"Dürfen Molkereien ihre Milch bündeln?"

Wochenblatt: Die Milcherzeuger leiden unter niedrigen Milchpreisen. Unter anderem deshalb, weil ihre Marktpartner, die Molkereien, beim Lebensmitteleinzelhandel bzw. bei industriellen Großabnehmern nicht die Preise durchsetzen können, die wünschenswert oder nötig wären. Ist es in dieser Situation grundsätzlich möglich, das Angebot verschiedener Genossenschaften zu bündeln und gemeinsam zu vermarkten?

Mundt: Das kommt immer auf das genaue Vorhaben an. Man muss dabei zunächst einmal unterscheiden zwischen den allgemeinen Regeln des Kartellrechts und der Fusionskontrolle. Bei Kooperationen müssten wir uns konkret ansehen, inwieweit diese zu Wettbewerbsbeschränkungen führen und ob Ausnahmeregelungen greifen. Schon im allgemeinen Wettbewerbsrecht sind Kooperationsmöglichkeiten zur Steigerung der Effizienz der milchwirtschaftlichen Produktion möglich. Unternehmen können gerne an uns herantreten, wenn sie Kooperationen planen und sich unsicher sind, ob dies kartellrechtlich zulässig ist.

Wochenblatt: Was heißt das konkret? Es gibt Ja auch Ausnahmen für die Landwirtschaft.

Mundt: Ja, diese Ausnahmevorschriften finden sich in § 28 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und in § 5 des Agrarmarktstrukturgesetzes (AgrarMSG). Dabei geht es um landwirtschaftliche Kooperationen. Es wäre aus unserer Sicht wünschenswert, dass insbesondere die Milcherzeuger die stark ausgeweiteten Kooperationsmöglichkeiten aus dem Marktstrukturgesetz nicht nur nutzen, um gemeinsam über die Preissetzung zu verhandeln. Sinnvoll wäre das vor allem, um eine stärkere Stellung in der Wertschöpfungskette zu erlangen und so echte und nachhaltige Effizienzen für sich zu heben. Beispiele hierfür wären etwa der Aufbau einer gemeinsamen Erfassungslogistik oder die gemeinsame Produktion von pasteurisierter Milch oder Konzentraten, um auch weiter entfernte Molkereien beliefern zu können.

Wochenblatt: Diese Bestimmungen richten sich aber eigentlich direkt an Milch erzeugende landwirtschaftliche Betriebe. Welche Vorschriften greifen, wenn bereits bestehende Unternehmen, etwa Molkereigenossenschaften, fusionieren wollen?

Mundt: Wenn es nicht um Kooperationen, sondern um feste Zusammenschlüsse von Unternehmen geht, greifen gegebenenfalls die Regeln der Fusionskontrolle. Dann ist so ein Vorhaben beim Bundeskartellamt anmeldepflichtig, wenn ein Zusammenschlusstatbestand tatsächlich vorliegt und wenn die Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen überschreiten. Erst nach einer Freigabe durch uns darf der Zusammenschluss vollzogen werden. Zuletzt haben wir mehrere Fusionen im Bereich Molkereien freigegeben. Wir schauen uns dabei auch genau an, ob es auf den regionalen Märkten für Rohmilch noch genug Wettbewerb gibt. Die Konzentration im Bereich der Molkereien ist regional sehr unterschiedlich. ln Nord- und Ostdeutschland sowie in Rheinland-Pfalz existieren in bestimmten Bereichen nur noch sehr wenige Molkereien. In Süddeutschland ist die Situation anders, vor allem in Bayern arbeiten vergleichsweise viele Molkereien.

Wochenblatt: Welche Voraussetzungen müssen genau erfüllt sein, damit eine Bündelung des Angebotes zulässig ist und welche Vorschriften könnten eine Bündelung verhindern oder einschränken (Marktanteile für bestimmte Produkte oder Produktgruppen, Größe des Marktes usw.)?

Mundt: Nach allgemeinem Kartellrecht sind gemeinsame Vertriebsstellen häufig wettbewerbsbeschränkend und daher kartellrechtlich bedenklich. Die Privilegierung nach§ 5 AgrarMSG erlaubt Erzeugerorganisationen aber einen gemeinsamen Vertrieb. Allerdings gibt es klare Mengengrenzen für die Möglichkeit gemeinsamer Verhandlungen, unter anderem dürfen nicht mehr als 3,5 % der europaweiten und 33 % der nationalen Milchproduktion erfasst sein. Die Anerkennung als Erzeugerorganisation nach dem Marktstrukturgesetz erfolgt über die zuständigen Landesstellen.

Wochenblatt: Fallen denn nun auch Molkereigenossenschaften unter die Ausnahmevorschriften für Erzeugerorganisationen?

Mundt: Diese Frage ist unabhängig vom Einzelfall nicht ohne Weiteres zu beantworten.

Wochenblatt: Auf der anderen Seite des Tisches sitzen bei Kontraktverhandlungen die Einkäufer großer Handelsunternehmen, von denen vier über rund 85 % des gesamten deutschen Lebensmittelangebotes entscheiden. Die Fusionen im LEH wurden bisher (abgesehen von Tengelmann/Edeka) vom Bundeskartellamt immer "durchgewunken". Wie schafft man da "Waffengleichheit"?

