Händler verlangt, nicht zahlen können?

Mundt: Die Bewertung von Nachfragemacht ist vielschichtiger und komplizierter als die Analyse der Märkte auf der Absatzseite. Was es unter anderem so schwierig macht, sind die großen Unterschiede, je nachdem, wer am Verhandlungstisch sitzt. Große Markenhersteller – die sogenannten Must-Stocks – haben eine andere Ausgangsposition in den Jahresgesprächen als kleinere Unternehmen. Mit unserer Sektoruntersuchung wollen wir herausfinden, wie groß die Nachfragemacht wirklich ist.

Frage: Können Sie Ergebnisse der ersten Phase der Sektoruntersuchung nennen?

Mundt: Wir sind noch in der Auswertung. Und der entscheidende Teil wird nun in der zweiten Phase ermittelt, die ja gerade erst gestartet wurde.

Frage: Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von der zweiten Phase?

Mundt: Über das Thema Nachfragemacht gibt es eine anhaltende politische Debatte in Deutschland, aber auch in Europa. Auch Branchenvertreter haben uns immer wieder aufgefordert, das Thema einmal empirisch zu durchleuchten. In den engen Fristen eines Fusionskontrollverfahrens ist das nicht zu stemmen. Es geht nun darum, die verschiedenen Verhandlungsergebnisse zwischen Herstellern und Händlern genau zu untersuchen. Wir wollen die Faktoren identifizieren, die einen wichtigen Einfluss auf die jeweilige Verhandlungsmacht der Unternehmen haben. Wir werden uns auch damit befassen, welche Rolle Handelsmarken spielen, welche nicht-monetären Anreize von den Einzelhändlern gesetzt und ob gewisse Artikel zusammen verhandelt werden. Wir wollen herausfinden, welche Vertriebskanäle den Herstellern sonst noch offen stehen, falls sie bei einem der großen Händler nicht zum Zuge kommen. Wir schauen, wie das die Verhandlungssituation beeinflusst. Kurzum: Bei der Nachfragemacht müssen wir ausloten, wie sich die konkrete Verhandlungs- und Nachfragesituation im Hinblick auf bestimmte Produkte darstellt. Das versuchen wir, mit der Sektoruntersuchung empirisch zu untermauern.

Frage: Wie reagieren Sie auf Kritik der Händler, die ein verzerrtes Bild fürchten, weil Sie „nur“ 250 Artikel mit gleicher EAN-Nummer untersuchen?

Mundt: Wir können nicht alle 50.000 Artikel abfragen, die es bei einem Vollsortimenter in der Spitze gibt. Deswegen ist eine repräsentative Stichprobe erforderlich. 250 Artikel sind eine angemessene Zahl – schon um die Belastung für die Unternehmen im erträglichen Rahmen zu halten. Entscheidend ist, nach welchen Kriterien wir diese 250 Artikel ausgewählt haben. Nach intensiven Gesprächen mit der Branche und der ersten Phase der Untersuchung haben wir eine Stichprobe gebildet, die das ganze Spektrum an Artikeln des deutschen Lebensmittel- Einzelhandels zutreffend abbildet. Es sind nicht nur Topseller und Must-Stocks dabei, sondern auch weniger gefragte Artikel. Wir haben darauf geachtet, dass es sich um Artikel handelt, die mindestens bei vier Einzelhändlern gelistet sind. Wir richten uns an den EAN-Nummern aus, weil wir so eine klare Identifikation der Artikel haben und somit auch klare Antworten erwarten können. So, wie wir die Untersuchung aufgebaut haben, wüsste ich nicht, was wir noch tun sollten, um ein repräsentatives Ergebnis zu erzielen.

Frage: Bis wann sollen Ergebnisse der zweiten Phase vorliegen?

Mundt: Die Antworten von Herstellern und Händlern werden uns bis zum Herbst vorliegen. Dann gehen wir hier in die Auswertung. Ergebnisse wird es erst 2013 geben.

Frage: Die Arbeit geht in der Zwischenzeit weiter, wie Ihre Warnung an die Rewe zur Wasgau-Kooperation zeigt. Wie beurteilen Sie solche Einkaufskooperationen?

Mundt: Pauschal kann man das nicht sagen. Nach unserer bisherigen Einschätzung haben wir bei Rewe und Wasgau Bedenken. Hier spielt auch eine Rolle, dass wir es mit einer speziellen Konstellation zu tun haben. Es ist ein besonderer Vorgang, wenn die Wasgau aus einer bestehenden Kooperation von Mittelständlern, die wir noch als Wettbewerber gegenüber den Großen ansehen können, rausgeht und sich einem der großen vier Lebensmittelkonzerne anschließt.

Frage: Fürchten Sie eine Übernahme durch die Hintertür?

