"Abschreckende Beispiele"

BIZZ energy today: Herr Mundt, der Kabinettsentwurf zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) liegt auf dem Tisch und soll noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Sind Sie damit zufrieden?

Andreas Mundt: Der EEG-Entwurf geht in die richtige Richtung. Im Bereich der erneuerbaren Energien werden endlich erste wettbewerbliche Strukturen, wie wir sie seit Langem fordern, eingezogen. Die Erneuerbaren werden Markt- und Systemverantwortung übernehmen müssen, das folgt unter anderem aus der im EEG-Entwurf verankerten Pflicht zur Direktvermarktung.

Wie wird sich dieser Punkt konkret in der Praxis auswirken?

Bisher wurde den Erneuerbaren durch das System der Festvergütung keinerlei Beitrag zur Markt- und Systemintegration abverlangt. Das ändert sich jetzt, weil die Betreiber von Windkraft- oder Solaranlagen Bilanzkreisverantwortung übernehmen müssen. Das bedeutet: Ökostrom-Betreiber haben dafür Sorge zu tragen, dass ihre prognostizierte Einspeisung auch mit der tatsächlichen übereinstimmt. Falls sie doch zu wenig produzieren, weil der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint, müssten sie notfalls auch konventionellen Strom dazukaufen.

Alternativ können sie ihren Ökostrom speichern, um ihn in wind- und sonnenarmen Zeiten einzuspeisen. Wäre das nicht noch besser?

Perspektivisch wird die Speichertechnologie bestimmt eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, die fluktuierende Einspeisung von Erneuerbaren mit dem Verbrauch in Einklang zu bringen. Daneben gibt es aber auch noch andere Flexibilitätsoptionen, etwa Lastmanagement oder eben flexible konventionelle Back-up-Kapazitäten. Wichtig ist hier, Rahmenbedingungen für einen technologieoffenen Wettbewerb zwischen den Flexibilitätsoptionen zu schaffen. Es darf keine Vorfestlegung auf einen „Gewinner“ geben. Nur so kann ein kosteneffizienter Technologiemix erreicht werden.

Ab 2017 soll die verpflichtende Direktvermarktung durch Auktionen ersetzt werden. Wird das den Wettbewerb zusätzlich befeuern?

Auktionen können sehr effektiv sein. Nur die Anlagen, die den Ökostrom am kostengünstigsten produzieren, werden sich im Wettbewerb um die Fördermittel durchsetzen. Und die Fördersätze werden nicht mehr vom Staat, sondern vom Markt bestimmt. Das dient dem Abbau von Überförderungen. Letztlich wird die Wirkung der Auktionen aber ganz vom richtigen Design abhängen. Auktionen gehören zu den anspruchsvollsten Wettbewerbsinstrumenten überhaupt und sind deshalb sorgfältig zu planen und zu entwickeln.

Nehmen wir mal an, dass der von Ihnen angestrebte Wettbewerb tatsächlich funktioniert. Würden dadurch die viel zitierten Kapazitätsmärkte überflüssig?

Das lässt sich aus heutiger Sicht nur sehr schwer prognostizieren. Wir sollten deshalb erst mal beginnen, mehr Wettbewerb ins System zu bringen und die Folgen – die positiv sein werden – genau beobachten. Erst in einem zweiten Schritt sollte man sich dann dem Thema Kapazitätsmärkte zuwenden.

Was haben Sie eigentlich gegen Kapazitätsmärkte?

Kapazitätsmärkte sind unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung ein gravierender staatlicher Eingriff in die Energiemärkte. Mit Wettbewerb hat das herzlich wenig zu tun. Sie können auch zu neuen kartellrechtlichen Problemen führen. Wer kann denn Kapazitäten in ausreichender Menge zur Verfügung stellen? Am Ende sind das doch in erster Linie die Großen Vier, die durch Kapazitätsmärkte ihre Macht wieder ausbauen könnten. Kleinere inländische Anbieter werden es schwerer haben, gesicherte Kapazitäten anzubieten. Und ausländische Anbieter, seien sie noch so günstig, werden kaum gesicherte Kapazitäten in Deutschland anbieten können, weil die Grenzkuppelstellen dazu einfach nicht ausreichen.

Gibt es Erfahrungen mit Kapazitätsmärkten im Ausland?

Ja, aber das sind eher abschreckende Beispiele. In New York und Neuengland haben die Anbieter Notsituationen schamlos ausgenutzt und ihre Kapazitäten zu überhöhten Preisen angeboten. In der Folge waren erneut staatliche Regulierungsmaßnahmen erforderlich.

Ihren Widerstand gegen Kapazitätsmärkte begründen Sie ökonomisch. Aber politisch könnten diese Märkte künftig gewollt sein. Würden Sie Ihr privates Geld darauf wetten, dass Deutschland keine Kapazitätsmärkte bekommen wird?

