"Das Milchpaket ist ein Graus"

Agrarmanager: Herr Mundt, es gibt in Deutschland 290.000 landwirtschaftliche Betriebe, die auf ihren wichtigsten Beschaffungs- und Absatzmärkten hoch konzentrierten Strukturen gegenüberstehen. Wie sollen Landwirte in dieser Situation jemals auf Augenhöhe mit ihren Lieferanten und Abnehmern verhandeln?

Mundt: Innerhalb des kartellrechtlichen Rahmens gibt es gerade für die Landwirtschaft sehr viele Freistellungsmöglichkeiten zur Zusammenarbeit zum Beispiel für Einkaufskooperationen oder gemeinsame Lagerung oder Verarbeitung. Diese Möglichkeiten könnten von den Landwirten intensiver genutzt werden als dies bisher der Fall ist. Zum anderen profitieren Landwirte in vielen Bereichen noch immer stark von Sonderregeln. Als Beispiel sei hier nur der Mindestpreis für Rüben genannt. Außerdem gibt es durchaus vor- und nachgelagerte Bereiche, in denen die Konzentration noch nicht soweit fortgeschritten ist, beispielsweise die süddeutsche Milchindustrie. Dort, wo einzelne Unternehmen tatsächlich eine beherrschende Marktstellung entwickelt haben, greifen wir auch ein, wie das Beispiel der 2011 untersagten Übernahme des Sauenschlachters Tummel durch Tönnies zeigt.

Agrarmanager: Dennoch, die EU-Kommission sieht die Notwendigkeit, mit der EU-Agrarreform landwirtschaftliche Erzeugerorganisationen und Branchenverbände zu stärken. Wie bewerten Sie die Absicht der Kommission, die geltenden Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht zu erweitern?

Mundt: Wir haben gegenüber diesen Plänen deutliche Kritik geäußert, unter anderem mit einer gemeinsamen Resolution der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und der EU-Generaldirektion Wettbewerb, leider ohne Erfolg. Das europäische Milchpaket und das darauf aufbauende Agrarmarktstrukturgesetz ermöglichen es, dass anerkannte Erzeugerorganisationen in einem Mitgliedstaat einen Marktanteil von bis zu einem Drittel des nationalen Marktes vereinen dürfen. Da wendet sich der Wettbewerbsrechtler mit Grausen ab. Dass die Erzeugerorganisationen dabei laut Gesetz den Wettbewerb nicht ausschließen dürfen, ist aus meiner Sicht nicht mehr als ein Feigenblatt. Wenn man in dieser Form Marktmacht bündeln darf, bildet man ein echtes Schwergewicht. Die Machtverteilung am Milchmarkt könnte sich umdrehen, wenn die Molkereien bundesweit nur noch drei anerkannten Erzeugerorganisationen gegenüberstünden. Die EU-Kommission geht hier mit einem sehr groben Leisten heran. Es fehlt die Differenzierung nach den konkreten Marktverhältnissen in den Mitgliedstaaten und in den Regionen. Das ist nicht ökonomisch gedacht, sondern ein reiner Regulierungsansatz. Sehr gestört hat uns auch, dass Branchenverbände marktstufenübergreifend bestimmte Verabredungen treffen dürfen. Die Erfahrung lehrt uns, dass solche vertikalen Strukturen leicht dazu führen, den Wettbewerb zu Lasten des Verbrauchers einzuschränken.

Agrarmanager: Am Milchmarkt sollen Erzeugerorganisationen mit den Abnehmern auch über Preise verhandeln dürfen. Ist das mit deutschem Recht vereinbar?

Mundt: Das europäische Milchpaket schließt dies nicht aus und insofern wird dieses EU-Spezialrecht dem deutschen Wettbewerbsrecht vorgehen. Noch ist die entsprechende Umsetzungsverordnung zum Agrarmarktstrukturgesetz nicht verkündet, aber es sieht so aus, als ob uns hier die Hände weitgehend gebunden sein werden.

Agrarmanager: Ihre Behörde hatte im Juni 2011 die Veröffentlichung aktueller Milcherzeugerpreise als wettbewerbsrechtlich bedenklich gerügt. Warum dient eine Markttransparenzstelle für die Benzinpreise dem Wettbewerb, am Milchmarkt soll der Preisvergleich aber erschwert werden?

