"Konzentration trifft jeden Verbraucher"

Neue Westfälische: Herr Mundt, für Sie ist Wettbewerb zentraler Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Aber was nützt ein Bundeskartellamt im Edeka-Streit, wenn Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Wettbewerbsbehörde einfach übergeht und die Fusion der Supermarktbetreiber Edeka und Kaiser’s Tengelmann per Ministererlaubnis zulassen will?

ANDREAS MUNDT: Wir haben in Deutschland sozusagen ein zweigeteiltes System bei der Prüfung von Fusionen. Wir prüfen als Behörde, ob es zu einer Behinderung des Wettbewerbs kommt. Im konkreten Fall etwa, ob die Verbraucher bei einer Fusion der beiden Lebensmitteleinzelhändler noch genügend Auswahl haben und ob es für die Lieferanten genug Ausweichmöglichkeiten gibt. Der Bundeswirtschaftsminister prüft hingegen andere gesellschaftspolitische Ziele. In diesem Fall beabsichtigt Minister Gabriel, den Erhalt der rund 16.000 Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann zur Auflage zu machen. Dies ist eine politische Frage.

NW: Und dann kann die Fusion gegen Ihr Veto umgesetzt werden?

MUNDT: Der Wirtschaftsminister hat die Möglichkeit, unser Veto zu überstimmen, wenn „die gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ die Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen oder der Zusammenschluss durch ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ gerechtfertigt ist. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als würde damit unsere unabhängige Entscheidungsfindung beeinträchtigt. Aber wir sehen in dieser Zweiteilung eher eine Stärkung unserer Unabhängigkeit. Unsere ausschließlich wettbewerbliche Entscheidung ist keinen politischen Einflüssen  ausgesetzt. Ministererlaubnisse werden nur sehr selten erteilt. Seit 1973 gab es nur acht erfolgreiche Anträge.

NW: Welche wettbewerblichen Bedenken haben Sie denn in diesem Fall?

MUNDT: Im Lebensmitteleinzelhandel gibt es eine starke Konzentration. Das trifft jeden Verbraucher. 1999 hatten wir bundesweit noch acht große Lebensmittelhändler mit 70 Prozent Marktanteil. 2015 waren es noch vier Unternehmen – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland – mit 85 Prozent Marktanteil. Mit Kaiser’s Tengelmann wird der größte der verbliebenen kleineren Wettbewerber aufgekauft, der teils sehr attraktive Verkaufsflächen in Innenstädten hat. Neue Flächen in solchen Lagen sind wegen des Planungsrechtes anderweitig kaum zu erschließen.

NW: Ist das das einzige Problem?

MUNDT: Wir betrachten absatzseitig – also im Verhältnis zu den Verbrauchern - regionale Märkte, denn kein Verbraucher fährt zum Kauf einer Tüte Milch von Berlin nach Hamburg. Regional sind die Marktanteile zum Teil sehr hoch. In fünf Bezirken von Berlin bekäme Edeka mit der Übernahme von Kaiser’s Tengelmann einen Marktanteil von über 40 Prozent. In München-Neuhausen hätten Edeka und Rewe  einen Marktanteil von 85 bis 90 Prozent – da haben Sie dann als Verbraucher nur noch die Wahl zwischen diesen beiden Ketten. Und auch für die Lieferanten, zum Beispiel für regionale Erzeuger, fällt  ein wichtiges Unternehmen weg. Kaiser’s Tengelmann gehörte bisher einer Einkaufskooperation kleinerer Mittelständler an, die nun geschwächt wird.

NW: Der Edeka-Konkurrent Rewe droht mit einer Klage gegen die Ministererlaubnis. Was passiert dann?

MUNDT: Dann wird es kompliziert. Erst würde das Oberlandesgericht Düsseldorf den Fall überprüfen, wie einst bei der Fusion von Eon und Ruhrgas, womöglich anschließend noch der Bundesgerichtshof.   Damals kam es zu einem Vergleich und die Klagen wurden zurückgezogen.

NW: Streit gibt es auch zwischen Markenherstellern und Onlinehändlern. So kritisiert der ostwestfälische Designmöbelhersteller COR, dass der Onlinehändler Reuter seine Ware im Internet verramscht und beliefert Reuter nicht mehr. Der droht eine Schadenersatzklage in Millionenhöhe wegen entgangenen Gewinns an. Wie bewerten Sie das?

MUNDT: Dies ist ein schwebendes Zivilverfahren, daher kann ich mich zu dem Fall selbst nicht äußern. Es kann viele Gründe geben, warum Hersteller die Beziehung zu Händlern einstellen. Ganz grundsätzlich gilt aber, dass Händler die Preise frei setzen dürfen. Hersteller dürfen Händlern nur eine unverbindliche Preisempfehlung geben.

NW: Aber viele Unternehmen sehen Onlinehändler wegen ihrer geringeren Kosten im Vorteil.

MUNDT: Die Kosten werden oft unterschätzt. Onlinehändler müssen neben einer Website auch für Logistik, Zahlungsabwicklung und Belieferung sorgen. Aber in der Tat, im Online-Handel muss sich das Verhältnis zwischen den Herstellern und den Händlern erst noch sortieren. Aber bitte  ohne dabei den Wettbewerb zu beschränken. Wir haben Verfahren gegen Adidas und ASICS wegen Beschränkungen des Online-Vertriebs geführt. Noch sind nicht alle Fragen abschließend geklärt. Große Hersteller haben oft eigene Online-Shops, daneben gibt es einige wenige etablierte Internethändler. Was ist aber, wenn ein kleiner Händler in der Fußgängerzone seine Produkte zusätzlich auch im Internet verkaufen möchte? Ist er dann nicht auf Preissuchmaschinen und Online-Marktplätze angewiesen? Viele Hersteller wollen das aber nicht zulassen. Der Handelsverband empfiehlt stationären Händlern sogar, ihre Ware zusätzlich über Online-Marktplätze zu verkaufen, um so den Umsatz zu erhöhen. Das geht aber nur, wenn dem Händler bestimmte Freiheiten eingeräumt bleiben. Für die Details müssen wir aber noch Gerichtsurteile abwarten.

NW: Auch Verbraucher vermissen Wettbewerb und vermuten illegale Absprachen bei Benzinpreisen.

MUNDT: Wir haben bislang keine Absprachen feststellen können. Was wir aber gesehen haben und immer noch beobachten ist ein sogenanntes Parallelverhalten. Einer geht mit den Preisen hoch und die anderen ziehen nach. Die Tankstellenbetreiber hatten schon immer eine minutiöse Übersicht über die Preise ihrer Konkurrenz. Durch die Markttransparenzstelle für Kraftfahrtstoffe haben wir Waffengleichheit hergestellt. Mit den Tankstellen-Apps kennen auch Verbraucher die Preise sehr genau. Damit lassen sich innerhalb eines Tages 15 bis 20 Cent pro Liter gegenüber der teuersten Tankstelle in der Stadt sparen. Selbst wer immer dieselbe Tankstelle ansteuert, kann bis zu 10 Cent sparen, wenn er die günstigste Zeit nutzt. In der Regel ist dies zwischen 18 und 20 Uhr. Verbraucher können so einen gewissen Druck auf die Anbieter ausüben, wettbewerbskonforme Preise zu setzen.

Das Interview führte Andrea Frühauf.

Quelle: Neue Westfälische.

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