"Andienungspflicht im Visier"

DLZ: Herr Mundt, müssen neben der DMK GmbH und DMK eG im angekündigten Verwaltungsverfahren auch weitere genossenschaftliche und private Molkereien ihre Lieferbedingungen gegenüber dem Bundeskartellamt offenlegen?

Andreas Mundt: Wir werden die Lieferbedingungen zwischen Molkereien und den Erzeugern umfassend ermitteln. Das kürzlich eingeleitete Verfahren gegen DMK ist ein Pilotverfahren. Im Rahmen der Ermittlungen werden wir sicher Auskunftsbeschlüsse an alle Molkereien versenden. Abhängig von den Ergebnissen der Ermittlungen werden wir auch weitere Verfahren einleiten.

DLZ: Ist noch dieses Jahr mit ersten Ergebnissen des Verfahrens zu rechnen?

Andreas Mundt: Wir werden uns natürlich bemühen, zügig zu ermitteln. Der weitere Verfahrensverlauf hängt auch von der Kooperationsbereitschaft der Beteiligten ab.

DLZ: Ihnen ist vor allem die Pflicht der Landwirte, ihre gesamte erzeugte Rohmilch an die Molkerei liefern zu müssen (so genannte Andienungspflicht), ein Dorn im Auge. Könnte diese Pflicht künftig in den Lieferverträgen aufgeweicht oder gar verboten werden?

Andreas Mundt: Es handelt sich um ein ergebnisoffenes, laufendes Verfahren. Zunächst einmal müssen wir sorgfältig ermitteln und bewerten, welche wettbewerblichen Auswirkungen die verschiedenen Lieferbedingungen haben und ob sie kartellrechtlich bedenklich sind.

DLZ: Müssen Mitglieder von Genossenschaften beim Wegfall der Andienungspflicht künftig damit rechnen, dass die Milchkaufverträge kündigt werden und keine Milch abgeholt wird?

Andreas Mundt: Wir kennen den Milchmarkt sehr gut und sind uns natürlich vollkommen bewusst, dass Rohmilch nach zwei, spätestens drei Tagen verarbeitet werden muss. Letztlich muss jede Ausgestaltung der Vertragsbedingungen sicherstellen, dass Erzeuger auch in Krisenzeiten nicht ohne Abnehmer dastehen.

DLZ: Bietet die Andienungs- bzw. Abnahmepflicht gerade in Zeiten des Überangebotes an Rohmilch nicht auch Absatzsicherheit für Landwirte?

Andreas Mundt: Es gibt viele Möglichkeiten, innerhalb und außerhalb einer Genossenschaft, die Sicherheit für die Erzeuger zu gewährleisten. Insbesondere Erzeugergemeinschaften können zu einer Risikominimierung beitragen. Wir stehen gerade am Beginn des Verfahrens und wir werden eine breite Diskussion mit den Marktteilnehmern führen, um zu sachgerechten Lösung zu kommen, die die Interessen aller Beteiligten zu einem vernünftigen Ausgleich bringt.

DLZ: Welche Vorteile sehen Sie für Milcherzeuger, wenn Molkereien auf die Andienungspflicht verzichten?

Andreas Mundt: Andere Modelle könnten vielleicht dazu beitragen, dass die Betriebe in die Lage versetzt werden, frühzeitig auf Marktschwankungen zu reagieren. Aber noch einmal, es handelt sich um ein laufendes Verfahren, dessen Ausgang völlig offen ist.

DLZ: Glauben Sie, dass über den Markt eine wirksame Mengensteuerung erfolgt und Milchpreiskrisen wie derzeit vermieden werden, wenn Molkereien in Deutschland feste Mengenvereinbarungen mit Milcherzeugern abschließen?

Andreas Mundt: Ohne eine wirksame Mengensteuerung wird der Milchmarkt auch in Zukunft nicht wettbewerblich funktionieren. Die staatliche Steuerung ist mit der Milchquote aufgegeben worden, jetzt wäre eigentlich der Markt gefordert. Die Mengensteuerung durch den Markt kann aber natürlich nur dann wirken, wenn die Vertragsbedingungen dies erlauben. Dies wird unter anderem Gegenstand unseres Verfahrens sein. Sicher können allein dadurch Milchpreiskrisen wie im Moment nicht zuverlässig vermieden werden. Wie viele Notfallmaßnahmen der liberalisierte Milchmarkt noch braucht, muss letztlich die Agrarpolitik entscheiden. Das ist kein kartellrechtliches Thema.

