"Der Kampf gegen Kartelle ist noch nicht verloren"

WirtschaftsWoche (WiWo): Herr Mundt, für den berühmten Ökonomen Walter Eucken ist das Grundprinzip einer Marktwirtschaft ein „funktionsfähiges Preissystem vollständiger Konkurrenz“. Ist Deutschland eine lupenreine Markwirtschaft?

Andreas Mundt (Mundt): Nein. Die finden Sie in lupenreiner Form aber nirgendwo auf der Welt. Richtig ist, dass Wettbewerb die zentrale Bedeutung für Wachstum und Wohlstand hat, das wusste Eucken ebenso wie Ludwig Erhard. In den meisten Bereichen unserer Wirtschaft funktioniert der Wettbewerb. Allerdings nicht in allen in der gleichen Intensität.

WiWo: Was sind die Folgen von fehlendem Wettbewerb?

Mundt: Die Preise steigen, die Zeche zahlt am Ende immer der Verbraucher. Und was für die Volkswirtschaft auf lange Sicht noch gravierender ist: Ein Mangel an Wettbewerb bremst die Innovation. Ein schönes Beispiel ist der Internet Browser von Microsoft. Als der Konzern seinen Internet Explorer Anfang der 2000er Jahre mit dem Betriebssystem Windows verknüpfte, entstand ein Quasi-monopol. Danach gab es für sehr lange Zeit kein Update mehr für den Internet Explorer, eigentlich ein sehr innovatives Produkt.

WiWo: 2016 hat ihr Amt 124 Millionen Euro Bußgelder verhängt, deutlich weniger als in den Vorjahren. Gibt es weniger Kartelle – oder lassen sich nur weniger Firmen erwischen?

Mundt: Eine Volatilität bei den Bußgeldern ist normal, je nachdem, wie viele Fälle wir in einem Jahr abschließen. Ich bin sicher, dass unsere Arbeit abschreckende Wirkung hat und sich der Compliance-Gedanke, also die Erkenntnis, dass Unternehmen Mechanismen gegen Regelverstöße entwickeln müssen, mehr und mehr durchsetzt. Gleichwohl sollte niemand glauben, der Kampf gegen Kartelle sei gewonnen.

WiWo: Das Kartellamt hat eine Hotline für Whistleblower. Werden jetzt anonyme Denunzianten unliebsame Konkurrenten anschwärzen?

Mundt: Natürlich besteht diese Gefahr  immer bei anonymen Hinweisen. Sie ist mit diesem System aber viel geringer als früher. Damals kamen Briefe ohne Absender. Heute können Sie mit dem Hinweisgeber online kommunizieren und Belege erbitten, ohne dass dieser seine Identität preisgeben muss. Zwischen 2012 und 2016 haben wir auf diese Weise zahlreiche ernst zu nehmende Hinweise bekommen. Die Hauptquelle für Kartellverfahren ist allerdings nicht die anonyme Anzeige, sondern unsere Kronzeugenregelung. Gut die Hälfte aller Kartellverfahren kommt in Gang, weil ein Beteiligter auspackt.

WiWo: Wie kommt es dazu?

Mundt: Mitunter bricht innerhalb eines Kartells Streit aus, etwa über Quoten oder Gebietsabsprachen. Manchmal wechselt auch das Management. Oder ein Unternehmen wird aufgekauft, und der Käufer schreibt in den Vertrag: Wir übernehmen euch nur ohne kartellrechtliche Risiken. Da ist der Anreiz groß, reinen Tisch zu machen.

WiWo: Was bieten Sie reuigen Sündern an?

Mundt: Die Kronzeugenregel ist nach Erkenntnissen der Spieltheorie konstruiert. Nur der erste, der sich meldet, bekommt vollen Straferlass. Künftig wird er außerdem bei der zivilrechtlichen Haftung privilegiert, wenn es also zu Schadenersatzklagen kommt.  Das zweite Kartellmitglied, das mit uns kooperiert, kriegt nur noch 50 Prozent Rabatt. Jedes Kartellmitglied muss also abschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass andere die Absprachen aufdecken.  Da ist oft der logische Schluss, es selber zu tun.

WiWo: Wie legen Sie die Höhe des Bußgelds fest?

Mundt: Das Gesetz legt eine Obergrenze fest. Wir dürfen bis zu zehn Prozent des Gesamtumsatzes ansetzen und haben zudem Richtlinien zu Bußgeldberechnung, die durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vorgezeichnet sind. Es gibt mildernde und verschärfende Umstände, und am Ende steht die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Wir wollen keinen Betrieb in die Insolvenz treiben.

