"Syndici sollten den Dialog suchen"

unternehmensjurist: Herr Mundt, was sind die größten Herausforderungen für das Bundeskartellamt, wenn es die Konsequenzen durch das Sammeln, Auswerten und Nutzen von Daten für das Wettbewerbsrecht untersucht?

Mundt: Die große Frage ist, in jedem Einzelfall die Daten in ihrer Funktion als Wettbewerbsparameter richtig einzuordnen: Was sind das für Daten? Sind sie einzigartig, replizierbar, käuflich zu erwerben? Welche Rolle spielen sie in dem jeweiligen Geschäftsmodell? Social Media ist ja nur ein Teilaspekt. Inder Industrie 4.0 wird der Zugang zu Maschinendaten immer wichtiger. Die Entscheidung ist schwierig, weil die Bedeutung der Informationen in sehr verschiedenen Verwertungsformen zu beurteilen ist.

unternehmensjurist: Wie wirken sich diese Aktivitäten auf Unternehmender Digitalwirtschaft und Firmenmit traditionellen Geschäftsmodellen aus?

Mundt: Ich hoffe und gehe davon aus, dass die Folgen für alle Beteiligten gut sind. In vielen Branchen geht die Angst vor Disruption um, die jahrzehntelang profitable Geschäftsmodelle vom Markt verdrängt. Unsere Hauptaufgabe als Wettbewerbsbehörde ist es, Märkte offen zu halten, auch wenn einzelne Unternehmen über 90 Prozent Marktanteilbesitzen. Regulierung ist dafür zu statisch und zu langsam.
Das Wettbewerbsrecht liefert die richtigen Instrumente, um in der digitalen Welt, die sich rasend schnell verändert, Chancen für alle Marktteilnehmer zu erhalten, das Kippen eines Marktes zu verhindern und zugleich die Dynamik nicht zu sehr zu bremsen.

unternehmensjurist: Was ändert sich in der Praxis des Bundeskartellamtes durch die 9.GWB-Novelle?

Mundt: Wir erhoffen uns eine gesetzliche Klarstellung darüber, dass ein Markt im Sinne des Kartellrechts auch dann vorliegt, wenn keine Entgeltzahlung erfolgt. Das adressiert viele Bereiche der digitalen Wirtschaft, in denen Daten eine neue Währung darstellen. Auch wenn wir die wirtschaftliche und wettbewerbliche Bedeutung von Daten in der Praxis bereits berücksichtigt haben, schafft diese neue Regelung Rechtssicherheit.
In der Fusionskontrolle können wir künftig auch Übernahmen ab einem bestimmten Transaktionswert kontrollieren. Bislang sind ausschließlich die Umsätze der beteiligten Unternehmen ausschlaggebend für die Frage der Anmeldepflicht. Die Übernahme von Whatsapp durch Facebook für stattliche 19 Milliarden Dollar wäre beinahe nicht geprüft worden, weil die Umsätze von Whatsapp so gering waren. Außerdem werden die Kriterien zur Prüfung von Marktmacht um einige internetspezifische Kriterien ergänzt. Für unsere Praxis ist dies nicht wirklich neu, aber es ist gut, dass es jetzt gesetzlich festgelegt ist. Aber wir denken schon weiter: Können wir unsere Ermittlungstechniken weiter optimieren? Wie können wir dynamische Effekte besser in unsere Analysen, Prognosen und Instrumente integrieren? Wann sollten wir intervenieren, wann eher nicht?

unternehmensjurist: Welcher Handlungsbedarf entsteht für Unternehmensjuristen, wenn das Kartellrecht an das digitale Zeitalter angepasst wird?

Mundt: Sie müssen wie wir Schritt halten, fortwährend beobachten, Entwicklungen nachvollziehen und vorausdenken. Syndici haben den Vorteil, dass sie guten Einblick in die Geschäftsmodelle und die Produktentwicklung ihrer Unternehmen haben. Viele Fragen bei der Definition von Märkten ergeben sich infolge der Digitalisierung zum ersten Mal. An dieser Stelle sitzen Unternehmensjuristen und Wettbewerbsbehörden in einem Boot. Syndici sollten zu schwierigen Fragen den Dialogsuchen, durch gute Beobachtung und Austausch Erkenntnisse fördern, die einer allein nicht hat. Einen guten Überblick über das, was Kartellbehörden zu Daten und ihren Auswirkungen auf das Wettbewerbsrechtwichtig ist, liefert das gemeinsame Papier der französischen und deutschen Wettbewerbsbehörde. Dort finden sich sehr gute Anhaltspunkte und Prüfraster etwa für Wettbewerbsprobleme und Schadenstheorie, der sogenannten Theory of Harm.

unternehmsjurist: Mit der Reform des GWB soll das Bundeskartellamt mehr Befugnisse bekommen, um auch bei Verstößen gegen Daten- und Verbraucherschutz einzugreifen. Kritiker sagen, dadurch werde es sehr aufwendig, künftig die rechtliche Zulässigkeit von datenbasierten Geschäftsmodellen zu beurteilen. Was halten Sie von diesen Bedenken?

Mundt: Diese Kritik zeugt von einem falschen Verständnis der Gesetzgebungsinitiative. In der Diskussion sind nicht etwa neue Verbotsnormen, sondern lediglich ein neues, effektiveres aufsichtsrechtliches Instrument. Die Frage ist, ob der privatrechtlich organisierte Verbraucherschutz in der digitalen Welt nicht an gewisse Grenzen stößt. Wenn ein großer Player im Internet zum Beispiel gegen AGB-Recht, Preisauszeichnungs-vorschriften, Gewährleistungsrechte oder Datenschutz verstößt, ist davon oft eine sehr große Zahl von Verbrauchern betroffen. Die Zivilklage eines einzelnen Verbrauchers vermag eine solche Praxis aber nicht abzustellen. Deshalb halte ich es für sinnvoll, für solche Fälle dem Verbraucherschutz eine starke behördliche Durchsetzungskompetenz zur Seite zu stellen. Das gibt es in sehr vielen anderen Ländern bereits heute.

Das Interview führte Franziska Jandl.

Quelle: Ausgabe 2017#1 des Magazins "unternehmensjurist"

PDF-Datei des Interviews:

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