"Der Verbraucher wäre durch die Fusion stark eingeschränkt worden"

Creditreform: Mit dem Veto gegen den Edeka-Einstieg bei Kaiser’s und Tengelmann hat sich das Kartellamt nicht nur Freunde gemacht. Tengelmann-Chef Haub warnt, dass die Entscheidung das Aus für sein Unternehmen und den Verlust vieler Jobs bedeuten könnte. Ist das Kartellamt ein Arbeitsplatz-Vernichter?

Mundt: Als Wettbewerbsbehörde konzentrieren wir uns schon aufgrund unserer gesetzlichen Aufgabe darauf, die Folgen einer Fusion eben für den Wettbewerb zu prüfen. Das Arbeitsplatzargument zeigt uns die Tragweite der wettbewerblichen Entscheidung auf. Natürlich sind wir hierfür sensibel, aber als rechtliches Argument ist es dem Ministererlaubnisverfahren vorbehalten. Außerdem haben wir es hier doch mit einer anderen Situation zu tun als etwa im Fall Schlecker, wo nach der Insolvenz kein Interesse an dem Filialnetz bestand. Bei Kaiser’s Tengelmann haben wir es mit wertigen Niederlassungen zu tun, die für andere interessant sein können.

Creditreform: Aber Tengelmann wird mit der Entscheidung im Regen stehen gelassen. Ein anderer Investor ist kaum in Sicht. Im Zweifel kauft Edeka oder ein anderer attraktive Standorte leer stehend. Dagegen kann das Kartellamt nichts machen.

Mundt: Das ist erst einmal hypothetisch. Es gibt Interessenten – zumindest für Teile des Netzes. Auch Edeka hätte 150 bis 180 Märkte übernehmen können. Wir wissen natürlich nicht, wie ernsthaft diese Interessenten und wie belastbar ihre Pläne sind. Aber namhafte Unternehmensvertreter haben sich auch bei uns gemeldet und ihr Interesse bekundet.

Creditreform: Tengelmann hat im LEH nur 0,6 Prozent Marktanteil. Wenn dieser Anteil an einen der Marktführer geht, sollte das hinsichtlich des Wettbewerbs eigentlich keinen großen Unterschied machen.

Mundt: Wir wissen nicht, wo die 0,6 Prozent herkommen. Unseren Ermittlungen entspricht das nicht. Aber die Zahl hat ohnehin keine Bedeutung. Im LEH geht es nicht um bundesweite Märkte. Ich weiß nicht, wo Sie wohnen…

Creditreform: …Berlin

Mundt: Berlin ist ein gutes Beispiel. Sie fahren ja nicht von Kreuzberg nach Charlottenburg, um eine Tüte Milch zu kaufen. Es geht um regionale Märkte und die Auswahl vor Ort. Der bundesweite Anteil ist auf den Absatzmärkten nicht aussagefähig. Das Vorhaben hätte zu einer erheblichen Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen auf zahlreichen schon stark konzentrierten regionalen Märkten und Stadtbezirken im Großraum Berlin, in München und Oberbayern sowie in Nordrhein-Westfalen geführt. Die Auswahl- und Ausweichmöglichkeiten der Verbraucher vor Ort wären dadurch stark eingeschränkt worden.

Creditreform: Die Konzentration im LEH hat auch bundesweit zugenommen. Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe haben zusammen 85 Prozent Marktanteil. Für einen Wettbewerbshüter müsste das doch ein ziemlicher Alptraum sein.

Mundt: Wir haben über die Jahre einen gewissen Konzentrationsprozess gesehen. Ende der neunziger Jahre gab es in Deutschland noch sieben Handelsgruppen mit 70 Prozent Marktanteil, heute sind es vier mit 85 Prozent. Das ist ein Markt, den wir als konzentriert bezeichnen und dem wir entsprechend Aufmerksamkeit widmen.

