„Wir müssen im Netz schneller werden“

Capital: Herr Mundt, kaufen Sie im Netz?

Mundt: Ja, klar. Mein jüngster Kauf war ein Luftentstauber. In den Fachgeschäften hier in der Gegend habe ich das Modell, das ich wollte, leider nicht bekommen. Da war das Internet sehr nützlich, weil das Angebot natürlich viel größer ist.

Capital: War das Gerät auch günstiger?

Mundt: Da gab es in diesem Fall keine wesentlichen Unterschiede.

Capital: Sehen Sie nicht die Gefahr, den Fachhandel um die Ecke und damit den Wettbewerb zu schwächen, wenn Sie im Internet einkaufen?

Mundt: Das Internet ist doch längst ein ganz normaler Vertriebskanal, zusätzlich zum Fachgeschäft. Es ist auch nicht per se eine Gefahr, denn viele Fachmärkte vertreiben ihre Produkte zusätzlich online.

Capital: Das sehen viele Händler anders. Sie beklagen die Macht und Wettbewerbsvorteile der Onlineportale.

Mundt: Manche klagen. Aber es mischt sich immer mehr, etwa online kaufen, im Laden abholen. Oder im Laden kaufen und sich nach Hause schicken lassen. Unser Einkaufsverhalten hat sich durch das Internet verändert und wird sich weiter verändern.

Capital: Was ist dann Ihre Rolle als oberster Wettbewerbshüter des Landes?

Mundt: Unser Auftrag ist in der Internetwirtschaft kein anderer als sonst. Wir halten Märkte und Vertriebskanäle offen und ermöglichen so einen fairen Wettbewerb. Aktiv werden wir, wenn Hersteller oder Händler – online oder offline – ihre Macht ausnutzen und den Marktzugang einschränken. Es geht nicht, dass die Großen etwas dürfen und die Kleinen nicht. Da kommt das Wettbewerbsrecht ins Spiel.

Capital: Das Internet ist ja ein merkwürdiger Markt: Einerseits war es noch nie so einfach, Wettbewerb zu entfachen – auch unfairen. Andererseits bilden sich so schnell wie nie neue Monopole. Das deutsche Ideal des Wettbewerbsschutzes wirkt dagegen ziemlich überholt.

Mundt: Ich mag die Formulierung nicht, weil sie so abgedroschen ist: Aber ja, das Internet ist für Wettbewerbshüter eine wirklich große Herausforderung. Im Internet ziehen gute Angebote viele Nutzer an. Durch viele Nutzer werden die Angebote wiederum besser und ziehen noch mehr Nutzer an. Diese Netzwerkeffekte wirken wie ein rollender Schneeball. So können sehr schnell sehr mächtige Unternehmen entstehen. Andererseits schließt selbst das nicht aus, dass immer wieder was Neues entsteht. Dass vermeintliche Monopolisten schon nach einigen Jahren ihre Stellung wieder verlieren. Das macht den Schutz des Wettbewerbs keineswegs überflüssig. Es kommt auf die richtige Balance an.

Capital: Was heißt das konkret?

Mundt: Wir müssen schneller werden – was uns auch schon gelingt. Und wir müssen unsere Maßstäbe anpassen. Nehmen Sie die Fusion der Immobilienportale Immonet und Immowelt. In dem Markt haben wir mit Immobilienscout 24 einen klaren Marktführer, dann die beiden genannten Verfolger und eine Reihe sehr kleiner Wettbewerber. Was ist in so einem Markt das Beste für den Wettbewerb? Klassisch würde der Wettbewerbshüter sagen: möglichst viele Anbieter. Wegen der Netzwerkeffekte sind wir aber zu dem Ergebnis gelangt, dem Wettbewerb nützen zwei große Anbieter mehr als ein großer und mehrere kleine. Deshalb haben wir die Fusion genehmigt. In der Offline-Welt hätten wir vermutlich anders entschieden.

Capital: Wer ist Ihnen eigentlich wichtiger: der Endkunde, der durch mehr Wettbewerb von niedrigeren Preisen profitiert, oder der Unternehmer, der mit seinem Geschäftsmodell bestehen will?

Mundt: Am Ende muss immer der Verbraucher profitieren. Sonst wäre es schwierig, Akzeptanz für unsere Arbeit zu finden. Aber unsere Wettbewerbstradition in Deutschland ist eine andere, das stimmt. Von der Kaiser- bis hinein in die NS-Zeit waren wir das Land der Kartelle. Wegen dieser Erfahrungen achten wir auf die Freiheit zum Wettbewerb als solche. Es ist ein Wert an sich, ein Unternehmen zu gründen oder Geschäftsmodelle umstellen zu können. Ich glaube, beide Ansätze lassen sich auch verbinden.