WiWo: Die Kartellämter anderer EU-Staaten arbeiten zum Teil anders. Die EU-Kommission will daher jetzt ein einheitliches Instrumentarium schaffen. Macht das Sinn?

Mundt: Absolut. Das Kartellrecht ist inhaltlich bereits angeglichen, nicht aber die Verfahren und die Art und Weise, wie die Behörden arbeiten, welche Durchgriffsrechte sie haben und wie stark sie politisch unabhängig sind. Gerade bei grenzüberschreitenden Fällen würde ein einheitliches institutionelles Regelwerk die Arbeit der Kartellbehörden erleichtern.

WiWo: An diesem Freitag stimmt der Bundesrat über eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ab. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Mundt: Ja. An vielen Stellen bringt die Novelle Rechtsklarheit und erspart uns und den Unternehmen Verfahren vor Gericht.  Das gilt vor allem für die digitale Wirtschaft. Künftig sieht das Gesetz vor, dass ein Markt im Sinne des GWB auch dann vorliegen kann, wenn kein Geld fließt - das ist wichtig bei zahlreichen erfolgreichen Internetplattformen, wie etwa Buchungsportale oder Soziale Netzwerke, oder bei Suchmaschinen und Vergleichsportalen. Bei der Fusionskontrolle ist künftig nicht nur der Umsatz relevant, sondern auch der Transaktionswert. In der Internetökonomie ist ja häufig der Umsatz von Unternehmen noch gering, sein Marktwert aber sehr hoch.

WiWo: Die Novelle strafft die Ministererlaubnis...

Mundt: ...was mir gefällt, denn bei Fusionskontrolle geht es immer auch um Geschwindigkeit...

WiWo: ...aber der Wirtschaftsminister kann weiterhin eine Fusion gegen den Willen des Kartellamts durchsetzen.

Mundt: Der Minister hebt unser Votum nicht auf, wie es etwa ein Gericht könnte. Er stellt aus politischen Gründen den Wettbewerbsaspekt zurück. Das ist grundsätzlich ein sinnvolles Instrument.

WiWo: Ein Konzern muss das Kartellamt also nicht fürchten, wenn er gute Drähte ins Wirtschaftsministerium hat.

Mundt: Lassen Sie die Kirche im Dorf. Man kann nun wirklich nicht behaupten, Entscheidungen des Kartellamts würden routinemäßig ausgehebelt. Als die Fusionskontrolle 1973 eingeführt wurde, gab es zunächst fast jedes Jahr eine Ministererlaubnis – seit 1981 dagegen insgesamt nur vier, zum Teil noch mit Auflagen.  Wir haben 2016 über 1000 Fusionen geprüft, am Ende aber haben alle nur über Kaiser`s Tengelmann geredet.

WiWo: Der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat 2016 das Kartellamt düpiert…

Mundt: ... so sehe ich das nicht...

WiWo: … als er die Übernahme von Kaiser´s Tengelmann durch Edeka per Ministererlaubnis durchdrücken wollte. Nach langem Hickhack teilen sich Edeka und Rewe die Filialen nun auf. Können Sie damit leben?

Mundt: Aus Wettbewerbssicht ist der Kompromiss nicht schön, weder für Lieferanten, noch für Konsumenten. In Berlin gibt es Stadtteile, in denen zwei große Supermarktketten auf 70 Prozent Marktanteil kommen. Da kann der Verbraucher kaum ausweichen. Offenbar hat auch der Gesetzgeber kein gutes Gefühl. Die Bundesregierung hat in der GWB-Novelle die Vorschriften gegen den Missbrauch von Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel verschärft.

WiWo: Schauen Sie sich den Sektor nochmal an?

Mundt: Wenn wir Beschwerden bekommen, etwa von Lieferanten, werden wir dem nachgehen.

WiWo: Welche Branchen nehmen Sie 2017 ins Visier?

Mundt: Wir nehmen niemanden ins Visier, aber wir haben eine Agenda. Ganz oben steht die digitale Wirtschaft. In Kürze schließen wir zudem eine Untersuchung zum Submetering ab, da geht es um die Erfassung und Abrechnung von Heiz- und Wasserkosten. Und wir schauen uns gerade auch die Entsorgungsbranche genauer an.

WiWo: Was liegt dort im Argen?