Creditreform: Man wirft Ihrer Behörde vor, mit der aktuellen Entscheidung nur Versäumtes nachholen zu wollen. Das Kartellamt habe der Konzentration im LEH zu lange tatenlos zugeschaut.

Mundt: Wir hatten Verfahren in der Vergangenheit, etwa bei der Übernahme der Plus-Märkte durch Edeka 2008. Da sind wir ähnlich vorgegangen, haben uns die Absatzmärkte angeschaut und bewertet, ob die Unternehmen auf den Regionalmärkten eine marktbeherrschende Stellung haben. Wir haben diese Zusammenschlüsse bereits nur unter strengen und weitreichenden Auflagen freigegeben. Untersagen können wir ein Vorhaben aber nur, wenn die gesetzlichen Kriterien erfüllt sind. Wenn das nicht der Fall ist, können wir unsere Entscheidung nicht etwa darauf stützen, dass “wir kein gutes Gefühl haben”.

Creditreform: Mittlerweile sehen Sie den Markt kritischer?

Mundt: Jeder Fall muss individuell überprüft werden. Wir sind eine rechtsanwendende Behörde und müssen mit unseren Fällen unter Umständen auch vor dem Oberlandesgericht oder dem Bundesgerichtshof bestehen. Da können sie nicht nach Gefühl agieren. Wenn Sie den Handel fragen, sagen die Ihnen ohnehin was völlig anderes. Zum Beispiel, wie lebhaft der Wettbewerb und wie gering die Margen sind.

Creditreform: Sie halten den LEH für einen wettbewerbsintensiven Markt?

Mundt: Das sagen nicht wir, das sagen die Händler. Wir sagen, es ist ein konzentrierter Markt. Bei einer Reihe von Produkten besteht sicher Wettbewerb, vor allem bei Eckprodukten wie Milch, Butter und ähnlichem. Aber es ist schwer zu sagen, wie viel Wettbewerb bei Produkten herrscht, bei denen die Verbraucher wenig über die Preise informiert sind. Wissen Sie was ein Tütchen Pfeffer kostet?

Creditreform: Ich habe keine Ahnung.

Mundt: Sehen Sie. Mit anderen Worten: Wenn Sie im Supermarkt Pfeffer für 3,59 Euro sehen, haben Sie als Verbraucher meist keine Vorstellung, ob das teuer oder preiswert ist.

Creditreform: Schauen wir auf die Beschaffungsmärkte. Man kann den Eindruck haben, dass Hersteller, die mit Preisabsprachen erwischt werden, Millionenstrafen erhalten, das Einkaufs-Oligopol der Handelskonzerne aber unangetastet bleibt.

Mundt: Unangetastet bleiben sie nicht. Wir schauen sehr bewusst auf beide Seiten. Wir führen seit Jahren zum Beispiel das sogenannte Vertikalverfahren. Da geht es um den Vorwurf der Absprachen zwischen Herstellern und Händlern über Endverkaufspreise, das Thema der vertikalen Preisbindung. Da sind nicht nur Hersteller, sondern auch große Teile des Handels im Fokus. Auch gegen Edeka haben wir nach der Plus-Übernahme Verfahren eingeleitet, als von den Herstellern missbräuchlich neue Konditionen ohne Gegenleistung eingefordert wurden. Auch unsere Sektoruntersuchung aus dem Jahre 2014 analysiert das Beschaffungsverhalten der Händler.

Creditreform: Diese Untersuchung registriert eine wachsende Einkaufsmacht der großen Händler, etwa durch den Aufbau von Handelsmarken, mit dem die Händler ihre Verhandlungsposition gegenüber Herstellern ausbauen. Eine bedenkliche Entwicklung?

Mundt: Den Bereich der Handelsmarken haben wir breit untersucht, insbesondere die Frage, was das für die Hersteller bedeutet. Wir sehen es als Faktor bei der Bewertung des Verhältnisses zwischen Handel und Herstellern.

Creditreform: Auch die Einkaufskooperationen von Rewe und Edeka werden in der Untersuchung sehr kritisch bewertet.

