"Unsere Fusionskontrolle sichert Wettbewerb und Arbeitsplätze"

FAZ: Herr Mundt, das Kartellamt hat sein Veto gegen die Übernahme von Tengelmann durch Edeka angedroht. Das hat Ihnen viel Kritik eingebracht. Hat sich das Kartellamt verrannt?

Mundt: Von den einen wird Kritik geübt, von den anderen wird volle Unterstützung für unsere Linie geäußert. Das ist für uns nichts Neues. Ein ehemaliger Präsident der amerikanischen Wettbewerbsbehörde hatte ein Schild über seinem Schreibtisch, darauf stand: In God we trust, all others provide data. Das ist mein Leitspruch, und danach treffen wir auch in diesem Fall unsere Entscheidung, auf der Grundlage von Marktdaten und Analysen.

FAZ: Tengelmann kommt auf einen Marktanteil von 0,6 Prozent. Das kann doch für den Wettbewerb nicht kriegsentscheidend sein?

Mundt: Ich werde hier und heute keine Aussagen zu unseren Erkenntnissen aus dem laufenden Verfahren machen. Aber es liegt doch auf der Hand, dass jemand der Lebensmittel einkauft, dafür nicht quer durch Deutschland fährt. Deshalb schauen wir uns bei Fusionen im Lebensmitteleinzelhandel sehr genau an, welche Folgen sich auf den regionalen Märkten ergeben, wie sich vor Ort die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher und der Wettbewerb verändern.

FAZ: Ihnen wir vorgehalten, dabei Aldi und Lidl auszublenden.

Mundt: Für die Fusionskontrolle gilt grundsätzlich, dass wir den Gesamtmarkt stets in all seinen Facetten betrachten. Und zum Gesamtmarkt Lebensmitteleinzelhandel gehören Vollsortimenter ebenso wie Softdiscounter und Harddiscounter oder Biomärkte. Unabhängig davon kann aber der Wettbewerbsdruck, der von einem Vollsortimenter ausgeht, ein anderer sein, als der eines Discounters.

FAZ: Warum?

Mundt: Discounter haben zweifellos eine preisdisziplinierende Wirkung. Nur sind solche pauschalen Aussagen wenig hilfreich. Wir würden unsere Arbeit nicht ordentlich machen, wenn wir ignorieren würden, dass die Vertriebskonzepte bei aller Konkurrenz auch große Unterschiede im Warensortiment aufweisen. Hinzu kommt - das wissen wir aus unserer Sektoruntersuchung - die starke Position der Händler gegenüber den Lieferanten, insbesondere bei den Markenprodukten.

FAZ: Edeka und Tengelmann sehen viele Arbeitsplätze in Gefahr. Muss das Kartellamt notfalls den Verlust von Stellen in Kauf nehmen?

Mundt: Ich kann mich an keinen Fall erinnern, in dem eine Untersagung der tatsächliche Grund dafür war, dass Stellen abgebaut wurden. Es ist doch genau andersherum. Sichere Arbeitsplätze gibt es nur in dauerhaft wettbewerbsfähigen Unternehmen. Und weil wir mit der Fusionskontrolle dafür sorgen, dass der Wettbewerb intakt bleibt und sich die Unternehmen anstrengen müssen, sichern wir Arbeitsplätze.

FAZ: Standortpolitische Fragen spielen keine Rolle?

Mundt: Natürlich bewegen wir uns nicht in einem völlig politikfreien Raum. Aber der Gesetzgeber hat solch allgemeinwirtschaftliche Erwägungen ganz bewusst aus der behördlichen Fusionskontrolle ausgeklammert.

FAZ: Also bleibt dann nur die Ministererlaubnis, um das Kartellamt gegebenenfalls zu korrigieren?

Mundt: Da wird nicht korrigiert. Sondern es treten in seltenen, besonders gelagerten Einzelfällen ausnahmsweise andere Aspekte als der Wettbewerbsschutz in den Vordergrund. Eine Wettbewerbsbehörde versteht etwas von Wettbewerb, ein Wirtschaftsminister etwas von gesamtwirtschaftlichen Erwägungen und Zielen. Das ist eine gute Aufgabenteilung.

FAZ: Legt das Kartellamt Fusionen zu hohe Hürden in den Weg?

Mundt: Die Statistik zeigt ein anderes Bild. 2014 hatten wir bei mehr als 1000 Anmeldungen eine einzige Untersagung, in den Jahren zuvor war die Quote ähnlich niedrig.

FAZ: Viele Unternehmen probieren es aber angeblich gar nicht erst, weil sie ein Nein erwarten?

Mundt: Solche Unternehmen kann ich nur zu einem Vorgespräch einladen. Wir wünschen uns das sogar. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nicht selten angebliche Bedenken des Kartellamtes vorgeschoben werden. Bei uns wird eine Menge abgeladen.

FAZ: Auf einer Kartellkonferenz in Berlin geht es diese Woche um Globalisierung und Digitalisierung. Passen die Maßstäbe in der Fusionskontrolle noch?

Mundt: Richtig ist, dass die Digitalisierung die Grenzen zwischen den Märkten verschwimmen lässt. Das macht die Fusionskontrolle nicht leichter. Aber das Instrument passt nach wie vor. Konvergenz wird auch gern immer dann überzeichnet, wenn es den eigenen Interessen dient.