Capital: Ist das nicht eher ein Konflikt? Sie haben etwa Hoteliers gestattet, niedrigere Preise anzubieten als über die Buchungsplattform HRS, obgleich diese verspricht, immer den günstigsten Preis anzubieten. HRS kann doch jetzt einpacken.

Mundt: Der Verbrauchernutzen solcher Bestpreisgarantien ist zumindest fragwürdig. Es handelt sich dabei ja um einen künstlichen Bestpreis, wenn ich den Hotels als Anbietern verbiete, anderswo günstigere Preise zu verlangen.

Capital: Aber solche Plattformen schaffen doch erst Preistransparenz.

Mundt: Wir haben ganz und gar nichts gegen solche Plattformen. Es geht um die konkreten Bedingungen. Die Bestpreisklauseln haben andere Plattformen und die Hoteliers beeinträchtigt. Sie können jetzt Zimmer wieder günstiger anbieten. Das nützt auch dem Kunden.

Capital: Was unternehmen Sie dann gegen den Onlinebuchhändler Amazon? Die Verlage beklagen, Amazon erpresse sie, indem er ihnen untersage, E-Books woanders zu besseren Konditionen anzubieten. Das ist doch auch kein Wettbewerb.

Mundt: Deswegen untersucht die EU-Kommission dieses Vorgehen ja gerade. Amazon ist hier fraglos ein sehr wichtiger Player. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass das Unternehmen den Markt im kartellrechtlichen Sinne beherrscht. Als Wettbewerbsbehörde können Sie sich nicht von Eindrücken leiten lassen. Wir müssen immer sauber Daten und Fakten erheben.

Capital: Kann denn eine kleine Wettbewerbsbehörde in Bonn überhaupt etwas gegen einen Weltkonzern wie Amazon ausrichten?

Mundt: Wir haben ein Verfahren gegen Amazon Marketplace erfolgreich abgeschlossen. Das Unternehmen hatte Händler, die dort verkaufen wollten, verpflichtet, ihre Produkte nirgendwo anders im Netz günstiger anzubieten. Die Klausel führte dazu, dass die Einstellung des Produkts auf anderen Plattformen völlig uninteressant wurde. Das war schon eine starke Behinderung der Wettbewerber. Amazon hat diese Klausel für ganz Europa gestrichen.

Capital: Was gestern noch gut war für den Wettbewerb, kann ihn heute behindern und morgen schon wieder untergegangen sein. Wie wollen Sie da noch ordentliche Urteile über Marktentwicklungen treffen?

Mundt: Wie gesagt, das Tempo fordert uns heraus. Tatsächlich müssen wir oft Entscheidungen treffen, die auf einer Prognose basieren. Nehmen Sie mal den Erwerb von Whatsapp durch Facebook. Da musste die EU-Kommission beurteilen, wie sich der Markt für soziale Netzwerke innerhalb der nächsten drei, vier Jahre entwickelt. Trauen Sie sich eine Prognose zu, wie sich Facebook entwickeln wird?

Capital: Eher nein.

Mundt: Eben. Betriebssysteme werden heute binnen sechs Monaten komplett umgestellt. Oder Apple, das sein Musikbusiness gerade auf Streaming umstellt. Solche Entwicklungen sind innerhalb unserer Prognosezeiträume schwierig zu erfassen. Doch das kann ja nicht heißen, wir kümmern uns nicht mehr um den Wettbewerb. Wir müssen unsere Prognoseinstrumente verfeinern.

Capital: Haben Sie dafür ein paar Internet-Nerds eingestellt?

Mundt: Wir haben eine Taskforce eingerichtet, die sich nur mit disruptiven Technologien, mit Plattformmärkten befasst. Wir versuchen zu erfassen, was auf diesen Märkten passiert, wo sie sich hinbewegen.

Capital: Bei Ihrem jüngsten prominenten Fall, dem Fusionsverbot von Edeka und Tengelmann, hat man Ihrer Behörde vorgeworfen, die Branche ökonomisch völlig falsch eingeschätzt zu haben.

Mundt: Dieser Vorwurf ist nun wirklich unberechtigt. Wir haben im Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann eine ganz breite Palette von ökonomischen Methoden genutzt. Beispielsweise konnten wir über die Auswertung Tausender Kundenbons und eine Eventanalyse die Wettbewerbsintensität zwischen den verschiedenen Handelsketten erfassen.

Capital: Was haben Sie herausgefunden?

