"Warten auf den nächsten Schlag"

Kurz nach dem Schock für die Süßwarenindustrie droht der Ernährungswirtschaft das nächste Unheil: Das Bundeskartellamt will noch im laufenden Jahr erste Ergebnisse im Mammutprozess um Preisabsprachen zwischen Händlern und Herstellern vorlegen. Betroffen sind 70 Unternehmen.

Lebensmittel Zeitung: Herr Mundt, Sie haben angekündigt, vertikale Preisbindungen zum Top-Thema des Jahres 2013 zu machen. Muss sich die Branche warm anziehen?

Mundt: Es geht nicht nur um Preisbindungen, sondern um vertikale Wettbewerbsbeschränkungen insgesamt. Wir haben schon im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von Verfahren geführt, bei denen die Geschäftsbeziehungen zwischen Herstellern und Händlern im Mittelpunkt standen. Wenn ich mir die Zahl der Beschwerden so anschaue, wird das auch in diesem Jahr kaum weniger werden.

Lebensmittel Zeitung: Seit über drei Jahren läuft das Verfahren gegen Unternehmen der Ernährungswirtschaft. Viele fragen sich, warum Sie so lange brauchen?

Mundt: Wir führen Bußgeldverfahren gegen über 70 Markenartikelhersteller und Einzelhändler. Die sichergestellten Unternehmensdaten sind inzwischen ausgewertet. Die beweisrelevanten Dokumente wurden bereits an alle betroffenen Unternehmen versandt. Diese können nun entscheiden, ob sie uns diese Dokumente freiwillig überlassen. Andernfalls müssen wir sie gerichtlich beschlagnahmen lassen.

Lebensmittel Zeitung: Die Unternehmen warten indes auf Beschuldigungsschreiben. Wann werden Sie endlich konkret?

Mundt: Verfahrensabschlüsse werden noch etwas auf sich warten lassen, aber wir gehen derzeit davon aus, im Laufe dieses Jahres erste Beschuldigungsschreiben versenden zu können. Ein Verfahrenskomplex dieser Dimension erfordert einen immensen Bearbeitungsaufwand. Würde man alle Blätter aus den Ermittlungsakten hintereinander legen, würde das der Autobahnstrecke von Bonn bis weit hinter Aachen entsprechen. Gleichwohl ist dieser Arbeitsaufwand gut angelegt, denn er dient der Sicherstellung von Preiswettbewerb bei Lebensmitteln.

Lebensmittel Zeitung: Sie haben in Aussicht gestellt, in einigen Fällen lediglich abzumahnen. Wer kann darauf hoffen?

Mundt: Richtig ist, dass Rechtssicherheit nicht immer durch das schmerzliche Mittel eines Bußgeldes herbeigeführt werden muss, sondern es Fälle geben kann, wo sich die Sanktionierung durch Abmahnung im Verwaltungsverfahren anbietet. Dies entspricht im Übrigen der Linie, die wir immer verfolgt haben, nämlich nur die Verhaltensweisen im wirklich „schwarzen“ Bereich mit einem Bußgeld zu ahnden. Mehr kann ich im laufenden Verfahren nicht sagen.

Lebensmittel Zeitung: Haben Sie einige Unternehmen bereits vom Haken gelassen?

Mundt: Nein, es hat bisher keine Verfahrenseinstellungen gegeben.

Lebensmittel Zeitung: Welches sind die besonders schweren Fälle, die sie verfolgen?

Mundt: Im Fokus des Verfahrens steht die Mindest- oder Festpreisbindung. Bestätigt sich ein entsprechender Verdacht, hätte der Verbraucher für zahlreiche Produkte des täglichen Bedarfs in der Vergangenheit höhere Preise bezahlt als nötig. Es ist daneben nicht ausgeschlossen, dass die Ermittlungen die eine oder andere unmittelbare Preisabsprache zwischen Wettbewerbern zutage fördern.

Lebensmittel Zeitung: Wann erfährt die Branche endlich, was im Umgang miteinander erlaubt sein wird?

Mundt: Zunächst mal müssen wir hier differenzieren. In unserem Bußgeldverfahren verfolgen wir Hinweisen auf harte Kartellverstöße. Dabei geht es um Vorgänge, bei denen den Beteiligten auch ganz klar war, dass sie die Grenze des rechtlich Erlaubten übertreten. Daneben gibt es andere komplexere Fragen, bei denen diese Grenzziehung schwieriger ist. Aber hier geht es nicht um Bußgelder, sondern schlicht um kartellrechtskonformes Verhalten. Und ich möchte auch daran erinnern, dass es Aufgabe der Unternehmen ist, sich kartellrechtskonform zu verhalten.

Lebensmittel Zeitung: Das aber fällt in den sogenannten Graubereichen schwer.

Mundt: Wir wissen um die Komplexität mancher Fragen und werden deshalb auch beratend tätig. Schon seit Jahren betreiben wir Aufklärungsarbeit in Gesprächen, Vorträgen und Publikationen. Auch die EU-Kommission gibt über ihre Leitlinien und Einzelentscheidungen immer wieder deutliche Orientierungspunkte vor. Last but not least gibt es die Rechtsprechung. So etwa im Fall von Scout-Ranzen, in dem der Bundesgerichtshof die Frage der Druckausübung zur Durchsetzung von UVP geklärt hat.

Lebensmittel Zeitung: Wann ist das Zusammenspiel zwischen Industrie und Handel bedenklich?

Mundt: Wir können in einem Zeitungsinterview sicherlich nicht eine Liste mit Freistellungsgründen diskutieren. Das sprengt den Rahmen. Grundsätzlich orientieren wir uns aber im Bundeskartellamt auch an den Vertikalleitlinien der EU-Kommission.

Das Interview führte Susan Hasse.

Quelle: Lebensmittel Zeitung am 08.02.2013.

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