Ich wette grundsätzlich nicht. Aber im Ernst: Es ist aus heutiger Sicht komplett offen, ob Kapazitätsmärkte kommen oder nicht. Es gibt zwar viele Befürworter. Aber es existieren am Strommarkt derzeit auch erhebliche Überkapazitäten, die erst mal abgebaut werden müssen. Dann kann es auch wieder zu steigenden Preisen und Investitionsanreizen kommen. Ich sehe nicht, dass wir unvermeidlich in eine Situation hineinlaufen, in der wir Kapazitätsmärkte zwingend brauchen.

Führt die anhaltende Diskussion über Kapazitätsmärkte zu Attentismus bei Investoren?

Diese Gefahr ist groß. Es droht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, und zwar in folgendem Sinne: Versorger warten mit dem Bau neuer Kraftwerke bis zur vermeintlichen Einführung dieser Kapazitätsmärkte, weil sie glauben, dass der Betrieb eines solchen Kraftwerks dann lukrativer sein wird. Weil niemand neu baut, entsteht dann tatsächlich eine Versorgungslücke – um die zu schließen, werden am Ende tatsächlich Kapazitätsmärkte eingeführt.

Eon hält sein Gaskraftwerk Irsching bei Ingolstadt nur am Netz, weil die Bundesnetzagentur dem Konzern dafür eine Ausgleichszahlung zugebilligt hat. Ist das eine saubere Lösung?

Diese Zahlungen erfolgen nicht, um das Kraftwerk Irsching am Netz zu halten, auch wenn das zum Teil so dargestellt wurde. Wir untersuchen derzeit die Ausgestaltung des Entgelts, das der Netzbetreiber an den Kraftwerksbetreiber für Redispatch-Maßnahmen zahlt, also für Strommengen zur Systemstabilisierung. Zahlungen für Redispatch sind gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und an sich nicht zu beanstanden, dürfen aber nicht dazu führen, dass Irsching nicht mehr am normalen Strommarkt teilnimmt. Mit diesem Fokus sehen wir uns Irsching genauer an.

Ein anderer Fall betrifft Siemens und General Electric. Beide buhlen um den französischen Alstom-Konzern. Ist eine nationale Kartellbehörde nicht bei solchen transnationalen Übernahmen komplett überfordert?

Ganz und gar nicht. Der genannte Fall ginge überdies aller Voraussicht nach zur EU-Kommission nach Brüssel. Dann greifen etablierte Mechanismen, wie die nationalen Wettbewerbsbehörden in solchen Fällen mit der Kommission zusammenarbeiten. Innerhalb der EU agieren die Kartellbehörden heute quasi wie Schwesterorganisationen. Aber auch international gibt es inzwischen einen regen Austausch, mit den USA und anderen. Daher mache ich mir keine Sorgen, dass es in diesem Fall an der notwendigen internationalen Kooperation und Kommunikation mangeln könnte.

Auch Mineralölkonzerne agieren über nationale Grenzen hinweg – und werden für mangelnde Transparenz kritisiert. Wäre ein EU-weites Unbundling wie bei Strom und Gas sinnvoll?

Unbundling bei Strom und Gas bezieht sich auf die Trennung von Netz und Erzeugung. Das macht im Mineralölsektor wenig Sinn, da es hier ja kein Transportmonopol gibt. Diskutiert wird ab und an eine vertikale Trennung von Produktion und Handel, also von Raffinerie und Tankstellennetz. Einige US-Bundesstaaten haben das per Gesetz so geregelt und in Großbritannien hat sich eine solche Marktstruktur entwickelt.

Würde eine solche Zerschlagung der Ölkonzerne wirklich Wettbewerbsvorteile bringen?

Ich bin gegenüber solchen Forderungen eher skeptisch. Unsere aktuelle Sektoruntersuchung wird weitere wichtige Erkenntnisse liefern. Wir werden uns mit der Wettbewerbsintensität auf den vorgelagerten Raffinerie- und Großhandelsmärkten befassen und uns dabei auch genauer ansehen, in welcher Form Preisbewegungen bei Rohöl und Mineralölprodukten an die Autofahrer weitergegeben werden.

Funktioniert Ihre Markttransparenzstelle für die Kraftstoffpreise an deutschen Tankstellen?

Wir haben den Autofahrern damit ein valides Instrument an die Hand gegeben, um hohen Preisen auszuweichen. Unsere Markttransparenzstelle weist oft Preisunterschiede über zehn Cent pro Liter aus; es lohnt sich also, teure Tankstellen zu meiden. Eine Allensbach-Umfrage hat ergeben, dass 70 Prozent der Deutschen das Instrument kennen und 40 Prozent der unter 45-Jährigen es auch mindestens ab und zu nutzen.

Senkt Ihre Markttransparenzstelle die Kraftstoffpreise?

Ziel ist es, den Wettbewerb an der Zapfsäule zu befördern. Wenn eine große Zahl der Autofahrer gezielt die günstigste Tankstelle in der Umgebung anfährt, wird dies auch Druck auf die Anbieter ausüben. Die Markttranparenzstelle wird aber nicht dazu führen, dass sich Endverbraucherpreise von anderen globalen Einflüssen wie Rohölpreisen und Raffineriekapazitäten abkoppeln.

Die Fragen stellte Joachim Müller-Soares.

Quelle: BIZZ energy today, 12.5.2014.

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