Mundt: Milch ist nicht gleich Benzin. Die Märkte sind sehr unterschiedlich und entsprechend wirkt Preistransparenz nicht gleichermaßen. Am Milchmarkt hilft hohe Transparenz über die Auszahlungen durch die Molkereien in erster Linie dem Lebensmitteleinzelhandel und den starken Molkereien. Die genaue Kenntnis der Preise über die gesamte Wertschöpfungskette verschafft dem Einzelhandel einen großen Verhandlungsvorteil gegenüber den Molkereien. Für die Milcherzeuger sind die monatlich aktuellen Preismeldungen hingegen nicht wirklich von Bedeutung bei der Wahl ihres Milchverarbeiters. Dazu reichen auch die aus unserer Sicht unbedenklichen Preisangaben mit sechsmonatiger Verzögerung aus, weil sie zeigen, welche Preispolitik die Molkereien langfristig verfolgen. Am Kraftstoffmarkt hatten die Mineralölkonzerne durch die Preismeldungen der Tankstellenwärter hingegen schon bislang perfekte Preistransparenz, der Autofahrer aber nicht. Hier sorgt Preistransparenz für Waffengleichheit am Markt, während sie im Milchsektor zu einer Vereinheitlichung der Auszahlungspreise führen würde.

Agrarmanager: Wie verträgt sich die von Ihrer Behörde geforderte Einschränkung der Veröffentlichung aktueller Milcherzeugerpreise mit der Ankündigung der EU-Kommission, eine Milchmarktbeobachtungsstelle einzurichten und die Preisberichterstattung auszubauen?

Mundt: Wir wissen noch nicht genau, was die Kommission vorschlagen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass aktuelle, identifizierende Preisangaben veröffentlicht werden sollen. Eher dürfte es in die Richtung gehen, dass zeitlich verzögert aggregierte Milcherzeugerpreise publiziert werden, wie das in Deutschland der Fall ist. Auch die Preisberichterstattung für den Zuckermarkt könnte der EU-Kommission als Vorbild dienen.

Agrarmanager: Im Mai 2013 führte das Kartellamt im Kartoffelsektor eine Razzia durch wegen des Verdachts auf Preisabsprachen. Hat sich der Verdacht erhärtet?

Mundt: Die Auswertung der gewonnenen Informationen dauert noch an. Das ist ein komplexer Sachverhalt mit vielen Beteiligten. Solange das Verfahren läuft, geben wir darüber keine Auskunft.

Agrarmanager: Sind die Landwirte die Geschädigten oder die Verbraucher?

Mundt: Das können wir erst sagen, wenn wir das Ausmaß der Absprachen abschließend beurteilt haben.

Agrarmanager: Im Zuckersektor dauern Ihre Ermittlungen wegen Preisabsprachen bereits seit August 2009 an. Im April dieses Jahres gab es erneut Durchsuchungen, diesmal auf europäischer Ebene. Wann rechnen Sie mit einem Abschluss?

Mundt: Das deutsche und das europäische Verfahren betreffen unterschiedliche Zeiträume und überschneiden sich bei den betroffenen Produktmärkten nur teilweise. Beide Fälle haben nicht unmittelbar miteinander zu tun. Was unsere Untersuchungen für den deutschen Markt für Verarbeitungs- und Haushaltszucker bis 2009 betrifft, sind wir auf der Ziellinie. Wir planen, unser Verfahren bis März 2014 abzuschließen.

Agrarmanager: Ist die Vorstellung von einem fairen Wettbewerb am deutschen Zuckermarkt mit drei Unternehmen und einem austauschbaren Produkt überhaupt realistisch?

Mundt: Perfekter Wettbewerb ist keine Frage der Zahl der Unternehmen. Das zeigt der intensive Konkurrenzkampf der beiden großen Flugzeughersteller Boeing und Airbus. Aber natürlich sind es erschwerte Bedingungen, wenn etwa am Zuckermarkt nach fünf Dekaden der Marktregulierung nur drei Unternehmen den Markt unter sich aufteilen. Da sind wir als Kartellamt besonders alert und schauen ganz genau hin, dass dieser „Restwettbewerb“ nicht ausgeschaltet wird.

Agrarmanager: Auch im Lebensmitteleinzelhandel ist die Konzentration erheblich. Wann legen Sie die Ergebnisse ihrer Sektoruntersuchung vor, die vor inzwischen fast drei Jahren eingeleitet wurde?