Mundt: Die Marktmacht der großen Handelsketten ist ein Dauerthema für das Bundeskartellamt und wir befassen uns sehr intensiv mit den damit verbundenen Problemen für die Verbraucher und die Erzeuger. Es ist nicht richtig, dass wir alle Fusionen durchgewunken haben. Beispielsweise war schon vor einigen Jahren die Übernahme der Discount-Kette „Plus" durch Edeka nur unter strengen Bedingungen möglich. Zahlreiche Standorte mussten zuvor an Wettbewerber verkauft werden. Im vergangenen Jahr haben wir das Fusionsvorhaben zwischen Edeka und Kaiser's Tengelmann untersagt. Wettbewerblich haben wir hier der fortschreitenden Konzentration im LEH die Grenzen aufgezeigt. Die sich abzeichnende Ministererlaubnis stellt diese wettbewerbliche Bewertung nicht infrage. Der Minister beabsichtig aus anderen Gründen - namentlich der Sicherung von Arbeitsplätzen - die Übernahme zu erlauben und nimmt dabei auch eine weitere Konzentration im LEH in Kauf.

Wochenblatt: Es trifft aber zu, dass Ihre Behörde die Konzentration im LEH insgesamt äußerst kritisch sieht?

Mundt: Ja. Der Lebensmitteleinzelhandel ist auch über die Fusionskontrolle hinaus m den letzten Jahren ein wichtiges Thema für das Bundeskartellamt gewesen. Wir haben uns in einer Sektoruntersuchung den Markt genau angesehen. Edeka, Rewe, Aldi sowie die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kauf1and stehen für rund 85 % des Marktes. Die großen Handelskonzerne haben bereits jetzt einen gravierenden Vorsprung gegenüber ihren mittelständischen Konkurrenten und genießen strukturelle Vorteile, die sie in den Verhandlungen mit den Lieferanten nutzen können. Unsere Sektoruntersuchung hat gezeigt, dass es erforderlich ist, einer weiteren Verschlechterung der Wettbewerbsverhältnisse entgegenzuwirken. Wir haben auch ein Verfahren zum Thema "Hochzeitsrabatte" geführt, mit dem wir uns jedoch kürzlich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf nicht durchsetzen konnten. Im Jahr 2009 hatte Edeka
nach der Übernahme von Plus von ihren Lieferanten Konditionen-Verbesserungen verlangt, die aus Sicht des Bundeskartellamtes das Maß des kartellrechtlich Zulässigen deutlich überschritten. Wir befanden, dass Edeka über eine so starke Marktstellung auf den untersuchten Beschaffungsmärkten verfügt, dass Lieferanten von ihr abhängig sind. Nach der Fusion hat Edeka durch die Kombination von rückwirkenden Forderungen das Herausgreifen von besseren Einzelkonditionen von Plus und die unbegründete Forderung von Sonderzahlungen aus unserer Sicht gegen das sogenannte "Anzapfverbot" verstoßen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf ist in seiner Entscheidung zu einem anderen Ergebnis gelangt. Wir haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt.

Wochenblatt: Die Milchbauern sind auf einen Verarbeitungs- bzw. Vermarktungspartner angewiesen, um Ihr Produkt Rohmilch überhaupt an den Markt bringen zu können. In vielen Regionen haben sie aber entweder nur eine theoretische oder gar keine Chance mehr, einen alternativen Vermarkter zu finden. Wie beurteilt das Kartellamt diese Situation?

Mundt: Die Lieferbeziehungen zwischen Molkereien und Landwirten weisen einige problematische Aspekte auf, auf die wir bereits im Endbericht zur Sektoruntersuchung Milch im Jahr 2012 hingewiesen haben. Insbesondere die weite Verbreitung der Andienungspflicht in Verbindung mit langen Vertragslaufzeiten und und Referenzpreissystemen bergen die Gefahr, dass der Wettbewerb im Bereich der Rohmilch-Erfassung auch zulasten der landwirtschaftlichen Erzeuger gedämpft wird. Durch das Auslaufen der Milchquote zum 1. April 2015 haben diese Aspekte zusätzliche Bedeutung erlangt. Mit der Milchquote ist die bisherige staatliche Mengensteuerung entfallen. Die im Rohmilchbereich üblichen Lieferbedingungen - insbesondere die als Spiegelbild zur Andienungspflicht bestehende Abnahmepflicht der Molkereien - verhindern derzeit, dass eine wirksame Mengensteuerung durch den Markt an die Stelle der gesetzlichen Milchquote treten kann. In Anknüpfung an unsere bereits erwähnte Sektoruntersuchung können die Andienungs- und Abnahmepflichten sowie die Vertragslaufzeiten zwischen Erzeugern und Molkereien, einschließlich der häufig langen Kündigungsfristen, und der Abbau etwaiger sonstiger Hindernisse beim Wechsel der Molkerei näheruntersucht werden.

Das Interview führte Anselm Richard.

Quelle: Wochenblatt für Landwirtschaft & Landleben

PDF-Datei des Interviews:

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