Mundt: Wir haben uns gefragt, was ist eigentlich der Beweggrund von Edeka und Rewe, mit kleineren Händlern eine Einkaufskooperation einzugehen? Die Großen haben durch ihre großen Abnahmemengen ja schon erhebliche Vorteile und können von zusätzlicher Menge monetär kaum profitieren. Da fragt man sich: Warum machen die Großen das?

Creditreform: Und warum?

Mundt: Die Kleineren erwarten, dass sie Einkaufsvorteile erzielen und gleichzeitig selbständig bleiben können. Also Kooperation statt Fusion. Aber das ist nur eingeschränkt der Fall. Die Kooperation führt zu eine gewissen Unselbständigkeit der Kleinen, denn sie verlieren die direkte Kundenbeziehung zu ihren Lieferanten. Gepflogenheiten und persönliche Beziehungen gehen verloren. Darüber hinaus findet eine gewisse Angleichung im Sortiment statt. Kleinere, die sich über andere Produkte von den Großen differenziert haben, werden ein Stück weit ausgeschaltet. Zudem sind die Kooperationen oft mit gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen verbunden. Wir sprechen von Kooperationen der zweiten Generation. Es geht nicht nur um schuldrechtliche Beziehungen, sondern man schickt auch mal jemand in den Vorstand, der dann weiß, wie es in dem Unternehmen läuft. Es entstehen personelle Verflechtungen, die oft die Vorstufe einer Fusion sind.

Creditreform: Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass nicht alle Mitglieder gleich behandelt werden und die Einkaufskonditionen nicht vollständig an kleinere Partner weitergegeben werden.

Mundt: Das haben wir auch festgestellt. Dass die Großen, obwohl sie in einer Einkaufskooperation mit den Kleinen sind, ihre Vorteile nicht 1 zu 1 weiter geben. Der Kleinere glaubt, er hat einen großen Einkaufsvorteil durch die Kooperation – das ist ja sein Motiv. Er hat auch einen Vorteil, aber nicht in dem Umfang, den er sich erhofft.

Creditreform: Dass die Großen kleinere Wettbewerber durch Niedrigpreise gezielt unter Druck setzen, lässt sich vielerorts beobachten, etwa im Drogeriehandel. Die Kleineren argwöhnen, dass dabei mittels Buchungstricks auch unter Einkaufspreis verkauft wird. Ein Fall fürs Kartellamt?

Mundt: Wir kennen diese Vorwürfe und haben auch verschiedentlich Verfahren geführt. Die Anforderungen an den Nachweis eines verbotenen Untereinstandspreisverkaufes sind aber durch die Rechtsprechung sehr hoch geworden. Die Verrechnung von Zuschüssen und Rabatten innerhalb des Sortiments ist zulässig. Wir sehen heute aber auch, dass die großen Handelsketten solche Strategien meist gar nicht nötig haben, weil ihre Einkaufsvorteile ohnehin so groß sind, dass sie gar nicht mehr unter den Einkaufspreis-Bereich gehen müssen.

Creditreform: Die Großen werben damit, dass sie Lebensmittel zu extrem günstigen Preisen anbieten. Kritiker monieren, das Lebensmittel in Deutschland zu billig sind, weil viele Kosten, etwa für Natur und Umwelt, externalisiert sind. Wer hat Recht?

Mundt: Diese Zusammenhänge kann ich Ihnen auch nicht auflösen. Zur Frage der Lebensmittelkosten gibt es aber objektive Statistiken, etwa von Eurostat, laut der die Lebensmittelpreise in Deutschland im Vergleich zu EU-Ländern mit ähnlicher Kaufkraft im Mittelfeld liegen. Die Aussage, dass Lebensmittel in Deutschland so extrem günstig seien, wird dadurch nicht bestätigt.

Creditreform: Um die Macht der Großen zu beschränken, könnte der Staat auch den LEH entflechten und Marktobergrenzen festlegen. Würden Sie das ordnungspolitisch für sinnvoll erachten?