DLZ: Lange Laufzeiten bieten für Milcherzeuger vor allem in Regionen mit niedriger Molkereidichte oftmals eine größere Absatzsicherheit. Glauben Sie, dass bei kurzen Vertragslaufzeiten auch entfernt liegende Molkereien in großen Erfassungsgebieten wie bei DMK leichter die Milch abholen könnten?

Andreas Mundt: Ganz allgemein sind die Landwirte durch lange Vertragslaufzeiten und lange Kündigungsfristen wenig flexibel und können auf Veränderungen im Markt kaum reagieren. Richtig ist auch, dass vor allem Erzeugergemeinschaften – gerade wenn sie zum Beispiel in eine gemeinsame Logistik oder Lagerung investieren – ihre Erfassungsradien sicher ausweiten könnten.

DLZ: Warum überprüft das Bundeskartellamt auch Preisklauseln, die sich nach Referenzregionen richten? In der Sektoruntersuchung Milch hatte ihre Behörde ja klargemacht, dass unter bestimmen Bedingungen Referenzpreissysteme möglich seien?

Andreas Mundt: Die Bedingungen für erlaubte Referenzpreissysteme müssen gegeben sein. Wir haben in unserer Sektoruntersuchung Milch darauf hingewiesen, dass die Transparenz auch den Lebensmitteleinzelhändlern in den Verhandlungen nutzt. Referenzpreissystemen, bei denen Preisänderung einer Molkerei umgehend entsprechende Preisänderungen bei anderen Molkereien nach sich ziehen, könnten dazu führen, dass Verhandlungen, die die individuelle Wertschöpfung und Vertriebsstärke der Molkerei bei der Auszahlungspraxis gegenüber den Erzeugern berücksichtigen, deshalb ausbleiben. Das untersuchen wir jetzt. Untersuchen werden wir in diesem Zusammenhang auch Praktiken, wonach die Landwirte die Auszahlungspreise erst nachträglich erhalten. Das wirtschaftliche Risiko trägt hier einseitig der Landwirt.

DLZ: Halten Sie es für besser, wenn Molkereien und Vertragspartner für eine bestimmte Zeit Festpreise vereinbaren?

Andreas Mundt: Festpreise könnten für einzelne Erzeuger eine interessante Alternative sein. Möglicherweise sind Molkereien auch besser geeignet als der einzelne Erzeuger, die dafür nötigen Absicherungsinstrumente zu handhaben. Letztlich muss das aber der Markt entscheiden. Eine gewisse Pluralität der Vertragsmodelle könnte sicherlich nicht schaden.

DLZ: Werden Sie sich auch auf EU-Ebene für eine Lockerung der Andienungspflichten und kürzere Laufzeiten einsetzen? Sonst wären ja deutsche Molkereien bei einer einseitigen Lockerung benachteiligt.

Andreas Mundt: Wir stehen mit unseren Kollegen auf EU-Ebene in Kontakt. Die Bereitschaft, Verbesserungen für Milchbauern durchzusetzen, ist im Moment auch in anderen Ländern Europas sehr groß. Man muss auch sehen, dass geänderte Lieferbedingungen möglicherweise nicht nur Risiken für die Molkereien bringen, sondern auch Chancen, wie eine gewisse Anpassung der Milchanlieferung nach Marktlage.

DLZ: Drohen den Molkereien Bußgelder, wenn sie Vertragsbedingungen verwenden, die nicht wettbewerbskonform sind?

Andreas Mundt: Nein, in diesem Verfahren geht es nicht um Bußgelder sondern allein um das Ziel, Verbesserungen im Markt durchzusetzen.

DLZ: Wenn keine Bußgelder drohen, welche rechtliche Handhabe hat das Bundeskartellamt, falls Molkereien ihre Lieferbedingungen ändern müssen?

Andreas Mundt: Ganz generell gibt es in derartigen Verfahren grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Mitunter sind die Unternehmen kooperativ. Dann vereinbaren wir, wie die Geschäftsbedingungen für die Zukunft in wettbewerskonformer Weise ausgestaltet werden können. Möglich ist aber auch eine entsprechende Verfügung, wenn wir uns nicht einigen. Natürlich steht den Unternehmen in diesem Fall auch der Rechtsweg offen.

Das Interview führte Josef Koch.

Quelle: dlz agrarmagazin Juni 2016.

PDF-Datei des Interviews:

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