"Der Bundeskartellamt-Chef erklärt, wie er sich gegen Amazon, Facebook & Co. durchsetzen will"

Business Insider (BI): Herr Mundt, Sie wollen deutsche Einzelhändler vor Tech-Riesen wie Amazon schützen. Wenn die Deutschen aber lieber bei Amazon einkaufen, warum lassen Sie nicht einfach die Kunden entscheiden, wo sie einkaufen sollen?

Andreas Mundt (Mundt): Dass die Kunden entscheiden können, ist tatsächlich unser Anliegen. Zahlreiche Einzelhändler haben aber de facto gar keinen Zugang zu potentiellen online-Kunden. Warum? Weil ihnen vom Hersteller verboten wird, seine Ware über das Internet – vor allem über Plattformen wie Amazon oder eBay – zu verkaufen. Das Bundeskartellamt setzt sich dafür ein, dass das dem kleinen und mittleren Händler möglich sein muss. Zunehmender E-Commerce führt zu Einbußen im stationären Geschäft. Deshalb versuchen viele Händler, ihre Produkte zusätzlich über eine eigene Webseite zu verkaufen, stellen dann aber fest, dass das gar nicht so gut läuft. Dann probieren sie es über größere Webseiten, wie zum Beispiel Amazon.

BI: Ihr gutes Recht...

Mundt: Manche Händler bekommen dann aber vom Hersteller des Produkts ein Schreiben, dass sie die Produkte nicht über Amazon vertreiben dürfen und ihnen wird mit einem Stopp der Belieferung gedroht. Gleichzeitig steigen die Online-Umsätze im herstellereigenen Online-Shop oder der bei ausgewählten großen Onlinehändlern zu Lasten der kleinen Anbieter. Das ist dann ein Thema für uns. Kleine Händler werden mit ihrer eigenen Webseite doch gar nicht gefunden. Sie sind also angewiesen auf Drittportale. So können sie möglicherweise die Einkünfte generieren, die sie brauchen, um ihr Geschäft in der Innenstadt aufrechterhalten zu können. Mir geht es also nicht darum, irgendjemandem vorzuschreiben, wo er einkaufen darf. Im Gegenteil: Ich will, dass die Händler die Wahl haben, auf welchem Weg sie ihre Produkte vertreiben dürfen und dass die Verbraucher die Wahl  haben, dort einzukaufen, wo sie möchten.

BI: Und zeigen dem freien Markt so seine Grenzen auf?

Mundt: Der freie Markt kann das nicht von selbst regeln, wenn der Hersteller dem kleinen Händler verbietet, seine Ware so zu verkaufen, wie er das für richtig hält. Der ist oft auf eine Plattform angewiesen und kann nur so seinen Internetvertrieb aufbauen. Das zeigt auch eine Studie der EU-Kommission: Kleine und mittlere Unternehmen erzielen zwei Drittel ihrer Online-Umsätze über Drittplattformen.

BI: Welche Rechte würden Sie den Herstellern denn zusprechen, selbst entscheiden zu dürfen, wo ihre Produkte verkauft werden und wo nicht?

Mundt: Diese Frage geht sehr tief ins europäische Recht. Hersteller dürfen sich die Händler aussuchen, sie können Vorgaben machen, wie ihr Produkt platziert wird und dass die Produkte in einer qualitativ ansprechenden Umgebung präsentiert werden. Solche Vorgaben dürfen aber nicht zu einer unzulässigen Beschränkung des Online-Vertriebs führen. Was wir brauchen, ist ein ausgewogener Interessensausgleich zwischen dem, was die Verbraucher, die Händler und die Hersteller wollen.

BI: Diese großen Plattformen, Amazon, Ebay, Google oder Facebook sind allesamt US-Konzerne. Wie handlungsfähig ist das deutsches Kartellamt?