Mundt: Zum einen gibt es im Abfallbereich derzeit einen starken Konzentrationsprozess. Zum anderen beteiligen sich an vielen Ausschreibungen nur noch sehr wenige Unternehmen. Früher waren es im Schnitt um die zehn Bewerber, heute sind es bestenfalls noch vier. Es gibt Ausschreibungen, an denen überhaupt nur ein einziger Anbieter teilnimmt, das hat mit Wettbewerb nichts zu tun. Das ist keine gute Entwicklung für die Gebührenzahler. Auch die Laufzeiten der Verträge werden wir uns ansehen, um eventuelle Zutrittsschranken für Newcomer zu identifizieren.

WiWo: Eine Reihe von Kommunen haben privatisierte Unternehmen rekommunalisiert. Ein Problem für den Wettbewerb?

Mundt: Es gibt selbstverständlich auch im Kommunalbereich sehr effiziente Betriebe. Aber die Rechtslage ist speziell: Das Kartellamt darf ermitteln, wenn ein Unternehmen privatrechtlich organisiert ist und einen Preis festlegt. Wir haben aber keine Zugriffsrechte auf kommunale Eigenbetriebe, die Gebühren erheben. Es gibt Fälle, in denen sich städtische Betriebe durch eine andere Rechtsform unserem Zugriff entziehen. In Wuppertal etwa haben wir ein Verfahren wegen überhöhter Preise geben den örtlichen Wasserversorger geführt. Während des Verfahrens strukturierte sich der Betrieb um, aus dem Preis wurde eine Gebühr – und wir waren raus.

WiWo: Ist hier der Gesetzgeber gefragt?

Mundt: Dass wir im Gebührenbereich nicht tätig werden dürfen, beruht ja auf einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2013. Das war eine sehr bewusste Entscheidung zugunsten der Kommunen. Für die Verbraucher wäre es gut, wenn die Politik an dieser Stelle die Kompetenzen des Kartellamts wieder erweitern würde. Wenn staatliche Unternehmen sich wirtschaftlich betätigen,  sollten sie sich mit den gleichen Maßstäben messen lassen wie Private.

WiWo: Speziell im Wasserbereich löst dies nicht das Grundproblem: Hier herrscht ein Monopol.

Mundt: Es gibt in Deutschland 6000 Wasserlieferanten mit abgegrenzten lokalen Märkten, die nicht im Wettbewerb stehen. Diesen zersplitterten Markt zu regulieren, ist unmöglich, zumal die Besiedelung und Bodenbeschaffenheit überall anders ist. Ich sehe keine Chance, in der Wasserwirtschaft echten Wettbewerb zu schaffen. Umso wichtiger wäre eine starke Missbrauchsaufsicht.

WiWo: Deutschland hat weltweit mit die höchsten Wasserpreise.

Mundt: Es heißt ja nicht, dass wir die Wasserversorger nicht im Blick haben. Sind diese privatrechtlich organisiert, können wir beim Verdacht auf überhöhte Preise einschreiten. Derzeit läuft ein Verfahren gegen den Bremer Wasserversorger, in Mainz und Berlin sind ähnliche Verfahren abgeschlossen. Allein in Berlin werden die Kunden seit 2012 um mehr als 250 Millionen Euro entlastet.

WiWo: Ein Aufreger ist auch der Mineralölmarkt: Fünf Anbieter kontrollieren rund 70 Prozent des Marktes. Warum?

Mundt: Ein wesentlicher Grund für die parallelen Preisentwicklungen an den Tankstellen ist, dass die Mineralölunternehmen seit Jahrzehnten ganz genau beobachten, wie sich die Wettbewerber verhalten. Gerade die Großen haben hierfür schon früh ausgefeilte Systeme aufgebaut.

WiWo: Hat die Markttransparenzstelle, der seit Ende 2013 jede Preisänderung gemeldet werden muss, nichts gebracht?

Mundt: Richtig ist, dass es große und häufige Schwankungen gibt. Wir registrieren Preisunterschiede von bis zu 30 Cent pro Tag in einer Stadt und um zehn Cent an einzelnen Tankstellen. Über Apps kann der Kunde aber jederzeit die günstigste Tankstelle in der Nähe finden. Ich stand kürzlich an einer Autobahntankstelle in einer Schlange, der Diesel war unerfreulich teuer. Ein Blick auf die App und ich bin weitergefahren und habe zwei Kilometer weiter an einem Autohof getankt – ohne Schlange und viel billiger. Studien gehen davon aus, dass die Verbraucher auf Basis der von der Markttransparenzstelle bereitgestellten Informationen immer häufiger bewusst zu den Zeiten tanken, zu denen die Preise niedriger sind. Das Instrument kommt an und wird genutzt.

Das Interview führte Bert Losse.

Quelle: Die WirtschaftsWoche vom 31.03.2017, Nr. 14, S. 36-37

PDF-Datei des Interviews:

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