Mundt: Im deutschen Lebensmitteleinzelhandel vereinen vier Unternehmen rund 85 % des Marktes auf sich. Das ist in der Tat eine hohe Konzentration. Auf der Angebotsseite — also im Verhältnis der Händler zu den Verbrauchern — waren wir darum schon in der Vergangenheit sehr aktiv und haben zahlreiche Zusammenschlüsse nur unter Auflagen genehmigt. Die Nachfragerseite — also das Verhältnis zwischen Lieferanten und Händlern — ist sehr viel schwieriger in den Griff zu bekommen wegen der Vielzahl der Produkte und Hersteller. Hier muss man die konkreten Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Lieferant und Händler kennen. Darum gehen wir im Rahmen der Sektoruntersuchung in die Details. Wir haben über 30 Millionen Einzeldaten erhoben, um genau diese Zusammenhänge vollständig beurteilen zu können. Voraussichtlich werden wir die Ergebnisse im Frühjahr 2014 vorlegen.

Agrarmanager: Kartoffeln, Zucker, Mehl, Süßwaren — das Bundeskartellamt hat zahlreiche Ermittlungen in der Ernährungswirtschaft durchgeführt. Ist die Ernährungsindustrie besonders im Fokus?

Mundt: Die Ernährungsindustrie ist ein volkswirtschaftlich bedeutender Sektor und dementsprechend ein wichtiger Teil unserer Tätigkeit. Hinzu kommt, dass in diesem Bereich auf fast allen Stufen wettbewerblich problematische Konstellationen vorherrschen, von den regulatorischen Eingriffen der Agrarpolitik bis zur hohen Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel. Aber wenn Sie sich die Kartellfälle der Vergangenheit anschauen, finden Sie nicht nur Mehl und Wurst, sondern auch Schienen, Betonrohre, Brillengläser und Dachziegel. Kurzum, die Ernährungswirtschaft ist kein besonders auffälliger Sektor, aber teils führt auch ein Fall in einer Branche zum nächsten.

Agrarmanager: Themenwechsel: Mit der Initiative Tierwohl sollen Landwirte für besondere Tierschutzleistungen einen Bonus erhalten. Welche legalen Möglichkeiten zur Finanzierung sehen Sie?

Mundt: Wir begleiten diese — gesellschaftlich sicher wünschenswerte — Initiative konstruktiv und wollen sie gern kartellrechtlich ermöglichen. Bisher liegt uns keine konkrete Anfrage zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung eines Finanzierungskonzepts vor. Wir stehen den Initiatoren aber beratend zur Seite. Worauf es aus unserer Sicht ankommt, ist, dass die Finanzierung nicht zu einer Art Zwangsabgabe wird und dass eine Zertifizierung nicht diskriminierend wirkt, dass also jeder daran teilnehmen darf, der die Anforderungen erfüllt. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine wettbewerbsrechtlich einwandfreie Lösung finden können.

Agrarmanager: Im Sommer 2013 wurde mit der 8. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) das Verbot des Verkaufs von Lebensmitteln unter Einstandspreis verlängert. Das Kartellamt war nie ein Freund dieser Regelung. Hat die Behörde je Anzeichen eines Verkaufs unter Einstandspreis im Lebensmittelhandel verfolgt?

Mundt: Ja, das haben wir, aber wir konnten nicht alle Fälle erfolgreich abschließen. Die Rechtsprechung hat den Händlern vielfältige Möglichkeiten zur Berechnung des Einstandspreises, ich nenne hier nur die Umlegung von Boni, Gratifikationen oder Werbekostenzuschüssen, zugebilligt. Damit ist die Regelung praktisch kaum anwendbar. Dennoch ist sie nicht ganz nutzlos, denn allein die Tatsache, dass ein Verbot gilt, entfaltet eine Wirkung auf die Unternehmen.

Agrarmanager: In den Koalitionsverhandlungen wurde darüber beraten, 20 % der Einnahmen aus Kartellbußen den Verbraucherschutzverbänden zur Verfügung zu stellen. Eine sinnvolle Regelung?

Mundt: Das wäre in manchem Jahr ein reicher Geldsegen für die Verbraucherschutzverbände. Ich bin jedoch kein Freund dieses Ansatzes, weil ich der Meinung bin, Bußgelder sollten nicht zweckgebunden verhängt werden, sonst erhalten Entscheidungen ganz schnell ein „Geschmäckle“. Diesen Anschein sollte man erst gar nicht erwecken. Gut, dass sich letzten Endes die Befürworter einer solchen Verwendung nicht durchsetzen konnten.

Agrarmanager: Herr Mundt, herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Norbert Lehmann.

Quelle: Agrarmanager vom 24.12.2013.

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