„Wir treten nicht als David gegen Goliath an“

Süddeutsche Zeitung: Herr Mundt, nimmt Lufthansa nach dem Aus von Air Berlin Wucherpreise? 

Andreas Mundt (Mundt): Wir hatten viele Beschwerden von verschiedenen Seiten und nehmen uns deshalb der Sache an. Wir prüfen gerade sehr genau, ob die Preise wirklich so stark gestiegen sind, wie viele sagen. Dazu befragen wir die Lufthansa und viele andere. Danach entscheiden wir, ob es auch ein Verfahren gibt. 

SZ: Lufthansa sagt, die Preise seien gar nicht geändert worden, das Computersystem führe bei hoher Nachfrage quasi automatisch zu steigenden Ticketpreisen. 

Mundt: Darauf kommt es aber gar nicht an. Solche Algorithmen werden ja nicht im Himmel vom lieben Gott geschrieben. Unternehmen können sich nicht hinter Algorithmen verstecken. 

SZ: Aber wenn viele etwas haben wollen und nur wenig da ist, steigen in der Marktwirtschaft immer die Preise. 

Mundt: Stimmt, diese Entwicklung ist normal, wenn Nachfrage auf ein sich stark verknappendes Angebot stößt, wie es hier nach dem Ausscheiden von Air Berlin der Fall ist. Die Frage lautet nun: Ist eine Schwelle übertreten worden, ab der Lufthansa ihre neue Macht missbraucht und die Preise unangemessen heraufsetzt? 

SZ: Und? Wo ist die Schwelle?

Mundt: Exzellente Frage, aber das wissen wir noch nicht. Wir können etwa die Preise vor und nach der Air-Berlin-Insolvenz vergleichen, wir können sie mit denen auf anderen Strecken vergleichen. All das wird jetzt gemacht. Erst klären wir den Tatbestand, dann prüfen wir Missbrauch. 

SZ: Kooperiert Lufthansa mit Ihnen? 

Mundt: Ich habe da bislang keinen Grund zur Beschwerde. 

SZ: Lufthansa sagt, es gebe doch auf vielen Strecken künftig einen weiteren Konkurrenten, Eurowings, die eigene Billig-Airline. 

Mundt: Wie ernst wollen Sie das nehmen? Das wäre doch das erste Mal, dass sich ein Konzern selbst echte Konkurrenz macht. Ich habe jedenfalls noch nie einen Markt gesehen, auf dem es keinen Wettbewerb gibt, aber die Preise niedrig sind und die Innovationen groß. Ich kenne aber mannigfaltig Fälle, bei denen die Preise explodiert sind, nachdem es keine Konkurrenz mehr gab. 

SZ: Ist es eigentlich richtig, dass die EU-Kommission so große Bedenken gegen die Übernahme von Niki hatte? 

Mundt: Wir waren in diesem Fall eng eingebunden, es gab viele Gespräche. Wir unterstützen die Kommission zu hundert Prozent bei dieser Entscheidung, die wir richtig finden. 

SZ: Sie prüfen nicht nur Lufthansa, sondern haben sich auch mit Facebook angelegt. Können Sie als nationale Behörde überhaupt gegen einen so internationalen Konzern ankommen? 

Mundt: Ja, natürlich. Wir gehen gegen wettbewerbliche Beschränkungen in Deutschland vor. Wenn hier jemand Geschäfte macht, dann muss er sich auch an unsere Regeln halten. Die Tatsache, dass ein Konzern wie Facebook eine globale Geschäftsstrategie verfolgt, kann ja nicht dazu führen, dass wir die Hände in den Schoss legen. 

SZ: Hoffen Sie darauf, dass sich durch Ihre Vorgehen gegen Facebook auch international etwas ändert? 