Mundt: Die Kooperation der Unternehmen im Einkauf geht hier recht weit. Vereinbarungen zwischen Konkurrenten können für den Wettbewerb genauso abträglich sein wie eine Fusion.

Frage: Rewe-Chef Alain Caparros hat bei der MLF-Tagung darüber geklagt, dass es in Deutschland kaum noch Möglichkeiten für Übernahmen gibt. Wie sehen Sie das?

Mundt: Es gibt Märkte, die ausfusioniert sind. Der Lebensmitteleinzelhandelsmarkt ist bereits hoch konzentriert. Es kommt natürlich auf den Einzelfall an, aber Herr Caparros hat nicht ganz unrecht damit, dass es außerordentlich schwierig wird mit Übernahmen – jedenfalls vonseiten der Großen.

Frage: Manche Händler fürchten, dass durch Ihr Vorgehen die gesamte Branche unter Generalverdacht gestellt wird.

Mundt: Man muss hier differenzieren – Fusionskontrollverfahren oder unsere Sektoruntersuchung sind sicherlich nicht Ursache solcher Äußerungen. Aber auch für unser Kartellverfahren in der Branche muss man dies richtigstellen: Wir haben zum Teil Anzeichen dafür, dass es im Lebensmittel- Einzelhandel Verhaltensweisen gibt, die mit dem Kartellrecht nur schwer in Einklang zu bringen sind. Stichwort: vertikale Preisbindung. Aber von Generalverdacht kann keine Rede sein. Wir gehen ganz konkreten Verdachtsmomenten gegen bestimmte Unternehmen nach. Es geht jeweils um individuelles Fehlverhalten und nicht darum, eine komplette Branche zu durchleuchten.

Frage: Könnte man nicht sagen: In Deutschland sind die Lebensmittelpreise im Vergleich zum europäischen Ausland relativ niedrig, deshalb ist es doch für den Verbraucher gut, wie es gerade läuft?

Mundt: Erstens wissen wir gar nicht genau, wie die Preise im Vergleich wirklich sind. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass wir in Deutschland nicht am unteren Ende der Skala, sondern eher im Mittelfeld liegen. Das zweite ist: Der Preis eines Lebensmittels ist ohnehin schwer messbar, weil er eng mit dem Thema Qualität verknüpft ist. Für uns steht nicht das Preisniveau im Vordergrund, sondern dafür zu sorgen, dass der Wettbewerb funktioniert. Solange Preise im Wettbewerb zustande kommen, haben wir automatisch qualitativ hochwertige Produkte zu niedrigen Preisen.

Frage: Wie bewerten Sie in dieser Hinsicht das starke Interesse der Händler, immer mehr Eigenmarken an die Kunden zu bringen?

Mundt: In der Sektoruntersuchung schauen wir uns auch an, welcher Wettbewerbsdruck von den Handelsmarken ausgeht und welche Wirkung Handelsmarken auf die Hersteller haben. Es gibt ja auf der anderen Seite auch viele Markenartikel-Hersteller, die auch Handelsmarken beliefern. Für den Hersteller kann das ein zusätzlicher Vertriebskanal sein. Für uns ist interessant zu sehen, in welcher Art und Weise diese Artikel in den Verhandlungen und Strategien der Unternehmen miteinander verknüpft werden und ob Handelsmarken eine echte Outside-Option sind. Wir haben oft das Gefühl, dass das nicht so ist. Die Hersteller, die beides anbieten, versuchen, dafür getrennte Preisverhandlungen zu führen, aber es gelingt ihnen nicht immer.

Frage: Wenn bei der Sektoruntersuchung herauskäme, dass im Lebensmittelhandel Nachfragemacht herrscht: Welche konkreten Maßnahmen haben Sie zur Verfügung?

Mundt: Die Frage ist, welche Konsequenzen ein solches Ergebnis für unsere Entscheidungspraxis hätte. Zum Beispiel konnten wir bislang viele Fusionspläne der Unternehmen noch unter strengen Auflagen freigeben, da wir auf diesem Wege die wettbewerblichen Probleme auf den regionalen Absatzmärkten in den Griff bekamen. Ob wir nachfrageseitig ähnliche Lösungen finden könnten, bleibt abzuwarten.

Frage: Wäre es nötig, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, um beschaffungsseitige Marktmacht zu unterbinden?

Mundt: Ich glaube nicht, dass gesetzliche Änderungen weiterhelfen. Wir wollen keine Lex Lebensmittel-Einzelhandel schaffen. Wir müssen innerhalb des marktwirtschaftlichen Systems nach Lösungen suchen. Regulierende Eingriffe sind hier nicht zielführend

Das Interview führte Sonja Plachetta.

Quelle: Lebensmittel Praxis am 06.07.2012

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