Mundt: Entflechtung macht nur Sinn wenn nichts mehr geht. Als ich angetreten bin, hieß es, die Energiekonzerne müssen entflochten werden. Diese Forderung wurde auch schon für die Mineralölkonzerne aufgestellt. Aktuell diskutiert man darüber, ob Google entflochten werden müsse. Wenn nun der LEH mit Markanteilen von 25 Prozent bei den Großen hinzu kommt, weiß ich nicht ob das zielführend ist. Größe hat ja auch Vorteile für die Verbraucher. Abgesehen davon hätten wir derzeit auch nicht das Instrumentarium. Wir bräuchten einen Missbrauch von Marktmacht, der so massiv wäre, dass er eine Entflechtung rechtfertigt. Das sehe ich im Moment nicht.

Creditreform: Aber auf den Beschaffungsmärkten sieht es anders aus?

Mundt: Es gibt immer mal wieder Verhaltensweisen oder Maßnahmen marktstarker Unternehmen, die wir uns genauer ansehen müssen. Wie etwa beim Edeka-Konditionen-Verfahren. Aber da reicht aus meiner Sicht ein Verfahren. Da müssen wir nicht gleich zur großen Keule der Entflechtung greifen.

Creditreform: Thema Online: Markenhersteller versuchen Händler, die ihre Produkte über Online-Portale vertreiben, unter Druck zu setzen. Wie stehen Sie dazu?

Mundt: Es gibt durchaus kleine Händler, die zunehmende Probleme haben, allein vom stationären Handel zu existieren. Die verkaufen dann über Plattformen, wie Amazon und ebay, um sich ein zweites Standbein aufzubauen. Vielen sichert das die Existenz. Wenn Hersteller das zu unterbinden versuchen, obwohl sie selbst Shops im Internet betreiben, sind das Fälle, die wir uns anschauen.

Creditreform: Wie ist Ihre Haltung dazu?

Mundt: Es darf nicht sein, dass der Hersteller steuert, wie der Händler verkauft. Grundsätzlich muss der Händler frei sein, wie und über welche Kanäle er seinen Handel gestalten will. Wer stationär handelt, hat höhere Kosten. Ein Stück weit muss es deshalb dem Hersteller erlaubt sein, die höheren Kosten auszugleichen. Das ist im Rahmen gewisser Festkostenzuschüsse in Ordnung. Die Vorgaben der Hersteller dürfen aber nicht dazu führen, dass der Händler online überhaupt nicht mehr verkaufen kann. Das ist eine Frage der Ausgestaltung.

Creditreform: Stichwort Google. Welche Behörden sind in der Pflicht?

Mundt: Wir haben ein Netz der Wettbewerbsbehörden in Europa und grenzüberschreitendes Recht. Der aktuelle Google-Fall des nicht-neutralen Rankings wird in Brüssel behandelt, weil es sich um eine paneuropäische Strategie von Google handelt. Das ist bei der Kommission besser aufgehoben.

Creditreform: Aber das Thema der Marktmacht von Internetplattformen ist auch nationales Thema.

Mundt: Wir beobachten den Bereich intensiv und haben eine eigene Beschlussabteilung, die sich auf sogenannte Plattform-Fälle konzentriert. Die Materie ist ja komplex. Einerseits sind Google, Facebook, Amazon und andere Plattformen gerade auch deshalb für die Verbraucher so attraktiv, weil die Unternehmen eine hohe Marktabdeckung haben und über große Datenmengen verfügen. Andererseits liegt genau darin auch eine Gefahr, weil möglicherweise ein kaum einholbarer Vorsprung gegenüber allen anderen Anbietern entsteht, der zu Lasten des Wettbewerbs geht. Da gilt es für uns eine Balance zu finden.

Das Interview führte Martin Jahrfeld.

Quelle: Creditreform (21.5.2015)

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