Mundt: Von meinen Hoffnungen will ich hier nicht sprechen. Aber vor wenigen Jahren hatten wir die Best-Preis-Klauseln bei Amazon Marketplace kritisiert. Der Konzern hat diese daraufhin europaweit abgeschafft. Und unser Verfahren gegen Facebook interessiert viele, auch viele Wettbewerbsbehörden in Europa und weltweit. Es geht hier um die Verbraucher. Wer weiß denn schon, dass er von Facebook getrackt wird, auch wenn er gar kein Konto dort hat? Facebook macht von Internetnutzern ein echtes Profiling, fast im kriminaltechnischen Sinn. Da geht es auch um Daten, die für viele wirklich individuell sind und die nicht ohne weiteres zusammen geführt werden dürfen.

SZ: Haben Sie selbst ein Facebook-Account?

Mundt: Ja, und ich bin auch bei Snapchat und bei Instagram. Auch aus beruflichen Gründen. Ich will wissen, wovon ich rede. 

SZ: Am 2. Januar gibt es das Kartellamt 60 Jahre. Ist das ein Grund zum Feiern? 

Mundt: Ja sicher, das Kartellamt ist doch eine echte Erfolgsgeschichte (lacht). 

SZ: Glauben heute noch alle an die Segen des Wettbewerbs?  

Mundt: Ich glaube, dass es die Idee von funktionierendem Wettbewerb heute schwerer hat als früher. Oft ist heute von nationalen Champions die Rede oder von vielen Jobs, die man mit Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht schützen müsse. Damals, vor 60 Jahren hat Ludwig Erhard unter großen Schmerzen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen durchgepaukt. Das war eine echte Wende: Im Jahr 1900 war Deutschland das Land der Kartelle, die Nationalsozialisten haben dann noch stärker auf Monopole und Kartelle gesetzt. Später, noch vor sechzig Jahren, wurde Fritz Berg, der erste Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, mit den Worten zitiert: ‚Freier Wettbewerb ist das Ende des freien Unternehmertums.‘ Da sind wir doch weit gekommen.

SZ: Seit wann sieht man in Deutschland freien Wettbewerb wieder kritischer?

Mundt: Solange Deutschland immer auf dem Siegertreppchen stand, war es einfach, den Wettbewerbsgedanken hochzuhalten. Doch dann kam die Digitalisierung und mit ihr die Globalisierung. Plötzlich verschiebt sich die Entstehung von Reichtum in der Welt und es stehen auch mal andere auf dem Siegertreppchen. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen für freien Wettbewerb kämpfen.

SZ: Wird das Kartellamt geschätzt?

Mundt: Wir haben insofern ein gutes Ansehen, als wir viele belastbare Entscheidungen getroffen haben. Wir werden als eine Behörde wahrgenommen, die stringent handelt, nach rechtsstaatlichen Maßstäben. Das heißt aber bei Weitem nicht, dass alles unstrittig wäre, was wir machen. Bei großen Fällen gibt es immer Gewinner und Verlierer, und die Verlierer sind regelmäßig unglücklich. Als die Kartellverfolgung vor einem Jahrzehnt so richtig Fahrt aufgenommen hat, war auch das für die Wirtschaft ungewohnt. Da kamen zum Beispiel Klagen auf, der Mittelstand sei unverhältnismäßig betroffen. Ich kenne viele, die heute sagen: Gut, dass das Amt so durchgreift bei Kartellen, gut, dass es das Kartellamt gibt.

SZ: Was war der größte Erfolg Ihrer Amtszeit?

Mundt: Uns ist es gelungen, die Kartellverfolgung zum wirklich wichtigen Bestandteil unserer Arbeit zu machen. Die Kronzeugen-Regelung hat das Ganze in Schwung gebracht, das war ein Erfolg. Und wir haben uns sehr früh auf die umwälzende Digitalisierung der Wirtschaft eingestellt, Know-how aufgebaut und international noch besser vernetzt. Dass wir heute alltäglich komplexe Internet-Fälle stemmen können, das ist auch ein Erfolg.

SZ: Kann denn das Kartellamt als Behörde überhaupt mit der Entwicklung der Wirtschaft mithalten?