Mundt: Manche Verbraucher gehen wegen ganz bestimmter Produkte immer zu einem Vollsortimenter wie Edeka oder Rewe und wegen anderer Produkte zu einem Discounter wie Aldi oder Lidl. Sämtliche Einzelhandelsketten stehen miteinander im Wettbewerb. Das Wettbewerbsverhältnis zwischen den Vollsortimentern ist aber ein anderes als das zwischen Vollsortimentern und Discountern. Das sehen Sie zum Teil auch, wenn Sie auf die grüne Wiese fahren: Da siedelt sich ein Edeka neben einem Lidl und einem Rossmann an. Oder ein Rewe neben einem Aldi und einem DM. Die teilen sich sogar den Parkplatz, weil sie sich gut ergänzen. Zwei Vollsortimenter sehen Sie hingegen ganz selten einmal direkt nebeneinander.

Capital: Aber Ihre Entscheidung bildet eine Welt von gestern ab: der Kaiser’s um die Ecke, der Edeka 800 Meter weiter. Die Zukunft gehört doch auch Onlinediensten, die gerade in Großstädten nach Hause liefern.

Mundt: Onlinehandel spielt bei Lebensmitteln keine große Rolle. Auch die Prognosen der Marktteilnehmer für die nächsten Jahre sind sehr verhalten.

Capital: Die Lebensmittelpreise in Deutschland sind seit Jahren niedrig, die Margen der Händler gering. Das sieht doch nach lebendigem Wettbewerb aus. Was macht Ihnen so Sorge, wenn Edeka die Geschäfte von Tengelmann übernimmt?

Mundt: Laut Eurostat bewegen wir uns im Mittelfeld, besonders preisgünstig sind wir danach nicht. Und Wettbewerbsschutz heißt auch, Preiserhöhungen aufgrund fehlenden Wettbewerbs vorzubeugen. Der Lebensmittelmarkt in Deutschland ist bereits sehr konzentriert. Die führenden vier Händler Edeka, Rewe, Schwarz (Lidl, Kaufland) und Aldi kontrollieren 85 Prozent des Marktes. Durch die Fusion würde für viele Verbraucher eine Einkaufsalternative und für die Lieferanten ein weiterer Abnehmer wegfallen.

Capital: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel könnte Edeka die Übernahme aber noch erlauben – wäre das eine Schlappe für Sie?

Mundt: Nein, das ist eine politische Entscheidung. Unsere Bewertung bleibt davon unberührt. Gabriel prüft, ob es ein übergeordnetes Gemeinwohlinteresse gibt, das wichtiger ist als der Wettbewerb.

Capital: 2014 war ein Rekordjahr für Kartellstrafen: über 1 Mrd. Euro. Werden Unternehmen immer dreister und bilden immer mehr Kartelle? Oder sind Sie einfach erfolgreicher bei der Aufdeckung?

Mundt: Die 1 Mrd. Euro wird eine Ausnahme bleiben. Wir haben 2014 drei große Verfahren mit hohen Bußgeldern abgeschlossen. Ob es mehr Kartelle gibt, kann Ihnen niemand sagen, da wir die Dunkelziffer nicht kennen. Aber wir sind heute bei der Kartellverfolgung besser aufgestellt. Das Schwierigste bleibt die Entdeckung. Sehr geholfen hat in den letzten zehn Jahren die Kronzeugenregelung: Ein Unternehmen, das das Kartell anzeigt, geht straffrei aus. Das hat den Anreiz erhöht, bei diesen Absprachen auszusteigen. Etwa die Hälfte aller Kartelle entlarven wir mithilfe von Whistleblowern.

Capital: Wurst, Brillen, Gummibärchen, Fertiggaragen: Sind Sie manchmal selbst überrascht, wo es überall Kartelle gibt?

Mundt: Nein, kein Bereich ist gefeit.

Capital: Spräche das nicht dafür, dass Manager, die Kartelle anzetteln, auch strafrechtlich belangt werden und dafür ins Gefängnis gehen?

Mundt: Dem Dieb droht ja Gefängnis, und trotzdem haben wir Diebstähle. Bei Kartellen wäre das nicht anders. Viele Vorstände nehmen das Thema ernster als früher. Die Bußgelder sind hoch, Aufdeckung und Verfolgung greifen. Zudem ziehen wir die verantwortlichen Manager mit Bußgeldern zur Verantwortung. Wir brauchen keine Gefängnisstrafen.

Capital: Jetzt müssten Sie nur noch die Bußgelder vollstrecken können.

Mundt: Das haben wir tatsächlich ein Problem. Unternehmen können sich derzeit durch Umstrukturierungen dem Bußgeld geschickt entziehen und machen das auch. So gehen uns eventuell ein paar Hundert Millionen Euro Bußgelder verloren, wir rechnen das gerade zusammen. Wir brauchen eine Gesetz, das das unterbindet. Aber Wirtschafts- und Justizministerium sitzen dran. Das kommt.

Das Gespräch führten Monika Dunkel und Timo Pache.

Quelle: Capital

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz

OK