FAZ: Ein Bespiel bitte?

Mundt: Als wir für die Programmzeitschriften von Springer einen eigenen Print-Markt definierten, wurde uns gleich wieder vorgeworfen, die neuen Märkte nicht zu verstehen. Natürlich gibt es hier zunehmend Konkurrenz durch digitale Anbieter und Gratiszeitschriften. Aber zum einen sind die Anbieter der alternativen Programmführer oft dieselben wie die Anbieter von Programmzeitschriften. Und außerdem sind die klassischen Programmzeitschriften für die Werbewirtschaft immer noch ein ganz spezifischer Markt, weil es keine andere Zeitung gibt, die vierzehn Tage lang auf dem Wohnzimmertisch liegt, so dass die Leser immer wieder auf dieselben Anzeigen stoßen. Und das in allen Altersgruppen, von der Oma bis zur zwölfjährigen Enkelin, die wissen will, wann Germanys Next Top Model anfängt.

FAZ: Besonders laute Kritik an der Fusionskontrolle kommt von der Telekommunikationsbranche, die nach einer Konsolidierung ruft?

Mundt: Diese Konsolidierung ist doch längst in vollem Gange, so wie im Mobilfunk, wo wir es jetzt auch in Deutschland nur noch mit drei Anbietern zu tun haben. Was sollen wir denn da noch lockern?

FAZ: In den Vereinigten Staaten teilen sich vier überregionale Mobilfunker den Markt, in Europa rangeln 200 Anbieter um Kunden und Marktanteile. Ist das kein Argument?

Mundt: Wenn man sich diese 200 Unternehmen näher anschaut, stößt man dahinter immer wieder auf die gleichen Namen: die Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica und Orange, vielleicht noch BT. Da bleiben auch nicht so sehr viele übrig.

FAZ: Auch die amerikanischen Internetkonzerne graben den europäischen Telekom-Anbietern das Wasser ab. Können die Wettbewerbsbehörden das ignorieren?

Mundt: Die Wettbewerbsbehörden sind doch längst aktiv. Wir haben zum Beispiel Verfahren gegen Amazon Marketplace und Hotelplattformen geführt, wir befassen uns mit den Rahmenbedingungen für den Online-Handel, die EU-Kommission führt ihr Verfahren gegen Google. Gefragt ist aber auch der Gesetzgeber, der für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen muss. Unternehmen wie Whatsapp und Google sammeln an Daten, was sie wollen, wie viel sie wollen und wofür sie wollen. Aber die Telekommunikation unterliegt den strengen Regeln des Datenschutzes. Ich will hier nicht einem Abbau des Datenschutzes das Wort reden, aber solche Widersprüche ziehen sich durch viele Märkte. Und wenn wir nicht für faire vergleichbare Rahmenbedingungen sorgen, kommen Unternehmen aus der analogen Welt unter die Räder.

FAZ: Meinen Sie damit Deregulierung, oder sollen sich die neuen Anbieter an die alten Regeln halten?

Mundt: Das hat die Politik zu entscheiden – mitunter vielleicht in Richtung eines gesunden Mittelweges. Dass die Politik nicht machtlos ist, zeigt der Online-Handel. Wer im Internet bestellt, kann die Produkte innerhalb bestimmter Fristen ohne Begründung zurücksenden, weil der Gesetzgeber E-Commerce wie ein Haustürgeschäft behandelt.

FAZ: Brauchen die Wettbewerbsbehörden andere Instrumente, um Internetgiganten wie Google beizukommen?

Mundt: Vieles wird davon abhängen, wie das EU-Verfahren ausgeht. Das Thema ist komplex und vielschichtig. Vielleicht brauchen wir tatsächlich neue Werkzeuge und Stellschrauben, die es erlauben, schneller zu werden. Was bedeutet Marktbeherrschung in der digitalen Welt? Benötigen wir dafür eine gesetzliche Definition? In welchem Ausmaß darf Google eigene Dienste in den Suchanzeigen bevorzugen?

FAZ: Die deutsche und die französische Regierung haben eine Regulierung von marktbeherrschenden Internetplattformen ins Gespräch gebracht. Ist das ein Weg?

Mundt: Natürlich muss man sich fragen, ob die Position der großen Internetunternehmen aufgrund ihre Datenschatzes noch angreifbar ist. Einerseits müssen wir Märkte offenhalten und Missbrauch sowie Marktabschottung verhindern, andererseits dürfen wir Innovationen nicht abwürgen, indem wir zu sehr oder an der falschen Stelle in den Markt eingreifen. Das ist ein schwieriger Spagat für die Wettbewerbsbehörden wie für den Gesetzgeber. Wir können wohl kaum in den Suchalgorithmus von Google selbst eingreifen.

FAZ: Wie beurteilen Sie die starke Marktposition von Googles Android bei den mobilen Betriebssystemen?

Mundt: Hier gibt es tatsächlich eine so starke Konzentration, dass man den Markt genau im Auge behalten muss. Ganz wichtig ist, dass wir die Betriebssysteme durchlässig machen. Es muss viel einfacher werden, von IOS oder Windows zu Android zu wechseln und umgekehrt. Das ist die Hauptaufgabe im Internet: Auch die Starken müssen angreifbar bleiben.

Das Gespräch führte Helmut Bünder.

Quelle: FAZ vom 25.3.2015.

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