Mundt: Es stimmt, dass das nicht einfach ist. Bei uns arbeiten 350 Menschen, die es mit der ganzen deutschen Wirtschaft aufnehmen sollen. Unser Vorteil: Wir haben scharfe Instrumente und Befugnisse, so dass wir nicht als David gegen Goliath antreten. Aber wir erkennen auch, dass es in der Wirtschaft immer mehr um Algorithmen und Plattformen geht, um digitale Marktmacht. Es ist nicht einfach, mit Facebook, mit Amazon, mit Apple und den anderen mitzuhalten. Aber wir haben gegen alle schon Verfahren geführt – und bisher auch alle zu einem guten Ende gebracht.

SZ: Was war der größte Flop?

Mundt: Die berühmte Wurst-Lücke hat uns sehr gebremst, mit der konnten Unternehmen die teilweise hohen Strafen vermeiden, weil sie einfach die betroffenen Unternehmen schnell aufgelöst haben.

SZ: Aber Sie kannten doch diese Gesetzeslücke, bevor vor Sie die Geldbuße gegen die Wursthersteller im Jahr 2014 verhängt haben?

Mundt: Stimmt, wir haben frühzeitig darauf hingewiesen und ich habe bereits 2012 sehr nachdrücklich eine Gesetzesänderung eingefordert. Wir haben damals gewarnt: Wenn die Lücke offen bleibt, können wir unsere Tätigkeit im Kartellbereich einstellen. Dennoch überwogen zunächst rechtliche Bedenken. Inzwischen ist die Lücke geschlossen.

SZ: Was muss sich noch ändern, damit Sie Ihre Arbeit machen können?

Mundt: Ich finde schade, dass gerade in der Fusionskontrolle so viele Verfahren nach Brüssel gehen. Auch unsere Behörde braucht ab und zu große Fälle, damit wir nicht verlernen, wie das geht. Wir brauchen da eine Neujustierung, damit wir künftig auch wichtige Fusionen prüfen können. Ich glaube, das ist ein Thema für die nächste Bundesregierung.

SZ: Aber Sie prüfen doch jetzt schon bis zu 1300 Fusionen im Jahr.

Mundt: Da sind aber offensichtlich sehr viele unproblematische Fälle dabei. Man sollte darüber nachdenken, die Schwellen anders auszutarieren, die Zahl der unproblematischen Fälle reduzieren und im Gegenzug die wichtigen Fälle prüfen.

SZ: Wann könnte eine solche Gesetzesänderung kommen?

Mundt: Wir haben ja noch nicht mal eine Bundesregierung, insofern sind wir da ganz am Anfang.

SZ: Welcher Wirtschaftsminister wäre Ihnen den in Zukunft am liebsten? 

Mundt: Ich habe schon viele Ministerinnen und Minister erlebt, und wir sind mit allen gut zurechtgekommen. Ich wäre schon froh, wenn man künftig davon absehen würde, immer neue Ausnahmen im Kartellrecht zu etablieren. Das ist bisher unter allen Ministern passiert, sei es für gesetzliche Krankenversicherungen, bei kommunalen Leistungen, für Sparkassen oder die Presse. Und jetzt wollen die öffentlich-rechtlichen Sender eine Ausnahme vom Kartellrecht.

SZ: Sie sind jetzt 57, wie lang richten Sie sich eigentlich persönlich hier noch ein?

Mundt: Ich werde erst mit 66 Jahren und ein paar Monaten pensioniert. Der Gesetzgeber hat im Jahr 1958 entschieden, dass der Präsident des Bundeskartellamts kein politischer Beamter ist und damit auf Lebenszeit ernannt wird. Und hier ist ja nun wirklich wahnsinnig viel im Gange, auch mit Blick auf den Verbraucherschutz. Ich freue mich auf die nächsten Jahre.

Das Interview führte Caspar Busse.

© Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von http://www.sz-content.de (Süddeutsche Zeitung Content).

PDF-Datei des Interviews:

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz

OK