Mundt: Wir sind da sehr handlungsfähig. Im Wettbewerbsrecht haben wir das große Glück, dass bei uns die ‚effects doctrine‘ gilt: Wir können jede Wettbewerbsbeschränkung aufgreifen, die sich auf den deutschen Wirtschaftsraum auswirkt. Wer hier Geschäfte macht, muss sich auch an unsere Regeln halten. Wir haben schon viele Verfahren gegen große Internetkonzerne wie Amazon geführt und waren da auch erfolgreich.

BI: Welche für den Verbraucher spürbaren Veränderungen bei Amazon sind auf Ihre Arbeit zurückzuführen?

Mundt: Bei dem Market Place für Drittanbieter hatte Amazon eine Klausel, nach der Anbieter ihre Produkte auf keiner anderen Plattform preiswerter anbieten dürfen. Das schränkt den Händler in seiner Preissetzung ein: Wenn er auf einer anderen Plattform handelt, spricht nichts dagegen, dass er seine Produkte dort günstiger anbietet, zumal die Provisionen vielleicht viel niedriger sind. Darüber haben wir mit Amazon diskutiert, bis das Unternehmen die Klausel hat fallen lassen – nicht nur für Deutschland, sondern gleich für ganz Europa.

BI: Mit welchen Druckmitteln gehen Sie in solche Verhandlungen?

Mundt: "Verhandlungen" ist vielleicht nicht der passende Ausdruck. Wir sind eine rechtsanwendende Behörde, führen also Verfahren und können letzten Endes Entscheidungen gegen ein Unternehmen treffen. Wenn wir einen Verstoß gegen das Kartellrecht feststellen, fordern wir, dass dieser abgestellt wird. Verstöße können auch mit hohen Bußgeldern geahndet werden. Natürlich steht es den Unternehmen frei, gegen unsere Entscheidungen gerichtlich vorzugehen. Offensichtlich hat unsere Argumentation bei Amazon das Unternehmen überzeugt, so dass es sich entschieden hat, bereits im laufenden Verfahren seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu ändern.

BI: Sie führen derzeit ein aufwändiges Verfahren gegen Facebook. Wenn Sie Ihre Forderungen tatsächlich durchsetzen, woran werden die Nutzer das merken?

Mundt: Da das ein laufendes Verfahren ist, kann ich dazu noch nicht viel sagen. Marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihre Marktmacht nicht missbräuchlich ausnutzen. Facebook ist natürlich ein großes mächtiges Unternehmen. Aber ist es auch im kartellrechtlichen Sinne marktmächtig? Das muss zunächst sorgfältig geprüft werden. Dies vorausgesetzt, stellt sich die weitere Frage, ob Facebook sich im Rahmen der Datenerhebung und Datennutzung gegenüber den Verbrauchern missbräuchlich verhält. Sollte das der Fall sein, werden wir das abstellen.

BI: Eine deutsche Behörde will sich gegen US-Giganten durchsetzen – ist das nicht wie David gegen Goliath?

Mundt: Na ja. Wir haben auch ein wenig mehr, als eine Steinschleuder im Köcher und selbst die hat ja bekanntlich ausgereicht. Wir müssen natürlich sorgfältig und rechtstaatlich arbeiten und das braucht eine gewisse Zeit aber wir haben weitgehende Befugnisse. Bei Facebook hoffen wir noch in diesem Jahr auf erste Ergebnisse.

BI: Das Bundeskartellamt hat jetzt neue Kompetenzen in Sachen Verbraucherschutz bekommen — Was haben Sie denn vorher gemacht?

Mundt: Natürlich dient auch die reine Wettbewerbsaufsicht dem Verbraucher. Wettbewerbsschutz ist der beste Verbraucherschutz. Im Wettbewerb der Anbieter bekommt der Verbraucher eine Auswahl, gute Qualität und niedrige Preise. Zum Beispiel gibt es eine große Verunsicherung darüber, wie Vergleichsportale funktionieren. Nach altem Recht hätten wir deren Praktiken nur dann überprüfen können, wenn sie auch marktbeherrschend sind. Nach dem neuem Recht können wir untersuchen, ob sie gegen Verbraucherschutznormen verstoßen.

BI: Vor kurzem gab Ihre Behörde eine Erklärung ab, warum Sie gegen Abhebegebühren an Geldautomaten nicht vorgehen werden. Darin hieß es, dass Regularien in dem Bereich ‚nicht zielführend‘ seien. Was ist denn Ihr Ziel?

Mundt: Natürlich wollen wir auch möglichst niedrige Gebühren für den Verbraucher gewährleiten. Auf den ersten Blick erschien es sinnvoll, die Gebühren für die Fremdabhebung staatlicherseits zu begrenzen. Allerdings müssen wir auch die möglichen Konsequenzen in Betracht ziehen. Wenn wir das zu niedrig regulieren, stellt keiner mehr Automaten auf – da müssen wir die richtige Balance finden. Wir haben bereits bewirkt, dass die Abhebekosten am Automaten angezeigt werden müssen. Außerdem haben die Verbraucher heute viele Möglichkeiten, kostengünstig oder umsonst an Bargeld zu kommen. In Einzelfällen, insbesondere im ländlichen Raum, mag das anders sein. Wir haben uns ausdrücklich vorbehalten, in Einzelfällen einzuschreiten.

BI: Inwiefern hat die boomende Fintech-Branche Ihre Arbeit verändert?

Mundt: Dadurch werden die etablierten Banken zu Veränderungen gezwungen und müssen die neuen Geschäftsmodelle in ihre eigenen integrieren. Es sind viele neue Zahlungsdienstleister wie etwa PayPal auf den Markt gekommen, wahrscheinlich bald auch Apple Pay. Das verändert die Wettbewerbslandschaft für die Banken. Im Zuge dessen werden natürlich auch an uns neue Fragen herangetragen. Ein Beispiel sind Kooperationen von deutschen Banken bei mobilen Zahlungsdiensten. Das begleiten wir konstruktiv.

BI: Wie sähe eine Welt ohne ein Bundeskartellamt aus?

Mundt: Wir hätten eine sehr hoch konzentrierte Wirtschaft mit wenigen mächtigen Unternehmen. Viele Produkte und Dienstleistungen würden nur noch von sehr wenigen Unternehmen angeboten. Das wesentliche ist aber, dass wir mit viel weniger Innovation und weniger neuen Produkten und Ideen leben müssten. Ein gutes  Beispiel dafür ist der Internet Explorer, der lange Zeit einen Marktanteil von 90 Prozent hatte. In dieser quasi-Monopolzeit hat Microsoft den Browser über fünf Jahre nicht ein einziges Mal geupdatet. Eines der innovativsten Unternehmen der Welt hat eines der damals innovativsten Produkte im Internet völlig vernachlässigt – einfach, weil es keine Konkurrenz gab. Erst als Mozilla Firefox auf den Markt kam, hat sich das verändert.

BI: Nehmen wir mal an, Sie verfolgen einen Verstoß gegen das Kartellrecht, wohlwissend, dass dieser Verstoß den Wirtschaftsstandort Deutschland stärkt. Was ist wichtiger, das Kartellrecht oder die deutsche Wirtschaft?

Mundt: Wettbewerb ist essentiell für den Erfolg einer Volkswirtschaft. Kartellrecht schützt den Wettbewerb. Also nützt das Kartellrecht bzw. seine Einhaltung auch der Wirtschaft. In einer globalisierten und digitalisierten Wirtschaftswelt wird es jeglichen Versuchen, deutsche Unternehmen durch Ausnahmen von diesem Prinzip zu stärken oder zu schützen, wie der redensartlichen Butter in der Sonne ergehen. Ich bin davon überzeugt, dass der große Erfolg den unsere Unternehmen heute weltweit haben, ganz wesentlich darauf zurückgeführt werden kann, dass sie bereits in ihrem Heimartmarkt einem intensiven Wettbewerb ausgesetzt sind.

Das Interview führte John Stanley Hunter.

Quelle: businessinsider.de; vom 11. Oktober 2017

PDF-Datei des Interviews:

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